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Gesundheit & E-Health

Standpunkte DRGs gefährden Rheuma-Versorgung

Hanns-Martin Lorenz, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie
Hanns-Martin Lorenz, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie Foto: privat

Deutschland hat ein Defizit in der Versorgung von Rheumapatienten, das vor allem deshalb existiert, dass die Anzahl der fachbezogenen Weiterbildungsstellen an den Erlösen über Fallpauschalen orientiert werden, schreibt DGRh-Vorstandsmitglied Hanns-Martin Lorenz und fordert eine garantierte Mindestzahl von Weiterbildungsstellen für die Rheumatologie, wie es auch in Italien und Frankreich der Fall ist.

von Hanns-Martin Lorenz

veröffentlicht am 23.10.2020

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Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Es leistet sich ein Gesundheitssystem, dass im Schnitt mehr als 4.000 Euro je Einwohner jährlich ausgibt. Dies entspricht in der Summe etwa dem Bundeshaushalt der Republik. Dennoch haben Patienten mit bestimmten Erkrankungen große Schwierigkeiten einen Facharzttermin zu bekommen. Das betrifft auch Patienten mit „Rheuma“, also entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. 1,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, das sind rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung. 

Selbst eine rheumatoide Arthritis (RA) – mit 60 bis 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste und bekannteste Rheumaart – wird im Schnitt erst nach neun Monaten diagnostiziert. Patienten mit selteneren Rheumaformen warten noch deutlich länger, zum Teil mehrere Jahre auf Diagnose und Therapie – ein Ausdruck der mangelhaften Versorgung der Rheumapatienten in unserem Land. Für die Betroffenen kann das gravierende Folgen haben: einerseits leiden sie unnötig lange unter den Symptomen ihrer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, die fast immer mit Schmerzen, Schlafmangel und Abgeschlagenheit, manchmal auch mit einer Depression einhergeht. Andererseits hängt der weitere Krankheitsverkauf wesentlich davon ab, wann eine wirksame Therapie beginnt: die rheumatische Entzündung richtet sich gegen den eigenen Körper und zerstört nach und nach dessen Organe und Gewebe.

Gelingt es nicht, diese Entzündung früh unter Kontrolle zu bringen, entwickelt unser menschliches Immunsystem ein Gedächtnis – wie nach einer Impfung. Damit steigt mit jedem Tag der ungehemmten Entzündung die Gefahr, dass sie chronisch wird, sich nur schwieriger behandeln lässt und im ungünstigsten Fall zu irreversiblen Schäden führt. Umgekehrt könnten wir viele entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit einer frühen und konsequenten Therapie wirksamer und wahrscheinlich auch kostensparender behandeln (1): das muss das Ziel für jede Erkrankung, gerade aber auch für die Volkskrankheiten „Rheuma“ und noch dazu in unserem reichen Land sein.

Fachabteilungen in den Kliniken fehlen

Im besten Fall sollte es deshalb nicht länger als sechs Wochen dauern, bis ein Patient mit Anzeichen einer entzündlich-rheumatische Erkrankung einem dafür ausgebildeten Internisten, dem Rheumatologen, vorgestellt und die geeignete Therapie eingeleitet wird. Dieses Ziel verfehlt Deutschland. Ein Grund hierfür ist die zu geringe Zahl verfügbarer Rheumatologen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, zentral dabei ist aber der Mangel an Weiterbildungsstellen. Denn das Interesse der jungen Kolleginnen und Kollegen an diesem spannenden und innovativen Fach der Inneren Medizin ist sehr hoch. Doch die meisten Bewerbungen der jungen Ärzte stoßen mangels rheumatologischer Fachabteilungen in den Kliniken auf Absagen. Die Folge: der „rheumatologisch Nachwuchs“ findet keine Weiterbildungsstellen und das Interesse erlischt zwangsweise. 

Das Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie DGRh e.V. (2) schätzt, dass Deutschland für eine gute Versorgung mindestens 1.350 Rheumatologen benötigt. Zurzeit liegt deren Zahl mit 750 etwa bei der Hälfte. Um gegenzusteuern, müsste die Zahl der rheumatologischen Stellen an den Weiterbildungsstätten – das sind in überwiegendem Maße die Kliniken – deutlich steigen. 

Erlöse entscheiden über Weiterbildungsstellen

Eine wesentliche Hürde hierfür ist das im Jahr 2004 eingeführte Abrechnungssystem nach sogenannten Diagnosis-Related-Groups (DRG). Das DRG-System gibt vor, dass stationäre Patientenversorgung über Fallpauschalen vergütet wird. Die Höhe der Pauschalen richtet sich nach Art und Schwere der Erkrankung. Das führt dazu, dass die Behandlung bestimmter Patienten sich für eine Klinik abrechnungstechnisch eher „lohnt“ als andere. Durch diese Fallpauschalisierung zerfällt die Klinik in finanzkräftige und weniger finanzkräftige Abteilungen. Diesen „schwächeren“ Abteilungen teilen die Klinikleitungen in der Regel weniger Weiterbildungsstellen zu. So führt das alleinige Regulativ DRG-Erlös zu einer unzureichenden Ausstattung mit Weiterbildungsstellen in den eher ambulant ausgerichteten Fächern wie etwa der Rheumatologie: Ein Regulativ, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung völlig aus den Augen verloren hat.

Solange die Anzahl der fachbezogenen Weiterbildungsstellen ausschließlich dem Geldumsatz folgt und den Versorgungsbedarf der Bevölkerung ignoriert, bleibt das Versorgungsdefizit bestehen. Dies führt dazu, dass Diagnose und Therapie der rheumatischen Erkrankung zu spät kommen mit allen oben geschilderten Konsequenzen. Der dadurch verschlechterte Verlauf belastet nicht nur die Menschen mit Rheuma, sondern auch wirtschaftliche unser gesamtes Gesundheitssystem: der finanzielle Aufwand für die Rheumatologie ist bereits jetzt der zweitgrößte unter allen Fachdisziplinen. 

Die aktuell finanzgetriebene Stellenzuweisung der Fachdisziplinen in Krankenhäusern trägt somit wesentlich zum Versorgungsmangel der Bevölkerung bei. Um dies zu beheben, muss es die Gesundheitspolitik zu ihrem Anliegen machen, eine Mindestzahl von Weiterbildungsstellen für die Rheumatologie zu garantieren. Länder wie Frankreich oder Italien haben dies bereits erfolgreich umgesetzt. Die Ausstattung der unterschiedlichen medizinischen Abteilungen an den Krankenhäusern als wichtigste Weiterbildungsstätten darf nicht allein finanziellen Gesichtspunkten folgen. Stattdessen sollte der Bedarf in der Bevölkerung entscheidend sein – das muss der Anspruch in unserem reichen Land sein, das sind wir den Beitragszahlern schuldig. Nur so und durch einen gute qualifizierte fachspezifische Weiterbildung der Assistenzärzte können wir eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau gewährleisten. 

Professor Hanns-Martin Lorenz ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg und medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des Rheumazentrums Baden-Baden.

Literatur:

  1. Lorenz HM, Wendler J, Krause A, Improvement of prognosis by timely treatment: Requirement: initial presentation within 6 weeks, Z Rheumatol. 2019 Jun;78(5):396-403
  2. Zink A, Braun J, Gromnica-Ihle E, Krause D, Lakomek HJ, Mau W, Müller-Ladner U, Rautenstrauch J, Specker C, Schneider M, Memorandum of the German Society for Rheumatology on the quality of treatment in rheumatology - Update 2016, Z Rheumatol. 2017 Apr;76(3):195-207

 

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