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Energie & Klima

Standpunkte Windenergie auf See: Deutschland 1 – England 0?

Dominik Huebler, Direktor von Nera Economic Consulting
Dominik Huebler, Direktor von Nera Economic Consulting

Die Ergebnisse der Offshore-Windausschreibungen in Deutschland und Großbritannien könnten unterschiedlicher kaum sein: Milliardeneinnahmen auf der einen, Bieterstreik auf der anderen Seite. Das muss aber nicht heißen, dass das britische Auktions-Modell dem deutschen unterlegen ist, argumentiert Dominik Huebler von Nera Consulting. Er sieht das Risiko steigender Strompreise und von Projektabbrüchen diesseits des Ärmelkanals.

von Dominik Huebler

veröffentlicht am 19.09.2023

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Über den Sommer haben sowohl die deutsche wie auch die britische Regierung große Ausschreibungsrunden für die Windenergie auf See durchgeführt. Die Ergebnisse könnten unterschiedlicher kaum sein: Milliardeneinnahmen diesseits des Ärmelkanals und „Bieterstreik“ auf der anderen Seite. Dazu noch ein Windkraft-Pionier, der in Großbritannien Projekte zusammenstreicht und hier Millionen auf den Tisch legt, um sein Eintrittsrecht wahrzunehmen. Ist das britische CfD-Modell gescheitert und Deutschland auf dem besten Weg zur europäischen Führungsposition bei der Windenergie auf See? 

Wie so oft sind die Dinge nicht ganz so einfach, wie sie zunächst aussehen. Die technologieübergreifende britische Ausschreibung (Allocation Round 5, AR 5) hat zwar keinen Kapazitäten für die Windenergie auf See bezuschlagt, andere Technologien haben aber durchaus Differenzkontrakte (de facto Festpreise) in Höhen angeboten, die in Deutschland auch für Wind an Land und Solar bezahlt werden. Die Windenergie auf See ist soweit erkennbar „gescheitert“ an einem festgelegten Höchstpreis, der deutlich unterhalb der Werte lag, die jetzt für andere Technologien bezuschlagt worden. Ob den britischen Stromkunden mit diesem Design gedient war, ist zumindest eine kritische Überprüfung wert. 

Allerdings ist nicht aller Tage Abend, da in Großbritannien Projekte auch ohne Zuschlag in einer CfD-Auktion realisiert werden dürfen; wenn man sich dem „deutschen“ Modell folgend ohne staatliche Absicherung über PPAs refinanziert. Dass Bieter das können und auch in Zukunft wollen, haben die finale Investitionsentscheidung für den geplanten deutschen Nordsee-Windpark „He Dreiht“ und die deutsche Juni-Ausschreibung mit ihren milliardenschweren Eintrittsgeldern ja eindrucksvoll gezeigt.

Die jetzt nicht angetretenen britischen Projekte haben solche Unsummen nicht gezahlt – wir reden im Wesentlichen über Projekte, die vor der damaligen Rekordauktion 2021 (LR4) entwickelt wurden; es scheint also durchaus möglich, dass das ein oder andere Projekt unter den gegebenen Bedingungen die Chancen am Markt dem Korsett des CfD vorzieht, welches von der britischen Regierung sehr eng geschnürt wurde. 

Alles richtig gemacht in Deutschland also? 

Auch hier lohnt der zweite Blick: Die gebotenen Milliarden sollen zuvorderst den Strompreis senken; es besteht aber das Risiko, dass sie genau das für grüne PPAs, die für die Dekarbonisierung der Industrie besonders wichtig sind, nicht tun werden. Viel ist darüber geschrieben worden, dass die Gebotskomponenten den Großhandelspreis nicht beeinflussen werden und damit auch den Strompreis nicht.

Wer so argumentiert, der übersieht zwei Besonderheiten der Dekarbonisierung der deutschen Industrie: Der Großteil der Gebotskomponente (vulgo „Eintrittsgeld“) ist in Deutschland (anders als im Ausland) zum Zeitpunkt des PPA-Abschluss noch variabel („marginal“); der Betreiber kann sie durch Projektabbruch vermeiden. Folglich weiß der Abnehmer, dass der Erzeuger diese mit einspielen muss, sonst besteht das Risiko, dass der (angedachte) Vertragspartner das Projekt gar nicht baut.

In dem Maße, in dem andere Quellen für zertifizierten Grünstrom rar und teuer werden (weil Solar und Wind an Land-Projekte unter dem ausgeweiteten EEG keine Herkunftsnachweise ausstellen dürfen) und im Ausland zunehmend auch hohe „Eintrittsgelder“ zur Anwendung kommen, droht die Gefahr für die Industrie, dass sich die Verhandlungsmacht zu den Erzeugern verschiebt und grüne PPAs teurer macht; nach unseren Berechnungen um bis zu 30 Euro je Megawattstunde, wobei eine solche vollständige Weitergabe einen Extremfall darstellen dürfte.

Die Entlastungswirkung der sogenannten Stromkostensenkungskomponente wirkt dagegen auf Strom jeglicher Couleur und beträgt nach kolportierten Berechnungen der BNetzA zirka 0,5 Euro/MWh, wenn man beide Ausschreibungen aus 2023 zusammen betrachtet. Selbst wenn nur ein Bruchteil der Kosten seinen Weg in die grünen PPAs findet, dürfte also der grüne PPA teurer werden, während der „Graustrom“-Käufer entlastet wird. Das kann nicht im Sinne der grünen Transformation der deutschen Industrie sein, die das BMWK mit Verve verfolgt.

Zudem „wackelt“ die Lieferkette erheblich, unter anderem wegen fehlender Finanzierung der Häfen und finanziellen Problemen der Komponentenhersteller. Wenn dies dazu führt, dass Projekte scheitern, dann kommt auch die Entlastung der Stromkunden nicht, egal ob für „grüne“ oder „graue“ Stromkäufer, weil die Zahlung der Stromkostensenkungskomponente in Deutschland im Wesentlichen erst nach Inbetriebnahme erfolgt. Teilweise hat die Bundesregierung dem Risiko eines Projektabbruchs schon sinnvoll vorgebaut, in dem die Kosten eines Abbruchs gegenüber den Auktionen 2017 ungefähr verzehnfacht wurden. Eine weitere Verbesserung der Realisierungswahrscheinlichkeit ließe sich daher vermutlich eher durch einen gezielten Einsatz der Zahlungsbereitschaft der Bieter im Sinne des Ausbaus als durch einen noch weiteren Ausbau der Pönalen erreichen.

Hier bietet sich die Chance die Ausschreibungen 2024 zu nutzen, wo beim Großteil der Flächen neben dem Preis sowieso „qualitative“ Kriterien vorgesehen sind, die weiterentwickelt werden können. Die Niederlande macht vor, wie man qualitative Kriterien nutzt, um nicht nur Wettbewerb um Geld zu schaffen, welches das Ministerium dann in politisch vorgegebene Bahnen lenkt. Vielmehr bringt das niederländische System Bieter dazu, Ideen zu von den Ministerien vorgegebenen Themenkomplexen zu entwickeln und zu finanzieren; ein Wettbewerb mit Geld und Ideen. In Deutschland könnte dies zum Beispiel in Lösungen für die Hafen- und Transportinfrastruktur (die das BMDV nicht ausreichend finanzieren will), zur Systemintegration oder – wo möglich – zur Schaffung zusätzlicher Kapazitäten verwendet werden.

Mit den 12,8 Milliarden Euro für die sieben GW aus der Juni-Ausschreibung hätten sich vermutlich ein bis zwei weitere Parks realisieren lassen; im Sinne der Energiesicherheit und der Bereitstellung von grünem Strom für die Industrietransformation vielleicht auch keine falsche Variante, wenn es die Lieferkette hergibt. 

Vielleicht lohnt in diesem Zusammenhang auch noch mal ein Blick in den Telekommunikationssektor, wo die Bundesnetzagentur gerade den Verzicht auf eine Auktion zugunsten eines verbesserten Ausbaus der Netzabdeckung und -innovation empfohlen hat. Die Bundesregierung tut in jedem Fall gut daran das Ausschreibungssystem und ihre qualitativen Kriterien noch einmal zu hinterfragen, bevor sie im kommenden Jahr 5,5 GW unter Anwendung der qualitativen Kriterien versteigert.

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