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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Infektionsgeschützt durch Beschichtungen

Wulf Schneider, Infektiologe am Uniklinikum Regensburg
Wulf Schneider, Infektiologe am Uniklinikum Regensburg Foto: privat

Händehygiene und routinemäßige Flächen-Desinfektion sind oft zu lückenhaft, um Krankheitserregern verlässlich den Garaus zu machen. Wegweisend im Kampf gegen Viren und Bakterien auf unbelebten Oberflächen könnten dagegen antimikrobiell wirksame Beschichtungen in Gesundheitseinrichtungen sein, meint der Regensburger Infektiologe Wulf Schneider.

von Wulf Schneider

veröffentlicht am 31.08.2021

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Kürzlich wurde im renommierten Journal „The Lancet Global Health“ beschrieben, was uns die aktuelle Corona-Pandemie drastisch vor Augen geführt hat: die Bedeutung von Hygiene und Infektionskrankheiten, der schnelle Verlust von Erfolgen in der Gesundheitserhaltung sowie die Wichtigkeit eines widerstandsfähigen Gesundheitssystems. Andere Autoren befürchten zudem, dass der wichtige Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und multiresistente Bakterien durch die Corona-Pandemie ins Hintertreffen gerät, obwohl durch bakterielle Infektionen nach wie vor unzählige Menschen weltweit sterben.

Das Immunsystem des Menschen bietet normalerweise einen wirksamen Schutz gegen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren, außer bei Personen mit geschwächtem Immunsystem. An Orten, an denen zahlreiche Menschen aufeinandertreffen, ist das Risiko von Keimbelastungen größer, besonders sensible Bereiche sind hier Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Leider ist der Mensch nicht immer zuverlässig

Die demographische Entwicklung, immer komplexere medizinische Eingriffe, Pandemien sowie der weltweite Anstieg antibiotikaresistenter Bakterien tragen zur Zunahme nosokomialer, also im Krankenhaus aufgetretener, Infektionen bei. Ein Drittel nosokomialer Infektionen gilt als vermeidbar – durch bessere Hygiene und Infektionsschutzmaßnahmen.

Häufig werden die Infektionserreger von Mensch zu Mensch übertragen. Daher sollte eine korrekte Desinfektion der Hände vor/nach Patientenkontakt, vor aseptischen Tätigkeiten, nach Kontakt mit infektiösem Material und nach Kontakt mit der Patientenumgebung erfolgen. Leider ist der Mensch nicht immer so zuverlässig, denn aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die mittlere Compliance der Händehygiene bei nur etwa 40 Prozent liegt.

Erreger auf Oberflächen teilweise wochenlang infektiös

Ein weiteres Problem: Nicht desinfizierte Hände berühren auch unbelebte Oberflächen, welche zusätzlich durch humane, virushaltige Aerosole kontaminiert werden können. Bakterien und Viren können zum Teil Tage und Wochen auf unbelebten Oberflächen überleben beziehungsweise infektiös bleiben. Somit entstehen auf solchen, häufig angefassten Oberflächen Reservoirs an Erregern, welche bei jeder weiteren Berührung eine nosokomiale Transmission auf weitere Menschen und Oberflächen auslösen können. So ist es nicht überraschend, dass inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien einen Zusammenhang zwischen unzureichender Desinfektion von patientennahen Oberflächen und dem Auftreten von nosokomialen Infektionen herstellen.

Unbelebte Oberflächen in Gesundheitseinrichtungen werden eigentlich nach einem vorgegebenen Plan desinfizierend gereinigt. Im Gegensatz zur Händehygiene ist die Compliance der Flächendesinfektion wissenschaftlich wenig untersucht und liegt teilweise unter 50 Prozent. Hinzu kommt, dass die routinemäßige Desinfektion von Oberflächen nur zum Zeitpunkt ihrer Durchführung wirkt. Das ist unabhängig davon, wie regelmäßig und gewissenhaft sie verrichtet wird, was auch in Gesundheitseinrichtungen leider nicht immer der Fall ist. Bereits Minuten nach der Desinfektion erfolgt oftmals durch erneute Berührung die Re-Kontamination von Oberflächen wie Türklinken, Patientenbetten oder medizinischen Geräten.

Nicht alle Technologien halten, was sie versprechen

Der Einsatz antimikrobiell wirksamer Beschichtungen von Oberflächen könnte für Gesundheitseinrichtungen als Prävention der nosokomialen Transmission von Krankheitserregern wegweisend sein. Routine-Flächendesinfektion wirkt schnell, aber nur kurzzeitig. Antimikrobielle Beschichtungen sind in ihrer Wirkung etwas langsamer, aber wirken dafür selbstständig und permanent mit einer „Compliance“ von 100 Prozent. Der gleichzeitige Einsatz von antimikrobiellen Beschichtungen und Routine-Desinfektion kann ein erheblich verbessertes Schutzkonzept ermöglichen.

Im vergangenen Jahr sind, verstärkt auch durch die Corona-Pandemie, eine Vielzahl seriöser und weniger seriöser Anbieter von antimikrobiellen Beschichtungen auf dem Markt erschienen. In den Beschichtungen werden häufig Silber- und Kupfer-Ionen, UV-Strahlung oder klassische Biozide eingesetzt. Nicht alle Ansätze und Technologien halten, was sie versprechen.

Antimikrobielle Beschichtungen müssen einige wichtige Kriterien erfüllen. Zunächst sollten keine bioziden Stoffe eingesetzt werden, die Menschen oder Umwelt gefährden. Da die meisten unbelebten Oberflächen trocken sind, muss das Verfahren auch in diesem Falle, also nicht ausschließlich auf nassen oder angefeuchteten Flächen funktionieren. Dazu müssen auch die derzeit verwendeten Testnormen angepasst oder ersetzt werden. Die bioziden Verfahren dürfen keine Resistenzen und keine Ko- oder Kreuzresistenzen bei Antibiotika und Antiseptika erzeugen, wie es beispielsweise bei Metallionen und quaternären Ammoniumverbindungen der Fall ist.

Mehrmonatige Feldtests vonnöten

Der Einsatz von antimikrobiellen Beschichtungen sollte nicht allein auf Basis eines Labortests unter Vorweisen eines Zertifikats möglich sein. Vielmehr sollte das Produkt unter realen Bedingungen in einem mehrmonatigen Feldtest seine Wirksamkeit unter Beweis stellen. Nur damit ist sichergestellt, dass diese Beschichtung ihren Zweck erfüllt, so wie es für die innovative photodynamische Technologie bereits gezeigt wurde.

In einem Kommentar in „Nature Reviews Microbiology“ verweisen die Autoren unter anderem darauf, dass die vielfältigen Anstrengungen und Erfahrungen in der Corona-Pandemie für eine Verbesserung des vorhandenen Infektionsschutzes genutzt werden sollten. Die Autoren fordern ein Bündel von Maßnahmen, darunter eine intensivierte antimicrobial stewardship, den Einsatz Künstlicher Intelligenz sowie neue diagnostische und therapeutische Verfahren. Innovative Verfahren in der Hygiene, insbesondere antimikrobielle Beschichtungen von Oberflächen, könnten einen weiteren wichtigen Teil dieses Bündels bilden – wenn sie keine weiteren Antibiotikaresistenzen auslösen und wissenschaftlicher Überprüfung standhalten.

Professor Wulf Schneider ist Leiter der Abteilung für Krankenhaushygiene und Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg.

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