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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Innovation und Föderalismus - das geht!

Johanna Mair, Hertie School und Stanford University, und Thomas Gegenhuber von der Leuphana Universität Lüneburg
Johanna Mair, Hertie School und Stanford University, und Thomas Gegenhuber von der Leuphana Universität Lüneburg Foto: Hertie School/Leuphana

Der Sommer hätte genutzt werden müssen, um digitale Lösungen für Kontaktverfolgung und Kontaktmanagement in der Corona-Pandemie zu implementieren, kritisieren Johanna Mair und Thomas Gegenhuber. Die beiden Wissenschaftler, die gemeinsam für die Begleitforschung beim #WirVsVirus-Hackathon zuständig sind, fordern Mut und Flexibilität von der Verwaltung.

von Thomas Gegenhuber und Johanna Mair

veröffentlicht am 09.11.2020

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Die Gesundheitsämter in Berlin haben kapituliert. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte, aufgrund der derzeitigen Lage sei es nicht mehr möglich, bei der Kontaktverfolgung jeden Fall penibel und zügig zu verarbeiten. Bei knappen Ressourcen ist ein Strategiewechsel mit Fokus auf Risikogruppen sinnvoll. Allerdings stellt sich trotzdem die Frage, ob nicht der Sommer hätte genutzt werden müssen, um das Problem der knappen Ressourcen in den Griff zu bekommen.

Funktionierende Lösungen aus dem Hackathon nutzen!

Unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundesregierung wurde der #WirVsVirus-Hackathon veranstaltet. Eine mutige und richtige Entscheidung. Während des Hackathons und durch ein sechsmonatiges Umsetzungsprogramm unterstützt, haben Teams unter anderem funktionierende und getestete digitale Anwendungen entwickelt, um die Effizienz der Verwaltung bei der Kontaktverfolgung und dem Kontaktmanagement zu erhöhen.

Ein Beispiel ist die Open-Source-Anwendung Quarano, die durch die Digitalisierung des Prozesses automatisiert Informationen von Betroffenen einholt (zum Beispiel Self-Service bei Dateneingabe) und damit den Aufwand reduziert. Das Gesundheitsamt Mannheim hat das Tool erfolgreich getestet –und berichtet von einer 80-prozentigen Effizienzsteigerung. Fünf weitere Gesundheitsämter haben bereits Interesse an dieser Anwendung gezeigt.

Ein weiteres Team, IMIS, hat das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung unterstützt und gemeinsam eine Funktion für die automatisierte Erstellung von Quarantäne-Bescheiden entwickelt. Diese Software wird in rund 50 deutschen Gesundheitsämtern verwendet und auch bereits in anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich eingesetzt.

Diese zwei haben sich mit anderen Initiativen aus dem #WirVsVirus-Umsetzungsprogramm zu einem Projektverbund zusammengeschlossen, um gemeinsam Test- und Kontaktverfolgungsprozesse im Gesundheitswesen zu optimieren.

Innovation und Skalierung sind kein Widerspruch zum Föderalismus!

Warum haben sich digital-getriebene und effizientere Prozesse noch nicht deutschlandweit durchgesetzt? Innovieren und Skalieren ist schwierig, wenn das Tagesgeschäft die gesamte Aufmerksamkeit und Ressourcen bindet. Wichtige Antworten sind aber auch im gelebten Modell des Föderalismus zu finden. Zu viele kochen hier zu oft ihr eigenes Süppchen. Und zu viele Köchinnen und Köche verderben bekanntlich den Brei.

Aber der Föderalismus bietet auch eine Chance: Im Kleinen konnten die Teams ihre Anwendungen mit lokalen Gesundheitsämtern oder Instituten testen. Dieses gemeinsame Experimentieren belegt das Potenzial der Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft. Kurzum, innovative Lösungen in der Kontaktverfolgung und im Kontaktmanagement sind bereits vorhanden und können sicher noch verbessert werden – zum Beispiel durch automatisierte SMS und E-Mails an Kontaktpersonen. 

Was wir jetzt dringend brauchen ist das effektive Skalieren dieser Lösungen um die Pandemie in Schach zu halten und einen zweiten Lockdown zu vermeiden. Dafür fehlt es in den Verwaltungen aber bislang an einer offenen Innovationskultur und -struktur. Insbesondere braucht es eine bessere Koordination zwischen den Verwaltungseinheiten im föderalen System, um die Lösungen, die funktionieren, koordiniert und breitflächig umzusetzen. So können wir unseren Föderalismus kurz- und langfristig effektiv gestalten.

Die Verwaltung muss jetzt Mut beweisen!

Was kann getan werden? Offene und partizipative Formen der sozialen Innovation, die ganz gezielt das Potenzial digitaler Technologien nutzen und ausschöpfen, müssen nach ganz oben auf die politische Agenda. Die Teams, die im #WirVsVirus-Programm über sechs Monate an Lösungen gearbeitet haben, haben Mut bewiesen und ihre Zeit für uns alle investiert, um effektive Lösungen zu schaffen. Nun braucht es ebenfalls (wieder) Mut auf Verwaltungsebene.

Der Bund und die Länder müssen flexiblere Rahmenbedingungen schaffen, um neue und wirkungsvolle digitale Lösungen, die sich bereits im kleinen Rahmen bewährt haben und in Zusammenarbeit mit Anwenderinnen und Anwendern und Expertinnen und Experten entwickelt wurden, rasch implementieren zu können. Wir haben im Sommer wertvolle Zeit verloren. Aber jetzt schon kapitulieren ist keine Option, denn das Virus wird uns noch länger begleiten.

Thomas Gegenhuber, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg und Johanna Mair, Professorin an der Hertie School und der Stanford University bilden das Begleitforschungsteam zum #WirVsVirus-Hackathon und dessen Umsetzungsprogramm.

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