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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Chance oder Herausforderung?

Leiterin des Arbeitskreises DiPA und Digitalisierung in der Pflege beim Spitzenverband digitale Gesundheitsversorgung e.V.
Leiterin des Arbeitskreises DiPA und Digitalisierung in der Pflege beim Spitzenverband digitale Gesundheitsversorgung e.V. Foto: privat

Der demografische Wandel erfordert ein Umdenken in der Gesellschaft. Wichtiger wird daher der breite Zugang zu digitalen Assistenzsystemen in der stationären Pflege, schreibt Menia Ettrich. Die Expertin vom Spitzenverband digitale Gesundheitsversorgung plädiert außerdem für eine stärkere Rolle der DiPAs in der ambulanten Pflege.

von Menia Ettrich

veröffentlicht am 27.06.2023

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Mit der demografischen Entwicklung wird laut Prognose des Statistischen Bundesamtes die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis 2055 um 37 Prozent auf rund 6,8 Millionen steigen. Die Entwicklung des Fachkräftemangels hinzugerechnet wird schnell deutlich: In der stationären wie auch ambulanten Pflege eröffnet sich eine Lücke, die geschlossen werden muss. Ein Weg, mit diesen Entwicklungen umzugehen und die Gesundheitsversorgung in Deutschland weiter zu garantieren, ist der Zugang zu digitalen Assistenzsystemen in der stationären Pflege und zu Digitalen Pflegeanwendungen – kurz DiPA – in der ambulanten Pflege.

Für Pflegeeinrichtungen sind die Vorteile digitaler Assistenzsysteme schnell ersichtlich: Wie in vielen Bereichen des Gesundheitswesens fehlt auch in der Pflege oftmals die Zeit für eine umfassende Betreuung Pflegebedürftiger. Ein besonders zentraler Vorteil häufig KI-basierter Assistenzsysteme ist, dass sie eine Echtzeitüberwachung des Gesundheitszustandes von Pflegebedürftigen ermöglichen. Dadurch wird einerseits das Fehlerrisiko in der pflegerischen Versorgung verringert und ebenso die Genauigkeit der pflegerischen Dokumentation verbessert. Auf diese Weise können die neuen Technologien in der Pflege den Arbeitsalltag von Pflegefachkräften enorm entlasten und die Versorgung optimieren.

Implementierung digitaler Anwendungen: Möglichst leichte Integration

Jedes Jahr werden neue Systeme entwickelt, wie etwa Apps, die demenzkranken Menschen helfen, das Gedächtnis zu trainieren, Senior:innentablets oder Anwendungen, die zur Prävention von Krankheiten oder Stürzen beitragen, wie die KI-basierte Lindera App zur Sturzprophylaxe. Veranschaulicht am Beispiel der Mobilitätsanalyse per App, kann die Implementierung einer solchen Technologie in Pflegeeinrichtungen etwa so aussehen: Pflegekräfte installieren die App auf einem Mobilgerät. Nach einer kurzen Videoaufnahme des Gangs einer Person füllen Pflegekräfte und Senior:innen gemeinsam einen Fragebogen zur medizinischen Vorgeschichte aus.

Anhand der KI-basierten 3D-Ganganalyse und der Daten aus dem Fragebogen berechnet die App im Anschluss das individuelle Sturzrisiko und gibt Empfehlungen zur Sturzprävention und zum Erhalt der Mobilität im Alter. Im Anschluss können die ausgewerteten Daten per Systemintegration von Pflegekräften automatisch in die Pflegedokumentationssoftware übertragen werden. Dabei sind Technologien wie die App zur Sturzprophylaxe aber nicht auf die stationäre Pflege beschränkt – sie können auch in der ambulanten Pflege von Pflegekräften oder auch von den Pflegebedürftigen selbst genutzt werden. Hierfür werden derzeit die sogenannten DiPA eingeführt.

So profitiert die ambulante Pflege von DiPA

Besonders in der ambulanten Pflege, in der es manchmal besonders herausfordernd ist, ein umfassendes Monitoring des Zustands und der Behandlung von Pflegebedürftigen sicherzustellen, wird die Pflege durch Pflegekräfte und Angehörige mithilfe intelligenter und automatisierter Systeme erleichtert. Einerseits verbessern sie die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen dem Pflegeteam und den Pflegebedürftigen. Andererseits helfen sie auch Pflegebedürftigen, ihre personalisierten Pflegepläne im Alltag einzuhalten und fördern so die Verbesserung des Gesundheitszustandes.

Weswegen ist die Pflege noch nicht vollends digitalisiert? Einige Probleme erschweren weiterhin den Einsatz neuer Technologien. Erstens stellt besonders in der stationären Pflege die Interoperabilität ein Problem dar. Die Herausforderung ist dabei, dass alle Technologien, die die Pflegeeinrichtungen nutzen, nahtlos ineinander greifen und sich kein Flickenteppich inkompatibler Einzellösungen ergibt. Problematisch ist außerdem die technische Infrastruktur: In der stationären wie auch der ambulanten Pflege fehlt oftmals die notwendige Ausstattung mit der nötigen Hardware. Gleichzeitig besteht in vielen Pflegeeinrichtungen keine lückenlose WLAN-Verbindung und auch in der ambulanten Pflege ist die Mobilfunkverbindung oder das WLAN der Pflegebedürftigen nicht immer ausreichend, um die Nutzung der Anwendungen zu ermöglichen.

Die Lösung: ein Schulterschluss

Derartige technische Schwierigkeiten sorgen bei Pflegekräften und Pflegebedürftigen schnell für Frustration. Zudem bedeutet die Lösung dieser Probleme enorme Kosten, vor allem in der stationären Pflege. Eine letzte Herausforderung in der ambulanten und stationären Pflege stellt die Schulung von Pflegekräften dar, ohne die die Integration solcher Systeme nicht realisierbar ist. Speziell für den derzeit laufenden Prozess der Zulassung der ersten DiPA für die ambulante Pflege kommt darüber hinaus noch eine weitere regulatorische Hürde durch das besonders voraussetzungsreiche Zulassungsverfahren hinzu.

Die verschiedenen Herausforderungen in der Digitalisierung der Pflege zeigen: Ohne einen Schulterschluss aller Beteiligten sind diese nicht zu bewältigen. Folgende Voraussetzungen müssen geschaffen werden: Eine funktionierende technische Infrastruktur, die Interoperabilität aller Systeme, die umfassende Schulung von Pflegekräften und eine ausreichende finanzielle Unterstützung von Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftigen. Um diese Grundlage zu schaffen, bedarf es des Engagements und der Zusammenarbeit von Technologieunternehmen, Pflegeeinrichtungen, Netzanbietern, Pflegeschulen und Politik. Besonders wichtig ist aus diesen Gründen umso mehr die schnelle und effiziente Entwicklung weiterer Konzepte für die Digitalisierung der Pflege. Nur so können die Weichen für die digitale Transformation des Gesundheitssystems gestellt werden, auf die die Pflege und medizinische Versorgung in Deutschland in Zukunft angewiesen sein wird.

Menia Ettrich ist Linderas Expertin für Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) und leitet den Arbeitskreis DiPA und Digitalisierung in der Pflege beim Spitzenverband digitale Gesundheitsversorgung e.V. 

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