Mit Gaia lässt sich nicht verhandeln, das sollte man zwischenzeitlich auch in der Politik verstanden haben. Und doch ist dies bei der EU, den dortigen Lobbyisten und vielen als Experten ausgesuchten Arbeitsgruppenmitgliedern zur Ausarbeitung der Taxonomie scheinbar noch immer nicht angekommen.
R3.0 – Redesign for Resilience and Regeneration war von Anfang an sehr kritisch über die Erfolgschancen des Green Deals. Die in Berlin ansässige NGO, die sich seit 2012 mit der Entwicklung einer regenerativen und distributiven Ökonomie beschäftigt und in 2020 auch einen Bericht zu Sustainable Finance vorgelegt hat, prüft sehr genau, wie man nachhaltige Performance überhaupt messen kann. Hier wird nämlich noch immer pure Augenwischerei betrieben. Und das, obwohl seit 2002 tausende von Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte herausbringen, jedoch ohne ihre Performance in Beziehung zu setzen zu den dafür notwendigen Allokationen, der faire Anteil eines vorher an den Systemgrenzen ausgerichteten Schwellenwertes – auch englisch Threshold genannt.
Einfacher ausgedrückt: Wieviel einer knappen Ressource steht mir als Nutzer eines globalen öffentlichen Gutes zu und liegt meine Performance in diesem Rahmen? Der Begriff Schwellenwert steht also zentral für die Beurteilung nachhaltiger Technologien und Investitionen, ist wissenschaftlich basiert oder ethisch normiert. Seine Aufweichung widerspräche den Prinzipien der Nachhaltigkeit. Und doch genau das ist in der Frühphase der Taxonomie-Entwicklung passiert.
Der strukturelle Fehler passierte schon 2019
Die Technical Expert Group (TEG), eingesetzt von der EU-Kommission, legte im Juni 2019 einen Statusbericht sowie im März 2020 einen Abschlussbericht zur Taxonomie vor. Im Bericht vom Juni 2019 wird deutlich die Verwendung des Begriffs Schwellenwert auf politisch motivierte und unwissenschaftliche Weise interpretiert, welche von Grund auf die Idee von Sustainable Finance korrumpiert hat und den Kern des gesamten Taxonomieversagens bildet. Man liest dort folgenden Absatz:
„Um eine möglichst breite Nutzbarkeit der Taxonomie zu gewährleisten, musste die TEG zwischen Granularität und Flexibilität sowie zwischen Komplexität und Übersichtlichkeit vermitteln. Eine sehr granulare Taxonomie, die präzise Schwellenwerte verwendet, soll Klarheit schaffen und das Risiko von Greenwashing minimieren. Dennoch besteht die Gefahr, dass zu granulare und strenge Anforderungen die Bereitschaft der Beteiligten verringern, die Taxonomie in Angriff zu nehmen, was hauptsächlich auf die Kosten des Zugriffs auf die erforderlichen Daten und die Anpassung ihrer internen Prozesse zurückzuführen ist. Andererseits kann eine größere Flexibilität bei der Definition von Screening-Kriterien die Verwendung der Taxonomie erleichtern, aber das Risiko abweichender Interpretationen und Greenwashing erheblich erhöhen. Eine weitere Herausforderung bei der Definition der Screening-Kriterien ist die Festlegung angemessener Schwellenwerte. Die Festlegung zu niedriger oder zu hoher Schwellenwerte, die nicht den besten Marktpraktiken entsprechen, würde das ultimative Ziel der Taxonomie untergraben, Finanzströme auf nachhaltige Investitionen umzulenken. Folglich wurde die Auswahl der Schwellenwerte der Taxonomie sorgfältig abgewogen, basierend auf bestehenden Standards und Konsultationsprozessen mit Experten in den relevanten Sektoren.“
Die Taxonomie verkommt zum politischen Spielball
Diese Erklärung macht deutlich, dass sich die TEG Schwellenwerten nicht als biophysikalische Realitäten nähert, die unbedingt eingehalten werden müssen, um Nachhaltigkeit in der realen Welt zu erreichen, sondern eher als politische Variablen, die für Verhandlungen zwischen Personen mit unterschiedlichen Machtpositionen offen sind. Daher ist es wichtig zu verstehen, dass der Begriff Schwellenwert sich nicht auf Nachhaltigkeit bezieht, sondern definiert, welcher Wert die beste Marktpraktiken widerspiegelt, mit dem ultimativen Ziel, Finanzströme auf nachhaltige Investitionen umzulenken. Investitionen können grundsätzlich nicht nachhaltig sein, wenn die Schwellenwerte, an denen sie gemessen werden, von der biophysikalischen Realität getrennt sind!
Seither ist die Entwicklung der Taxonomie ein politischer Spielball für unsägliche Machtspiele und nationalstaatliche Egoismen. Mit dem Beschluss der EU-Kommission, Gas und Kernenergie (unter Auflagen) zu nachhaltigen Investments zu deklarieren, schafft sich die Taxonomie von selbst ab. Sie verkommt zur Farce, und obwohl noch immer nicht klar ist, ob es überhaupt eine soziale Taxonomie geben wird, verkündet die Rüstungsindustrie durch ihren Branchenverband BDSV bereits, dass sie nachhaltig sei – die Rüstungsgüter seien schließlich Voraussetzung für Sicherheit und Frieden (Tagesspiegel Background berichtete).
Die Geister, die man rief … man wird sie nicht mehr los. Und damit ist der Green Deal bereits Makulatur. Man hätte einfach nur ehrlich sein müssen. Man hätte einfach auf die Wissenschaft hören sollen. Wie kann man dies unseren Kindern noch erklären?