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Energie & Klima

Standpunkte Klimazusammenarbeit statt US-Energiedominanz

Friedbert Pflüger, Professor am CASSIS und Partner bei Bingmann Pflüger International
Friedbert Pflüger, Professor am CASSIS und Partner bei Bingmann Pflüger International

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz könnten ab morgen erste große Schritte in Richtung einer neuen transatlantischen Klimapolitik- und Energiepartnerschaft zu beobachten sein, hofft Berater und Professor Friedbert Pflüger. Er sieht gewaltige Potenziale für USA und EU zur Zusammenarbeit, von Technologie bis Diplomatie. Etwas Geduld und Verständnis für unterschiedliche Interessen sei aber gefragt, schreibt er in seinem in seinem Standpunkt.

von Friedbert Pflüger

veröffentlicht am 18.02.2021

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Morgen, am 19. Februar, treffen Joe Biden, Angela Merkel, Ursula von der Leyen und eine Handvoll anderer „world leader“ zu einer virtuellen Sitzung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) zusammen. Wo sonst mehrere hundert Teilnehmer in der bayerischen Hauptstadt tagen, ist es diesmal – coronabedingt – nur ein sehr kleiner Kreis, der über die Zukunft des Westens („beyond westlessness“), globale Herausforderungen und transatlantische Kooperation spricht.

Ein wichtiges Signal ist dabei die Teilnahme des neuen Klimabeauftragten Joe Bidens, der frühere Außenminister John Kerry. Mit ihm und der Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in Washington ab: von Donald Trumps angestrebter „Energiedominanz“ zu einer neuen Klimazusammenarbeit. Die Verlangsamung der Erderwärmung ist plötzlich zu einem der wichtigsten Punkte der transatlantischen Agenda geworden. Das freut die Klimabewegung – und darüber hinaus alle, die vier Jahre „America First“-Muskelspiele statt atlantischer Partnerschaft ertragen mussten.

2019 kündigte Ursula von der Leyen einen European Green Deal mit dem ehrgeizigen Ziel an, Europa bis 2050 klimaneutral werden zu lassen. Auch das Zwischenziel, 2030 bereits 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen (bis 2020 wurden gerade einmal 24 Prozent erreicht!), ist äußerst ambitioniert. Die Biden-Administration will da nicht zurückstecken: Sie zielt ebenfalls auf Klimaneutralität bis 2050 und verspricht eine klimaneutrale Stromproduktion für 2035. Die USA planen eine „Revolution für saubere Energie“ und wollen eine „superpower of clean energy“ werden! 

Von Freiheitsmolekülen zu sauberem Wasserstoff

Der Trump-Regierung reichte die durch die Förderung von Schieferöl und -gas (fracking) erlangte Energieunabhängigkeit der USA nicht. Stattdessen erklärte sie „energy dominance“ zum Ziel, sprach von „Freiheitsmolekülen“ und vom „freedom gas made in USA“. Sie begegnete Widersachern – aber auch engsten Alliierten – mit Drohungen und Sanktionen.

Seit der Wahl von Joe Biden eröffnet sich nun ein neuer Horizont konkreter Kooperationsmöglichkeiten: So gibt es etwa im Bereich erneuerbarer Energien ein enormes Potential für gemeinsame Projekte. Nach einem Bericht des Global Wind Energy Council (GWEC) planen die USA die Genehmigung von zehn Gigawatt Offshore-Windanlagen bis 2025. Ähnlich ambitioniert sind die Vorhaben im Bereich von Photovoltaik und Onshorewind.

Ein erklärter Schwerpunkt der Energiepolitik des Teams Biden-Harris wird Wasserstoff sein, wobei man in den USA nicht von „grünem“, sondern von „sauberem“ Wasserstoff spricht. Entscheidend ist demnach nicht, ob der Wasserstoff aus erneuerbaren oder fossilen Quellen gewonnen wird, sondern ob die Herstellung klimaneutral stattfindet.

Schon heute sind die USA mit einem Anteil von circa 15 Prozent der globalen Wasserstoff-Produktion die Nummer zwei nach China. Mehr als die Hälfte der weltweiten Wasserstoff-Pipelines und fast 5000 Kilometer Ammonium-Pipelines sind im Betrieb. Die „hydrogen-economy“ wird voraussichtlich enorm wachsen, nicht zuletzt, weil die Vereinigten Staaten schon heute die weltweit führende Nation bei Carbon Capture Storage (CCS) sind.

Die Produktion von Wasserstoff aus Erdgas kann auf diese Weise klimaneutral erfolgen, da das entstehende CO2 in leere Lagerstätten in der Erde gepresst wird oder für die Produktion zum Beispiel von Baustoffen wie Graphit genutzt wird (CCU). Die USA verfügen zudem über riesige Flächen für Sonnen- und Windenergie, die Grundlage für die Gewinnung großer Mengen Wasserstoffs aus Elektrolyse.

Die USA behalten trotz Klimaschutz Energieunabhängigkeit

Während das landarme Europa auf Wasserstoffimporte angewiesen sein wird, ist Amerika grundsätzlich „hydrogen-independent“. In einigen Regionen der USA könnte eine großflächige Elektrolyse auf der Basis erneuerbarer Energien kombiniert mit einer relevanten CO2-Bepreisung schon bis 2030 konkurrenzfähig zu „blauem Wasserstoff sein. Mittel- und langfristig könnten die USA zur Wasserstoff-Exportnation werden und damit die Zielkonflikte zwischen Klimaneutralität, ökonomischen Interessen und Energiesicherheit auflösen. 

Allerdings muss etwas Wasser in den Wein gegossen werden: Bisher sind es nur wohlklingende Klimaziele, die wir aus Washington hören. Die Biden-Harris-Mehrheit im Kongress ist klein und die Widerstände der überparteilichen Öl-Lobby groß. Das Kyoto-Klimaabkommen hatte seinerzeit bei beiden Parteien keine Freunde und Joe Biden hat ohne Zweifel viel Überzeugungsarbeit auf dem Capitol Hill vor sich.

Hinzu kommt, dass es in den USA keine Bereitschaft gibt, klimafreundliche Energien wie in Europa mit Milliardensummen zu fördern. Durchsetzen wird sich in Amerika nur die Energie, die neben Klimafreundlichkeit auch ein „business case“ ist. Vielleicht wird der Wandel deshalb langsamer kommen, als von vielen erhofft. Umso wichtiger wird für Joe Biden die Kooperation mit den gleichgesinnten Europäern sein.

Unabhängig vom Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwirtschaft ergeben sich nämlich auch auf dem Gebiet der Energieeffizienz und der Elektromobilität große Chancen für eine transatlantische Zusammenarbeit. Auf dem Wärmemarkt zum Beispiel, also modernen Gasheizungen, Brennstoffzellen, Wärmepumpen und bei der Gebäudedämmung. Auch in der Mobilität gibt es mit Elektroantrieben (siehe Tesla in Brandenburg), Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) viele Felder, wo europäische und amerikanische Firmen im beiderseitigen Interesse zusammenarbeiten könnten.

Gemeinsam Stärke entwickeln statt endlose Pipeline-Debatten

Die europäischen Erfahrungen bei der Integration volatiler erneuerbarer Energie in die Stromnetze oder bei der Resilienz gegenüber extremem Wetter (gerade ist schließlich in Teilen von Texas kältebedingt die Stromversorgung zusammengebrochen) könnten in den USA von Wert sein.

Aber auch gemeinsame Forschungsvorhaben und Know-how-Transfer bei der Batterie- und Speichertechnik, bei digitalen Mess- und Steuerungsvorgängen – es gibt viele Möglichkeiten, voneinander zu profitieren!

Joe Biden hat ferner klargestellt, dass er neue Techniken im Bereich der Nuklearenergie ausloten will: kleine und sichere Reaktoren, Wiederaufbereitung zur Reduktion hochradioaktiven „Atommülls“ und anderes. Die Mehrheit der EU-Länder dürfte diese Entwicklung mit Interesse beobachten.

Und schließlich: Amerikaner und Europäer sollten in der Klima- und Energieaußenpolitik wieder stärker zusammenarbeiten. Gemeinsame Initiativen für den Klimagipfel im Herbst in Glasgow sollten jetzt ergriffen werden. Wie stark können wir sein, wenn wir gemeinsam Klima- und Energiepolitik betreiben, anstatt uns durch endlose Pipeline-Debatten ausbremsen zu lassen! 

Wenn zwei der drei größten globalen CO2-Emittenten, die USA und die EU, bedeutende Einsparungen beim Ausstoß von Treibhausgasen erzielen, setzen sie global ein wichtiges Zeichen. Sie revitalisieren gleichzeitig die transatlantische Allianz und den „politischen Westen“. Nicht Drohungen und Sanktionen, sondern konkrete Zusammenarbeit und gemeinsame Initiativen sind das Gebot der Stunde. Es wäre zu wünschen, wenn der Chef der MSC, Wolfgang Ischinger, am morgigen Freitag in dieser Richtung einen Fortschritt verkünden könnte. Viel Erfolg!

Professor Friedbert Pflüger lehrt Energie- und Klimapolitik am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), Universität Bonn. Er ist Senior Fellow des Atlantic Council und geschäftsführender Partner der Unternehmensberatung Bingmann Pflüger International.

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