Die Debatte um die Masernimpfpflicht hallt noch ein bisschen nach, aber im Großen und Ganzen ist das Thema jetzt erst mal durch. Wir warten noch auf die Umsetzung und haben die Hoffnung, dass das Bundesgesundheitsministerium den liberalen Vorschlägen ein bisschen Gewicht zumisst und die Bürgerinnen und Bürger mit den notwendigen digitalen Hilfsmitteln ausstattet, die ihnen helfen, den eigenen Impfstatus besser im Blick zu haben und gegebenenfalls nachzuimpfen. Und dass das Ministerium die Länder auffordert, den öffentlichen Gesundheitsdienst mit genügend Kompetenz auszustatten, um großflächig zu impfen. Denn, und das muss ein bisschen nachtragend noch einmal erwähnt werden: Um das Versäumnis beim Impfstatus der Erwachsenen hat sich Jens Spahn nur wenig gekümmert und schon gar nicht die Pflicht ausgeweitet. Frei nach dem Motto: den Kindern die Pflicht, den Erwachsenen die Ehre. Aber so funktioniert das nicht. Selbst Kinderkrankheiten sind ausgewachsene Infektionen mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen – auch für Erwachsene.
Wer in dieser Debatte auch ein wenig vergessen wurde, das sind die Ärztinnen und Ärzte, die als primäre Gesundheitsberater das Vertrauen der Patientinnen und Patienten haben. Ärztinnen und Ärzte sind im besten Sinne einer sich dem Patienten zuwendenden Medizin nicht nur Handwerker, die eben Krankheiten behandeln. Nein, sie sind auch im Sinne der Prävention verantwortlich. Dies ist ein sehr sensibler Bereich. Aus meiner 30-jährigen Erfahrung als Arzt kann ich sagen, dass es einfach ist, einem Patienten zu sagen, dass er eine bestimmte Krankheit hat und diese mit einer bestimmten Behandlung behandelt werden sollte, damit sich die Gesundheit wieder einstellt. In diesem Sachverhalt sind Arzt und Patient schnell Partner und das Ziel ist klar.
Ärztekammern in der Pflicht
Ist die Krankheit aber noch gar nicht da und zeigt sich auch am Horizont nicht ein Zeichen für das vielleicht auftauchende Übel, dann wird es schwieriger, den Patienten zu überzeugen, dass eine präventive Handlung notwendig ist. Und genau hier befinden sich Ärztinnen und Ärzte, wenn es um die Beratung von Impfungen geht. Und genau hier versagen Ärztinnen und Ärzte, wenn sie falsch beraten.
In meiner Rede im Deutschen Bundestag zur Masernimpfpflicht habe ich gesagt: „Eltern werden weiterhin professionell wissenschaftlich aufgeklärt von Ärzten. Ihnen wird erklärt, was da passiert, nicht mehr und nicht weniger. Sollten aber Ärzte falsch aufklären, da sind die Ärztekammern in der Pflicht. Sie müssen handeln, wenn falsche Aufklärung stattfindet.“ Darauf ist leider in der öffentlichen Debatte keiner eingegangen. Dabei ist das ein wesentlicher Aspekt.
Wir haben in den Briefen und Mails, die von Impfgegnern kamen, immer wieder pseudowissenschaftliche Argumente lesen müssen (Stichwort: Autismus). Diese Argumente kommen nicht aus dem Nichts; sie werden teilweise von (sehr wenigen) Ärztinnen und Ärzten, Heilpraktikern und selbst berufenen Wissenschaftlern publiziert, verbreitet und teilweise mit Verve vorgetragen.
Pseudoargumente von Impfgegnern
Sehr oft musste ich mich fragen lassen, warum wir nicht die „Ärzte für individuelle Impfentscheidung" zur Anhörung im Ausschuss hatten. Die Antwort ist einfach: weil dieser Verein ein verdeckter Tummelplatz für Impfgegner ist und diese mit Pseudoargumenten ausstattet. Kein Wissenschaftler gehört dieser Gruppe an und es war auch nicht der Ansatz eines Zusatzgewinns von Wissen aus dieser Gruppe zu erwarten. Leider sind es eben Ärztinnen und Ärzte, die dort versammelt sind und Ärztinnen und Ärzte haben in Deutschland ein hohes wissenschaftliches und fachliches Ansehen. Zu Recht! Ein hervorragendes Studium und eine ärztliche Ausbildung befähigen dazu, sich um Leib und Leben zu kümmern. Aber leider schießt auch bei uns der eine oder die andere malquer – und das kann schwerwiegende Folgen haben.
Wer sich beispielsweise von einem Arzt für eine individuelle Impfentscheidung aufklären lässt, der geht damit ein Risiko ein, das er selbst nicht mehr beurteilen kann, weil er auf die Kompetenz des Arztes vertraut und nicht weiß, dass dieser außerhalb der evidenzbasierten Medizin argumentiert und das Risiko seines Patienten in Kauf nimmt. Wenn so etwas passiert, dann stehen aus meiner Sicht die Ärztekammern in der Pflicht. Denn diese haben darauf zu achten, dass wir Ärztinnen und Ärzte im Sinne des Patienten arbeiten und dass die Basis unserer Arbeit wissenschaftlich und evidenzbasiert ist.
Andrew Ullmann sitzt für die FDP im Bundestag uns ist dort Obmann im Gesundheitsausschuss. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Professor für Infektiologie an der Uniklinik Würzburg.