Erweiterte Suche

Sustainable Finance

Standpunkte ESG treibt Wirtschaftswachstum

Nils Krause ist Partner der Wirtschaftsanwaltskanzlei DLA Piper
Nils Krause ist Partner der Wirtschaftsanwaltskanzlei DLA Piper Foto: Cornelis Gollhardt

Der rechtliche Zwang, ESG-Kriterien einzuhalten, fordert die Unternehmen in Deutschland und Europa heraus. Zugleich wirkt sich die richtige Umsetzung regelmäßig positiv auf die Wirtschaftsleistung von Unternehmen aus und bildet eine Chance, meint Nils Krause, Partner im Hamburger Büro der internationalen Wirtschaftsanwaltskanzlei DLA Piper und Mitherausgeber des Praxishandbuchs ESG.

von Nils Krause

veröffentlicht am 02.11.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Als 2015 die Agenda 2030 verabschiedet wurde, versprach sie, den weltweiten Anstrengungen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung, ein friedliches Miteinander sowie eine intakte Umwelt endlich Schwung zu verleihen. Nachhaltiges Wirtschaften ist 2023 längst kein Fremdwort mehr. Für viele Unternehmen stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Ob der Einhaltung von Kriterien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG).

Vielmehr sind sie aufgrund rechtlicher Vorgaben mittel- oder unmittelbar dazu gezwungen, bestimmte ESG-Anforderungen umzusetzen. Dieser Zwang, der zweifelsohne Anstrengungen und Herausforderungen für die Unternehmen mit sich bringt, ist dennoch positiv für die Wirtschaftsfähigkeit von Unternehmen. Das wird deutlich, wenn man das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, die weit über ein ESG-Scoring bei Finanzierungsfragen hinausgehen.

Kundinnen und Kunden sind mächtiger denn je

ESG-Strategien zahlen auf die Reputation von Unternehmen ein. Eine gute Reputation kann das Halten und Gewinnen von Kundinnen und Kunden positiv beeinflussen. Je größer das Unternehmen ist und je stärker es in der Öffentlichkeit steht, umso größer ist dieser Effekt. Kundinnen und Kunden können heute eine gute ESG-Performance goutieren, denn ihr Einfluss ist größer als jemals zuvor. Da sie im Internetzeitalter ihre Meinung öffentlich machen, haben sie die Macht, die Kaufentscheidung anderer zu beeinflussen.

Studien geben Hinweise darauf, dass soziale Handlungen von Unternehmen dazu führen können, dass ebenso die Produkte der entsprechenden Unternehmen von Kundinnen und Kunden als höherwertig betrachtet werden. Es scheint ein psychologisches Phänomen darin zu bestehen, dass Kundinnen und Kunden der Auffassung sind, dass Unternehmen mit ESG-Ansätzen auch gute Produkte herstellen. Nachgewiesen ist außerdem, dass viele Kundinnen und Kunden bereit sind, für ökologische Produkte mehr auszugeben als für vergleichbare weniger ökologische Angebote.

Eine gute ESG-Leistung bietet aber auch im Verhältnis zu den Lieferanten Wettbewerbsvorteile. So profitieren nachhaltiger wirtschaftende Unternehmen zum Beispiel, indem Lieferanten diesen eher Lieferantenkredite einräumen. Dies liegt unter anderem daran, dass Lieferanten ESG-Aktivitäten als vertrauenswürdig betrachten und insofern davon ausgehen, dass diese Unternehmen eher ihre Verbindlichkeiten begleichen.

Einen Vertrauensvorschuss genießen Unternehmen, die ihr Handeln nach ESG-Kriterien ausrichten, zudem von Behörden und anderen staatlichen Stellen. Eine nachhaltigere Ausrichtung erleichtert ihnen laut einer Studie, Genehmigungen zu erhalten und neue Märkte zu erschließen. Unternehmen, die derartige Kriterien einhalten, haben weniger häufig mit behördlichen Interventionen zu tun, zumal sich Unternehmen an viele ESG-bezogene gesetzliche Regelungen zu halten haben.

So ist etwa am 1. Januar dieses Jahres das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten. Es zwingt Unternehmen ab einer bestimmten Größe, in ihren Lieferketten über den eigenen Geschäftsbetrieb hinaus bestimmte menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltsplichten zu beachten und zu dokumentieren.

Daneben haben, basierend auf EU-Richtlinien, diverse Berichterstattungspflichten Einzug in das deutsche Bilanzrecht gefunden. Und die vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird ab 2024 den Umfang und die Art der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen nochmal tiefgreifend ändern und die Berichterstattung für Unternehmen hochkomplex machen.

ESG-starke Unternehmen sind innovationsfreudiger

Eine starke ESG-Performance hilft Unternehmen, gute Arbeitnehmerinnen und -nehmer zu gewinnen und zu halten. Relevante Maßnahmen sind hierfür alle Praktiken, die dazu führen, das Wohlbefinden der Beschäftigten zu erhöhen. Laut der aktuellen Studienlage haben solche Unternehmen auch eine geringere Fluktuation an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und somit insgesamt niedrigere Personalkosten. Zudem zeigt sich in nachhaltig ausgerichteten Unternehmen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über mehr Motivation, Moral und Produktivität verfügen.

Spannend ist in diesem Kontext vor allem, dass ESG-starke Unternehmen innovationsfreundlicher sind. Tatsächlich hat sich laut dem Journal of Corporate Finance gezeigt, dass solche Unternehmen mehr in Forschung und Entwicklung investieren und die Patentanmeldungen insgesamt höher ausfallen. Es scheint, dass sich Arbeitnehmerinnen und -nehmer in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre kreativer entfalten können und weniger Angst haben, mit ihren Ideen zu scheitern. Dies kann eher dazu führen, dass neue Ideen entwickelt und durchgesetzt werden.

Auch für Investoren spielen ESG-Kriterien eine immer größere Rolle bei Investitionsentscheidungen. Gründe hierfür sind unter anderem das Klimaschutzabkommen von Paris und die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Diese Übereinkünfte wirken in verschiedener Weise auf Investoren und lenken ihre Investmententscheidungen zumindest teilweise in die Richtung nachhaltiger Unternehmen. Darüber hinaus erleichtert vor allem die EU-Taxonomie, die mit ihrem Klassifizierungssystem ein Label für nachhaltige Unternehmen bietet, den Investoren, ihre Investitionen nachhaltig auszurichten.

Systemischer Wandel erfordert ganzheitliche Strategie

Hinzu kommen Initiativen aus der Industrie, die nachhaltige Investments besser kennzeichnen. So erstellte eine Initiative europäischer Finanzdienstleister zum Beispiel das „European ESG Template“, das die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen standardisieren soll. Dass sich nachhaltiges Investieren lohnt, lässt sich auch mit Renditezahlen belegen. Eine Metaanalyse von rund 1000 Studien hat gezeigt, dass 59 Prozent von ihnen nachwiesen, dass ESG-Investments gleiche oder höhere Renditen als konventionelle Investments erzielten.

Ob man sich 2015 mit Verabschiedung der Agenda 2030 bewusst war, dass Deutschland mit dem ökologischen Umbau seiner Wirtschaft vor einer der größten Herausforderungen der Nachkriegszeit steht, ist unklar. Die Anstrengungen sind in jedem Fall erheblich, die deutsche Wirtschaft klimaneutral zu gestalten. Doch die Erkenntnis, dass diese systemische Transformation mittel- bis langfristig die deutschen Unternehmen fit für die Zukunft macht und die Nachhaltigkeitsfähigkeit eine Chance im internationalen Wettbewerb sein kann, scheint sich langsam in der Gesellschaft und den Unternehmen durchzusetzen. Umso wichtiger ist es, Umwelt-, Sozial- und Governancethemen sinnvoll, ganzheitlich und effektiv in die Unternehmensstrategie einzubetten.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen