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Energie & Klima

Standpunkte Zölle schaden der europäischen Solarindustrie

Karl-Heinz Remmers, Solarpraxis
Karl-Heinz Remmers, Solarpraxis Foto: privat

Soll die EU dein Aufbau einer schlagkräftigen Solarindustrie durch Zölle auf Importe aus China unterstützen? Karl-Heinz Remmers warnt vor einem solchen Schritt. Das notwendige Marktwachstum sei dafür viel zu groß, und Solarzölle hätten sich in der Vergangenheit fatal ausgewirkt, schreibt der Solarunternehmer.

von Karl-Heinz Remmers

veröffentlicht am 12.08.2022

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Ein gigantischer globaler Wachstumsmarkt wie der Solarmarkt  braucht eine mutige Industriepolitik und keine Griffe zu erwiesenermaßen nutzlosen Instrumenten wie Zöllen auf Importe aus China. Wie gigantisch dieser Markt noch werden muss, zeigt ein Blick auf den Weltenergiebedarf im Jahr 2021 von etwa 171.000 Terawattstunden (TWh) – Tendenz steigend. In Deutschland waren es knapp 2500 TWh.

Seit vielen Jahren weisen diverse Zukunftsszenarien dem Markt für Solarenergie einen massiven Anteil an der Deckung des Weltenergiebedarfs zu. Aktuelle Veröffentlichungen der renommiertesten Forscher in diesem Bereich kommen auf eine weltweit zu installierende Leistung von 80 Terawatt peak (TWp) bis 2050. Derzeit haben wir global etwa ein TWp installiert. Wenn wir bis 2050 unser globales Soll erreichen wollen, müssen wir jedes Jahr drei TWp aufbauen. 2022 wird der globale Markt für Photovoltaik 220 bis 250 Gigawatt peak (GWp) an Neubau betragen. Bis 2100 müssen Szenarien zufolge weltweit 170 TWp PV-Leistung installiert werden.

Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die solare Industrialisierung nach allen bereits erzielten Erfolgen noch immer ganz am Anfang steht und binnen sehr kurz Zeit auf das zehn- bis zwölffache Volumen wachsen muss.

Ich beobachte schon lange, dass diese Dimensionen weder der Politik noch vielen Akteuren unserer Branche klar sind. Derzeit gibt es nur ein Land,  das seit Mitte der Nullerjahre diesen gewaltigen kommenden Markt erkennt und eine zielgerichtete Industriepolitik macht, um ihn zu dominieren. Es ist China, und daher ist Chinas derzeitige Dominanz im Grunde kein Wunder. Ich möchte betonen „derzeit“, denn auf einem Markt, der in kurzer Zeit um den Faktor zehn bis zwölf wachsen muss und wird, hat das Hauptrennen noch gar nicht begonnen.

Selbst der Weltmarktführer denkt zu klein

Stand heute liegt China bei Volumen, Mut und Tempo also weit vor uns – in einem Markt, der noch nicht verteilt ist, sondern wächst, wächst, wächst. Der Weltmarktführer bei Solartechnik, Longi, hatte schon Ende 2020 eine Produktionskapazität von weit über 100 GWp pro Jahr. Longi-Chef  Li Zhenguo hat als einer der wenigen in der Industrie zudem erkannt, dass wir auf Terawattmaßstab hochskalieren müssen. Er sieht den Weltmarkt 2030 bei einem TWp – damit liegt selbst er noch weit unter den globalen Notwendigkeiten.

Die EU muss daher wie in den Bereichen Chips und Batterien eine ambitionierte Industrieplanung aufbauen. Es geht nicht um eine Produktionskapazität von zehn oder 20 GWp pro Jahr, sondern um mehr als 600 GWp, will man einen Weltmarktanteil von nur 20 Prozent erreichen.

Aber diesen globalen Marktanteil wird man niemals mit den immer wieder geforderten Zöllen auf Solarprodukte aus China erzielen. Es trifft nicht zu, dass wir ganz weit vorn seien und nur deshalb nicht zum Zuge kämen, weil die Chinesen mit Dumping-Preisen arbeiten oder schlechte Qualität liefern würden. China ist in der Herstellung der Solartechnik und auch beim Bau der entsprechenden Produktionsmaschinen fast überall vorn oder liegt gleichauf mit Europa.

In der Forschung ist die EU weiterhin sehr gut. Wir können mehr als mithalten und mit neuen Technologien wie etwa der Perowskit-Silizium-Zelle von Oxford PV und anderen Innovationen das nächste Kapitel aufschlagen.

Die USA und Indien zeigen, wie es nicht geht

Abschreckende Beispiele für ein Zurückfallen durch Zölle gibt es etliche. Brutal sichtbar ist das in den USA. Dort gibt es – seinerzeit wurde von Solarworld USA dafür lobbyiert – seit 2012 Zölle auf Solarimporte. Aber nicht ein einziger Hersteller abseits der Dünnschicht-Nische – First Solar ist auf GWp-Maßstab gewachsen – produziert mehr als minimale Mengen.

Man kann sagen, dass dort der Schwanz mit dem Hund wedelt: Solarfirmen gehen bankrott, kommen wieder, gehen erneut bankrott, weil sie nicht konkurrenzfähig sind. Die US-Importzölle bringen sie nicht weiter. Wirklich Substanzielles entsteht nicht. Auch die großen Ankündigungen von Elon Musk zur Solarproduktion in den USA haben sich bisher nicht  erfüllt.

Um die Mehrkosten der viel zu kleinen Produktion in den USA wieder herauszuholen, müssen Solaranlagen durch Steuergutschriften von 30 Prozent oder durch das Vergütungsmodell Net Metering gefördert werden, das letztendlich mit hohen Kosten verbunden ist.

Diese Threads (hier und hier) des langjährigen Branchenkenners und Redakteurs des „PV Magazine“ Christian Roselund bringen das ganze Elend in den USA auf den Punkt. Dort versucht man nun einen neuen Anlauf zur Entwicklung einer heimischen Solarindustrie. 

Ein weiteres Negativbeispiel für Fehlsteuerung durch Zölle auf Solarimporte ist Indien. Das Land hat bis heute keinen wirklich namhaften Anbieter mit der erforderlichen Größe aufbauen können. Und wie in den USA soll es auch in Indien nun ein neuer industriepolitischer Anlauf richten. 

Zölle hemmen Innovation

Und noch ein abschreckendes Beispiel: Die EU hat Zölle auf den Import von Solarglas verhängt, das zur Produktion von PV-Modulen benötigt wird. Das Ergebnis: Es gibt in der EU nur einen einzigen Anbieter, die Glasmanufaktur Brandenburg. Mehr hat die europäische Glasindustrie unter dem Schutz der Zölle nicht erreicht. In der Folge müssen Modulhersteller in der EU mehr für Solarglas bezahlen als der Rest der Welt.

In der EU galten von 2013  bis 2018 auch Zölle auf Solarmodule. Das deutsche, in die USA expandierte Unternehmen Solarworld zog bis zu seiner Pleite aber keinen Nutzen daraus. Und den Rest der Branche haben die EU-Zölle damals förmlich zerlegt. Viele gute Systemanbieter sind daran pleite gegangen. Niemand war bereit, wie in den USA schlicht viel mehr Geld für PV auszugeben als nötig. Auch haben die EU-Zölle Innovationen verhindert. Sie führten dazu, dass wir in der EU noch bis Ende 2018 mit polykristallinen Modulen arbeiteten, als die Welt schon auf die viel leistungsfähigeren Mono-Module umgestellt hatte.

Welches Fazit ist aus all dem zu ziehen? Die EU sollte einen XXXL-Ansatz wagen und mit Top-Runner-Programmen im gesamten solaren Ökosystem durchstarten. Bürgschaften, gezielte leistungsabhängige Förderung sowie Forschungs- und Entwicklungsförderung gehören in diese Programme. Dazu bedarf es der Erkenntnis in der Politik, dass die globalen Energie- und Klimaziele nur mit einer gewaltigen Solarindustrie auch in Europa erreichbar sind. Importzölle werden auf diesem Weg nicht helfen.

Karl-Heinz Remmers hat unter anderem das Unternehmen Solarpraxis und das Fachmedium „PV Magazine“ gegründet. Sein Hauptfokus liegt heute auf der Entwicklung und dem Betrieb von Solarstromanlagen. Er engagiert sich beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) und ist Mitgründer des Bundesverbands Energiespeicher Systeme (BVES).

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