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Energie & Klima

Standpunkte Sonne im Exil: Deutschlands Solarbranche flieht vor dem Stillstand

Anja Lange, Europa-Chefin von First Solar
Anja Lange, Europa-Chefin von First Solar Foto: First Solar

Anja Lange sieht Deutschland vor einer wegweisenden Herausforderung: Wie können der Ausbau der erneuerbaren Energien und gleichzeitig die Sicherung der deutschen Industrien gewährleistet werden? Dies ist keine neue Frage, jedoch eine, die dringend neue Antworten benötigt, findet die Europachefin von First Solar.

von Anja Lange

veröffentlicht am 18.06.2024

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Insbesondere bei der Wertschöpfung von Netto-Null-Technologien wie Photovoltaik (PV) ist Deutschland noch immer maßgeblich auf Wertschöpfung aus dem Ausland angewiesen. Das hat nicht nur negative wirtschaftliche Effekte, sondern schafft extreme Abhängigkeiten, die die Energiewende im Allgemeinen und den solaren Ausbau im Speziellen gefährden. Bisherige Bemühungen, dem entgegenzuwirken, tragen nicht ausreichend Früchte und der erhoffte zweite Solarboom bleibt aus.

Während andere Länder wie die USA, wo die heimische Solarmodulherstellung nun durch Einfuhrzölle geschützt werden soll, aufstrebende Solarindustrien vorweisen können, steckt Deutschland in einem Strudel der Deindustrialisierung fest und ist nach wie vor abhängig von autoritären Staaten, was die Sicherung seiner kritischen Infrastrukturen angeht.

Andere Länder, insbesondere außerhalb Europas, profitieren von günstigeren regulatorischen Rahmenbedingungen und rüsten auf, während Deutschland das Risiko eingeht, den Anschluss zu verlieren. Es herrscht Schockstarre. Die Konsequenz dieses Stillstands? Mit dem Abgang von Meyer Burger und zuletzt Solarwatt verabschieden sich auch die letzten beiden großen Solarmodulhersteller aus Deutschland. Und nein, keiner hat diese Unternehmen weggelockt, genauso wenig wie der Lufttaxi-Hersteller Lillium von Frankreich weggelockt wird. Diese Firmen gehen, weil sie von Deutschland kein politisches Signal der Unterstützung erhalten, während andere Staaten die Ansiedlung einer Cleantech-Wertschöpfungskette als strategisch wichtig ansehen.

Indien und die USA machen es vor

Doch welche Lektionen können wir aus dem Ausland mitnehmen? Inmitten der deutschen Lethargie bietet das ambitionierte Handeln anderer Länder wie der USA und Indiens eine klare Handlungsempfehlung. Durch Gesetze wie den Inflation Reduction Act (IRA) in den USA oder gezielte Förderprogramme wie Indiens Einspeisetarife haben diese Nationen ihre heimische Produktion angekurbelt und ihre Solarbranche gestärkt. Nun versucht Europa mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) gleichzuziehen.

Trotz der lobenswerten Ambitionen ist der NZIA unzureichend als politisches Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Denn die Umsetzung ist zu unsicher und kommt zu spät: Die darin enthaltenen nicht-preislichen Kriterien zur Bewertung von öffentlichen Ausschreibungsverfahren werden nicht vor 2025/2026 in die nationalen Auktionssysteme aufgenommen, und eine Überprüfungsklausel schafft Unsicherheit über die Entwicklung des Marktes.

Jüngste Fabrikschließungen und Weggänge ins Ausland unterstreichen die unzureichenden Marktsignale, die vom NZIA ausgehen. Der Geltungsbereich ist zu eng und die Abdeckung unzureichend: Ein Geltungsbereich von nur 30 Prozent des jährlich versteigerten Volumens entspricht nur einem EU-weiten Gesamtbedarf an Modulen von 5,8 Gigawatt. Unter Berücksichtigung eines prognostizierten jährlichen PV-Zubaus von 62 GW werden nur etwa 9 Prozent des Marktes von den nachfrageseitigen Anreizen des NZIA betroffen sein.

Damit wird nicht nur das Gesamtziel des NZIA, bis 2030 40 Prozent des EU-Bedarfs durch heimische Module zu decken, deutlich verfehlt, sondern auch das falsche Signal an heimische Industrieakteure gesendet, da ihnen nicht ausreichend Investitionssicherheit und damit kein Anreiz für das Aufrechterhalten beziehungsweise den Ausbau der deutschen und europäischen Wertschöpfung geboten wird.

Das Drei-Säulen-Prinzip als Schlüssel zum Erfolg

Besorgte Stimmen internationaler Modulhersteller appellieren immer wieder an die Bundesregierung, schnelle und effektive Lösungen anzubieten, um die Ausweitung von PV-Produktionskapazitäten auf den Industriestandort Deutschland auszuweiten und so der heimischen Solarindustrie neues Leben einzuhauchen und sie resilienter zu machen. Doch während Deutschland und Europa im Rahmen des NZIA und nationaler Resilienzauktionen weiterhin Pläne schmieden, bleiben zielführende und realistische Taten und Entscheidungen bislang aus.

Hier kann und sollte Deutschland von den USA lernen, die mit einem ganzheitlichen politischen Ansatz bestehend aus drei Säulen darauf abzielen, heimische Industrien zu stärken und die technologische Führungsposition des Landes zu erhalten.

Die erste Säule umfasst industriepolitische Initiativen wie den 45X Advanced Manufacturing Tax Credit, der Investitionen in die heimische Fertigung fördert, insbesondere in Sektoren wie Solar- und Windenergie und Batteriespeicherung und dadurch Innovationen und Kostensenkungen anregt.

Die zweite Säule legt den Schwerpunkt auf die Nachfrageseite, wo Maßnahmen wie der Bonus für den Inlandsanteil das Wachstum fördern, indem Anreize für den Kauf von Waren aus amerikanischer Produktion geschaffen werden, wie zum Beispiel bei Solarpanelen.

Die dritte Säule konzentriert sich auf die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen, indem marktverzerrende Praktiken wie Dumping durch handelspolitische Maßnahmen bekämpft werden, um sicherzustellen, dass die Investitionen in die heimische Produktion erhalten bleiben. Ohne eine dieser Säulen wird der gesamte Rahmen unwirksam, wie die Schwierigkeiten Europas bei der Herstellung sauberer Energie aufgrund unzureichender Handelsmaßnahmen zeigen.

Unterm Strich: Die Zukunft der deutschen Solar- beziehungsweise Cleantech-Branche steht auf dem Spiel. Während andere Länder wie die USA, Frankreich und Südkorea voranschreiten, droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Es ist an der Zeit, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Deutschland muss seine Strategien überdenken, entschlossen Maßnahmen ergreifen und von anderen Ländern wie den USA lernen, um die Solarbranche wieder auf beide Beine zu stellen. Sonst wird Deutschland weiterhin im Schatten des Stillstands verharren, während andere Nationen die Sonne der Energiewende nutzen.

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