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Cybersecurity

Standpunkte Das Militärische Nachrichtenwesen – ein Nachrichtendienst ohne Regeln?

Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Foto: Promo

Es liegt in der Natur der Sache, dass Nachrichtendienste sich nicht gerne in die Karten schauen lassen. Umso wichtiger ist eine unabhängige Kontrolle, kommentiert Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI).

von Ulrich Kelber

veröffentlicht am 31.10.2023

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Auf Bundesebene existieren nach offizieller Lesart drei Nachrichtendienste: Das Bundesamt für den Verfassungsschutz (BfV), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND).

Der Gesetzgeber hat die Kompetenzen, Aufgaben und Grenzen für jeden dieser Nachrichtendienste in einem entsprechenden Gesetz geregelt. Ihre Kontrolle wird auf verschiedensten Wegen sichergestellt: Neben der gerichtlichen Kontrolle unterliegen sie der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium, den Unabhängigen Kontrollrat, den Bundesrechnungshof, die G10-Kommission, die Fachaufsicht durch Ministerien und den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI).

Neben den drei genannten Nachrichtendiensten gibt es allerdings – ohne spezialgesetzliche Grundlage – aus unserer Sicht einen weiteren Nachrichtendienst: Das Militärische Nachrichtenwesen (MilNw).

Beim MilNw handelt es sich, im Gegensatz zu den anderen Nachrichtendiensten des Bundes, nicht um eine eigene Behörde, sondern einen Teil der Bundeswehr. Dieser ist – wie ein Nachrichtendienst – für die weltweite Gewinnung von Informationen zuständig. Aufgabe und Ziel dieser Nachrichtengewinnung und Aufklärung ist die Deckung des militärischen Informationsbedarfes für die politischen und militärischen Bedarfsträger, also beispielsweise für die Bundesregierung.

Geringere gesetzliche Anforderungen

Entgegen weitläufig verbreiteter Meinung agiert das MilNw nicht gänzlich unkontrolliert. Jede Datenverarbeitung, die durch das MilNw als öffentliche Stelle des Bundes vorgenommen wird, unterliegt der Kontrollkompetenz des BfDI, welche dieser unter anderem mittels Kontrollen und Informationsbesuchen auch ausübt. Die Datenschutzkontrolle der Datenverarbeitungen des MilNw durch den BfDI stellt eine objektiv rechtliche Nachrichtendienstkontrolle dar, wie sie auch gegenüber den anderen Nachrichtendiensten des Bundes durch den BfDI erfolgt.

Das MilNw bildet somit, in enger Zusammenarbeit mit dem BND, den militärischen Nachrichtendienst der deutschen Streitkräfte. Die Zusammenarbeit mit dem BND erstreckt sich auf den personellen und technischen Bereich sowie den stetigen Austausch von Informationen und Analysen. Ebenso unterstützt der BND die Bundeswehr bei mandatierten Auslandseinsätzen. Und obwohl über zum Teil gleiche Gerätschaften gleiche Informationen gewonnen und ausgetauscht werden, werden an den BND – spätestens seit dem Urteil zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 – höhere gesetzliche Anforderungen gestellt als an das MilNw.

Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hält das Urteil trotz engster Verflechtungen der Dienste für nicht anwendbar auf das MilNw. Bei den Karlsruher Richterinnen und Richtern dürfte das bei Einleitung eines entsprechenden Verfahrens aus den Reihen der Zivilgesellschaft heraus auf Interesse und – vermutlich – völliges Unverständnis stoßen. Hier ist die Politik gefordert.

Schwer nachvollziehbare Gründe

Bereits im Volkszählungsurteil vor 40 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht viele Grundsätze hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung festgehalten, die auch heute noch Bestand haben. Damit war klar, dass Nachrichtendienste eine einfachgesetzliche Grundlage brauchen. Warum diese Grundsätze für das MilNw nicht gelten sollen, bleibt schwer nachvollziehbar. Vermutlich sorgt sich das BMVg, dass das MilNw in seinen Fähigkeiten beschnitten wird.

Das BMVg rechtfertigt die Tätigkeit des MilNw mit folgendem Satz aus dem Grundgesetz: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Oder – falls das doch zu wenig sein sollte – hilfsweise mit der grundgesetzlich festgehaltenen Möglichkeit des Bundes, sich in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen. Selbst in Verbindung mit einem Bundestagsmandat für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist das aber keine taugliche rechtliche Grundlage für das MilNw.

Zum einen, da in den jeweiligen Mandaten kaum ausgeführt ist, was Aufgabe, Methoden und Ziele des MilNw im jeweiligen Einsatz sind. Zum anderen ist das MilNw auch außerhalb mandatierter Einsätze weltweit tätig und nicht immer wird hierbei klar, inwieweit das dem Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung entspricht. Eine taugliche Rechtsgrundlage in Form eines speziellen Gesetzes für Datenverarbeitungen durch das MilNw hat der BfDI erst jüngst nach einer Kontrolle erneut eingefordert.

Sprachliche Haarspalterei

Falls nach wie vor Zweifel an der Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage bestehen, verweisen die Verantwortlichen auch gerne darauf, dass es sich beim MilNw ja um ein Nachrichtenwesen und nicht um einen Nachrichtendienst handelt.

Sprachliche Haarspalterei sorgt allerdings nicht für Klarheit. Ein Nachrichtendienst ist ja nicht aufgrund seiner Bezeichnung, sondern aufgrund seiner Aufgaben, Ziele und Methoden definiert. Und da macht das MilNw eben genau das, was Nachrichtendienste klassischerweise tun: Informationen sammeln, beschaffen und auswerten und zwar – zumindest auch – mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

Langfristig dürfte das zu einem doppelten Problem werden: Zum einen wird das MilNw in die Öffentlichkeit gezogen. Zum anderen wird deutlich, dass die Verantwortlichen seit Jahren um die rechtlichen Unsicherheiten wussten. Dabei wäre es eine große Chance, eine einfachgesetzliche Grundlage zu schaffen, um den Auftrag und die Befugnisse des MilNw zu konkretisieren, die Zusammenarbeit mit MAD und BND zu verfestigen und Handlungsspielräume zu eröffnen.

Denn damit gäbe es zugleich Rechts- und Handlungssicherheit für die zivilen Beschäftigten und die Soldatinnen und Soldaten des MilNw. Mehr noch: Durch eine einfachgesetzliche Grundlage für das MilNw würde ein einheitliches Regelungsregime für die Nachrichtendienste des Bundes geschaffen und damit auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, 40 Jahre nach dem Karlsruher Volkszählungsurteil, weiter gestärkt.

Ulrich Kelber ist Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Zuvor war er unter anderem Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

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