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Sustainable Finance

Standpunkte Ohne „S“ kein ESG

Edda Schröder, Geschäftsführerin, Invest in Visions
Edda Schröder, Geschäftsführerin, Invest in Visions Foto: InvestInVisions GmbH

Eine grüne EU-Taxonomie reicht nicht, um die sozialen Ziele der Weltgemeinschaft zu erreichen, meint Edda Schröder, Gründerin und Geschäftsführerin von Invest in Visions, einem auf sozial wirkende Anlagen fokussierten Impact-Investor.

von Edda Schröder

veröffentlicht am 04.11.2021

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Die Europäische Kommission hat seit der Verkündung ihres Aktionsplans für ein nachhaltiges europäisches Finanzsystem im Jahr 2018 bereits mehrere regulatorischen Elemente für dessen grundlegende Umformung geliefert. Als ein Meilenstein gilt die Verabschiedung einer Taxonomie für wirtschaftliche Aktivitäten, die zur Abmilderung des Klimawandels beitragen soll. Weitere ökologische Klassifizierungssysteme sind in Arbeit.

Aktuell wird diskutiert, ob es daneben auch eine soziale Taxonomie geben soll. Falls es nicht dazu kommen sollte, würde aus dem sozialen Bereich lediglich der in der „grünen“ Taxonomie enthaltene „Mindestschutz“ aus Artikel 18 der Taxonomie-Verordnung angewendet. Das wäre deutlich zu wenig! Wenn es tatsächlich um eine „große Transformation“ des Finanzsystems gehen soll, darf der mittlere Buchstabe in „ESG“ nicht klein geschrieben werden. Es müssen ebenfalls die großen sozialen Probleme unserer Zeit wie Armut und Ungleichheit, die die Corona-Pandemie verschärft hat, angegangen werden.

Großes Interesse an sozial nachhaltigen Investments

Dies entspricht auch der Zielsetzung der „Agenda 2030“, den 17 UN-SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen, eines der zentralen Zukunftsdokumente der Weltgemeinschaft, in der soziale und Entwicklungsziele sogar stärker gewichtet sind als ökologische.

Die Argumente für eine soziale Taxonomie sind ähnlich gelagert wie diejenigen, die zur Einführung der ökologischen geführt haben: Es soll Kapital in wirtschaftliche Aktivitäten umgelenkt werden, die zur Erfüllung sozialer Ziele beitragen. Die Voraussetzungen dafür sind gut, da Investoren großes Interesse an sozial nachhaltigen Investments haben. Dies zeigen die konstant steigenden Erlöse aus Finanzinstrumenten wie „Social Impact Bonds“ oder auch Bildungsanleihen.

Doch herrscht Unsicherheit darüber, welche Produkte tatsächlich sozial nachhaltig sind und welche nur sozial „gewaschen“ werden. Um diese Unsicherheit auszuräumen und Vertrauen im Markt zu stiften, ist ein Klassifizierungssystem notwendig, das Investoren dabei hilft, sozial nachhaltige Investments klar von solchen zu unterscheiden, die es nicht sind. Auch um Nachhaltigkeitsrisiken zu erkennen und zu senken, ist dies für Finanzmarktteilnehmer wichtig.

Ökologische und soziale Umstände greifen ineinander

Außerdem ist zu bedenken, dass ökologische und soziale Umstände oft eng ineinandergreifen, beispielsweise bei der Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Überdies müssen die sozialen Probleme abgefedert werden, die sich aus dem durch die Öko-Taxonomie ausgelösten Strukturwandel ergeben werden. Eine Öko-Taxonomie reicht folglich nicht.

Eine soziale Taxonomie zu verfassen, ist in mancher Hinsicht herausfordernder als eine „grüne“. Schließlich kann es im sozialen Bereich nicht nur darum gehen, negative Auswirkungen zu verhindern. Wie der im Juli zur Konsultation gestellte Bericht der „EU Platform for Sustainable Finance“ betont, müssen Wirtschaftsaktivitäten darüber hinaus einen „substanziellen“ positiven Beitrag zugunsten eines sozialen Ziels leisten. Wie viel nun ein bestimmtes Finanzprodukt zu einer sozialen Zielsetzung beiträgt, lässt sich jedoch nicht immer mit derselben Präzision bestimmen wie der CO2-Abdruck eines Portfolios. Denn soziale Probleme wie Armut und Ungleichheit haben komplexe und multiple Ursachen, die oft in spezifischen Kontexten verankert sind.

Ist soziale Nachhaltigkeit also nicht messbar? Keineswegs. Denn in jedem Fall kann die Bereitstellung bestimmter Produkte und Dienstleistungen gemessen werden, die einen in der Menschenrechtserklärung von 1948 für alle Menschen geforderten „adäquaten Lebensstand“ ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise eine erschwingliche Gesundheitsversorgung, bezahlbarer Wohnraum, menschenwürdige Arbeit und der Zugang zu Finanzdienstleistungen. Wer diese für Menschen verfügbar macht, die bislang keinen oder nur eingeschränkten Zugang dazu haben, leistet ganz klar einen „substanziellen Beitrag“ zu einem sozialen Ziel. Dies ist sowohl quantitativ als auch qualitativ messbar. Darum plädieren wir stark dafür, eine soziale Taxonomie einzuführen.

Soziale Taxonomie mit angemessenem Ambitionsniveau

Sollte sich die EU-Kommission dazu entschließen, wird eine der größten Herausforderungen in der Definition von Indikatoren und Schwellenwerten für die einzelnen Sektoren liegen. Denn aus ihnen ergibt sich möglicherweise ein erhöhter Aufwand in der Datenbeschaffung für die Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte, den sie auch von den jeweiligen Unternehmen in der Realwirtschaft fordern werden.

Wäre dieser Mehraufwand oder die Art der zu beschaffenden Daten für die Unternehmen nicht realistisch umsetzbar, würde dies die Absicht der Taxonomie konterkarieren. Die Gefahr bestünde dann, dass nur aus diesem Grund viele nachhaltige Unternehmen nicht als solche eingestuft werden könnten. Die schwierige Datenlage besteht gerade in Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen zweifellos ein großer Bedarf an sozial nachhaltigen Investitionen besteht. Hier gilt es, eine zielgerichtete Balance zu finden. Denn die Anforderungen sollten andererseits auch nicht zu unkonkret sein, weil dann die Chance verpasst würde, den Druck auf die Unternehmen sanft zu erhöhen und für eine Verbesserung und langfristige Angleichung der Reporting-Standards zu sorgen.

Benötigt wird also eine soziale Taxonomie mit einem angemessenen Ambitionsniveau. Dies wäre zweifellos ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einem nachhaltigen und zukunftsfähigen Finanzsystem.

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