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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Ein On-Demand-Angebot im Reallabor

Andreas Maatz, Geschäftsführer Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach
Andreas Maatz, Geschäftsführer Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach Foto: promo

Wer meint, mit den bisherigen Angeboten bei Bahn und Bus, in Verbindung mit günstigen Flatrate-Tickets, das Ziel erreicht zu haben, ist definitiv auf dem Irrweg. Es braucht attraktive On-Demand-Angebote, gerade für Seniorinnen und Senioren. In Zukunft werden die Shuttles automatisiert fahren. Das sollte dem Staat mehr Geld wert sein.

von Andreas Maatz

veröffentlicht am 27.11.2023

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Für die alltägliche Mobilität setzt man üblicherweise Linienbusse ein, in den Großstädten zudem Straßenbahnen und U-Bahnen. In jüngster Zeit kommen sogenannte On-Demand-Angebote hinzu. Die Fahrten werden auf Abruf und nicht nach Fahrplan durchgeführt. Die Menschen können per App oder auch telefonisch zumeist vollelektrisch betriebene Kleinbusse bestellen. Die virtuellen Haltestellen sind in einer Dichte von rund 200 Metern über die gesamten Ortsgebiete verteilt. Man kommt also – dank eigens umgebauter Fahrzeuge auch als Rollstuhlfahrer – im Ort praktisch von jedem Standort aus direkt überall hin.

Diese öffentlichen Shuttles auf Abruf haben traditionell einen eigenen Namen. Wir im Kreis Offenbach nennen unser Angebot „Hopper“. Nach einer stufenweisen Einführung ab 2019 gibt es seit diesem Sommer nun in jeder Stadt und Gemeinde ein solches Angebot, jeden Tag und fast rund um die Uhr. Das ist in dieser Dimension bundesweit nahezu einmalig. Heute nutzen bereits 50.000 Personen pro Monat dieses neuartige Angebot. Die Linienbusse sind deswegen nicht leer, im Gegenteil. 

Jedes Angebot hat seine eigenen Aufgaben und Stärken

Denn unser Dreigestirn aus Bahnen, Bussen und Hopper bietet eine deutlich höhere Vielfalt an Mobilität in quasi jedem Winkel der Kommunen als je zuvor. Jedes dieser drei genannten Angebote hat seine eigenen Aufgaben und Stärken, die auch nicht gegeneinander aufgerechnet werden können. Nur eine sinnvolle Kombination aus Quantität, Qualität und Flexibilität macht das System attraktiv für Betreiber und Kunden.

Der Hopper ist zunächst ein Experiment auf Zeit, das hohe Akzeptanz in der Bevölkerung findet. Fördergelder vom Bund und vom Land haben die politische Entscheidung erleichtert, diesen Versuch zunächst bis Ende 2024 flächendeckend zu wagen. Dennoch wird ein erheblicher Teil des finanziellen Aufwands von den Kommunen über den Kreishaushalt gestemmt. Eine Entscheidung zur Fortführung über 2024 hinaus ist trotz aller unbestrittenen Vorteile für die Bevölkerung noch offen. Sie hängt maßgeblich von den finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt des Kreises ab, der Hopper konkurriert hier mit anderen kommunalen Pflichtaufgaben.

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit

„[…] der öffentliche Nahverkehr ist Daseinsvorsorge und bedeutet gesellschaftliche Teilhabe.“ So liest man es auf der Homepage unseres Landesministeriums. Dem würde sicher niemand widersprechen wollen.

Für die Diskussion zur öffentlichen Mobilität als Daseinsvorsorge ist ein ungetrübter Blick ins Reallabor hilfreich. Bei uns leben viele Menschen, die aus finanziellen Gründen auf ein ÖPNV-Angebot zwingend angewiesen sind. Sie haben keine echte Alternative. Für diese Gruppe stehen erschwingliche Tickets und ein verlässliches Angebot im Vordergrund. Eine zweite Gruppe, die insbesondere in die umliegenden Großstädte pendelt, wählt ganz pragmatisch das in vielerlei Hinsicht günstigere Mobilitätsangebot. Motivation für diesen Weg sind zumeist ein Jobticket und teure Parkplätze in den Innenstadtlagen. Aber sie könnten auch mit dem eigenen Fahrzeug fahren, was sie außerhalb des Arbeitsweges oder bei Ausfällen der Bahn auch tun.

Die dritte Gruppe hat ein eigenes Fahrzeug zur Verfügung oder in Besitz – und meidet bislang die öffentlichen Nahverkehrsmittel aus unterschiedlichsten Gründen. Nicht jeder möchte zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einem Linienbus oder mit der S-Bahn fahren. Die Erfahrungen der letzten vier Jahre haben uns gezeigt, dass wir mit dem Hopper ganz explizit auch die Gruppe der Menschen erreichen konnten, die üblicherweise nicht mit dem Bus oder der S-Bahn fahren. Die viel beschworene Mobilitätswende muss auch mit einem attraktiven Angebot für diese Menschen einhergehen.

Für wenig Geld viel Wert erhalten

Kritische Stimmen sagen nun: „Dieser Hopper ist eigentlich super, aber … er ist zu teuer.“ Bezogen auf den einzelnen Fahrgast ist der Hopper gegenüber einem gut besetzten Linienbus hinsichtlich Kosten pro Fahrgast und Kilometer sicher (noch) nicht konkurrenzfähig. Doch ein Vergleich beider Systeme ist ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen, der differenzierter zu betrachten ist. Nur so viel: Jedes System hat seine spezifische Aufgabe und somit „seinen“ Preis

Doch was ist denn eigentlich „zu teuer“? Warum sollte es zu teuer sein, wenn Menschen aus der breiten Mitte unserer Gesellschaft mit dem Hopper ein ansprechendes öffentliches Mobilitätsangebot erhalten? Um ihr Fahrzeug situativ stehen lassen zu können oder perspektivisch auf ein weiteres Auto zu verzichten. Oder wenn wir Minderjährigen und jungen Erwachsenen ein günstiges Angebot machen, jederzeit und somit auch spät am Abend sicher und verlässlich nach Hause zu kommen. Wir entlasten mit dem Hopper nachweislich Berufstätige und insbesondere alleinerziehende Eltern, die ansonsten wegen der vielfältigen schulischen, sportlichen oder sonstigen Aktivitäten ihrer Sprösslinge ständig mit dem Pkw auf Achse sein müssten.

Und es ist erst recht kein Luxus, wenn wir älteren und teils gebrechlichen Menschen die Möglichkeit geben, mit dem komfortablen Hopper zum Einkaufen, zum Arzt oder einfach nur zu einem Treffen mit anderen Menschen zu fahren. Das ist echte Teilhabe. Denn eine Fahrt mit dem Rollator oder gar dem Rollstuhl ist – entgegen der öffentlich postulierten Meinung – mit einem Linienbus keineswegs problemlos oder gar sicher. Deshalb fahren die Senioren auch im hohen Alter noch mit dem eigenen Auto, oder sie sind schlichtweg nicht mehr mobil.

Diese Menschen haben mit ihren Steuern und ihrem Einsatz die Gesellschaft oft über Jahrzehnte gestützt. Sie sollten auch das Recht haben, davon im Alter zu profitieren, indem wir ihnen steuerfinanzierte Mobilitätsangebote anbieten. Viele ältere Menschen wollen in ihrem gewohnten Lebensumfeld wohnen bleiben. Der Begriff der neuen Lebensqualität wird uns immer wieder in den Rückmeldungen und auch Dankesschreiben dieser Menschen gespiegelt. Diesen Anspruch und unser Versprechen an die ältere Generation sollten wir ernst nehmen und entsprechend handeln.

Automatisiertes Fahren rund um die Uhr

Darum brauchen wir adäquate Angebote für alle Bevölkerungsgruppen. Keine Frage, das kostet Geld, deutlich mehr, als wir in den zurückliegenden Jahren für die öffentliche Mobilität aufwenden mussten. Bei steigenden Aufwendungen und sinkenden Erträgen wird öffentliche Co-Finanzierung in höherem Maße notwendig. Selbst wenn wir neue Kundinnen und Kunden hinzugewinnen sollten, wird die Schere zwischen Aufwand und Ertrag weiter auseinandergehen

Es ist eine Grundsatzentscheidung erforderlich, wie die öffentliche Mobilität der Zukunft im nahen Umfeld der Menschen künftig finanziert werden soll. Dazu bedarf es eines pragmatischen Plans auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für alle öffentlichen Verkehrsmittel. Es braucht schnelle Grundsatzentscheidungen und klare politische Bekenntnisse sowie ausreichende finanzielle Mittel mit weitreichender Planungssicherheit. Gleichzeitig müssen wir die Erprobung und den Einsatz neuer Techniken wie automatisiertes Fahren forcieren, die solche Angebote quasi rund um die Uhr viel einfacher und kostengünstiger möglich machen.

Eine gute oder gar exzellente öffentliche Mobilität ist kein Luxus für wenige, sondern muss im Ergebnis die breite Bevölkerung erreichen und von ihr angenommen werden. Wer meint, mit den bisherigen Angeboten bei Bahn und Bus, in Verbindung mit günstigen Flatrate-Tickets, das Ziel erreicht zu haben, ist definitiv auf dem Irrweg.

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