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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Konzept für eine echte Reform

Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU
Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU Foto: Jens Schicke

Ein Jahr Deutschlandticket überdeckt, dass es keine echte ÖPNV-Reform gibt. Mehr Markt und Kostenwahrheit sind nötig. Über die vom Bundesverkehrsministerium getragene Mobilithek könnte es einen Wettbewerb der App-Anbieter um das attraktivste und vielfältigste Mobilitätsangebot geben.

von Wolfgang Steiger

veröffentlicht am 23.05.2024

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Für den Geldbeutel der Nutzer ist das preisgünstige 49-Euro-Ticket mit seiner bundesweiten Gültigkeit ein echter Erfolg. Für das Gesamtsystem Nahverkehr hingegen hat es sich mit seiner auch überstürzten Einführung als fatale Entscheidung erwiesen. Denn die dringend erforderliche Neugestaltung der ÖPNV-Strukturen – von effizienteren Finanzierungsstrukturen bis hin zum Marktdesign mit mehr Wettbewerb und besseren Angeboten – wurde nicht angepackt. Auch ist ein Jahr nach In-Kraft-Treten des Tickets nicht einmal ansatzweise dessen solide Ausfinanzierung in Sicht. Immer tiefer rutscht der ÖPNV so ins finanzielle Defizit und ist auf immer stärkere Subventionierung durch den Steuerzahler angewiesen.

Bereits vor Einführung des Deutschlandtickets waren die finanziellen Herausforderungen für den ÖPNV enorm. Diese gehen vom politisch gewollten Austausch des Fuhrparks, etwa einem Umstieg vom Diesel- auf den in der Anschaffung wie im Betrieb teureren E-Bus, über massive Energie- und Personalkosten-steigerungen bis hin zur dringend erforderlichen Sanierung der baulichen Infrastrukturen. Schon im Vor-Corona-Jahr 2018 deckten die Erlöse aus dem Verkauf von Fahrscheinen über die verschiedenen Unternehmensformen des ÖPNV hinweg nur gut 41,5 Prozent der Gesamtkosten ab. 

Es drohen erste Streichungen

Das ebenfalls nicht kostendeckende Deutschlandticket hat die Eigenwirtschaftlichkeit der ÖPNV-Unternehmen nochmals gesenkt und diese noch stärker in die Abhängigkeit von staatlichen Zuweisungen getrieben. Dies geschah in einer Situation, in der die bis dato übliche ÖPNV-Querfinanzierung aus Erträgen der kommunalen Energieversorger nicht mehr funktioniert. Schließlich stehen die Stadtwerke vor der ungeheuren Herausforderung, ihre Strom- und Wärmeversorgungssysteme mit hohem Investitionsaufwand klimaneutral neu aufzustellen. Es drohen erste Streichungen sowohl im Leistungsangebot als auch bei Ausbauvorhaben. Das Gegenteil wäre jedoch erforderlich.

Das einjährige „Jubiläum“ müssen wir daher zum Anlass nehmen, erneut auf die Dringlichkeit einer großen ÖPNV-Reform hinzuweisen. Eben diese bietet die große Chance für eine nachhaltige Neugestaltung unseres Mobilitätssystems – für optimale Mobilitätsangebote im Sinne eines effektiven Klimaschutzes. Dazu aber braucht es den festen politischen Willen, Grundsätzliches zu verändern.

Erforderlich sind vor allem mehr Markt und auch mehr Kosten- und Finanzierungstransparenz in den bisherigen Strukturen der Nahverkehrsfinanzierung. Konkret müssen die Aufgabenträger, Bundesländer, Landkreise und Städte private Mobilitätsanbieter in gleicher Weise als Problemlöser und Akteure begreifen. Zudem müssen die regionalen Verkehrsverbünde ihr bisheriges Silodenken überwinden und in größeren Räumen denken. Nur so werden sie wirtschaftlicher und heben Skaleneffekte. Mehr Wirtschaftlichkeit macht die ÖPNV-Unternehmen nicht nur unabhängiger vom staatlichen Tropf, sie eröffnet zugleich mehr Freiraum für die Entwicklung innovativer Mobilitätsangebote

Mehr Kosten- und Finanzierungstransparenz ist nötig, weil die überwiegende Zahl der Bundesländer die durch den Bund für den Nahverkehr zur Verfügung gestellten Finanzmittel nicht vollständig in die Finanzierung des ÖPNV leitet. Dies hat zuletzt auch der Bundesrechnungshof kritisiert. Die rechtlichen Hürden für eine Zweckbindung müssen dringend geschaffen werden. 

Die Steuermilliarden müssen effizienter eingesetzt werden 

Ein anderer Aspekt betrifft die Art der Rechnungslegung. Aufgrund oftmals fehlender Doppik herrscht weitgehende Unkenntnis über die realen Kosten des ÖPNV, mithin den Grad der Kostendeckung. Nur durch eine höhere Kostenklarheit und damit Vergleichbarkeit wird es zu einer effizienteren Verwendung der Steuermilliarden im System ÖPNV kommen.

Vor allem auch eine konsequente Digitalisierung ermöglicht die Schaffung bedarfsgerechter neuer Angebote (Tür-zu-Tür-Verbindungen) jenseits starrer Strukturen und sorgt für neue Wertschöpfung in einem bislang zuschussbedürftigen Markt. Grundvoraussetzung für die Nutzung digitaler Chancen ist die Schaffung einer Plattform, auf der Verkehrsunternehmen, aber auch Anbieter innovativer Konzepte und Betriebssysteme (on demand) ihre Leistungen anbieten und abrechnen können. 

Als Grundgerüst einer solchen Plattform könnte die im Aufbau befindliche Mobilithek des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) dienen. Diese Datenplattform speist sich aus Verkehrsinformationen über Fahrplandaten bis zu in Echtzeit erfassten Standorten von Leihfahrrädern. Deren Daten könnten barrierefrei (open data) weiterverwendet werden. Weiterentwickelt könnte die Mobilithek auch zur Abrechnungsplattform werden, die allen hinter einer Mobilitäts-App stehenden Verkehrsunternehmen zur Begleichung erbrachter Leistungen dienen könnte. 

„Geld nur gegen Reformen“

Damit entscheidet zugleich der Wettbewerb, welcher App-Anbieter es vermag, das attraktivste und vielfältigste Mobilitätsangebot zu poolen. Die staatliche Trägerschaft der Mobilithek wird garantieren, dass die Daten-Bewirtschaftung durch eine neutrale hoheitliche Instanz erfolgt, auf Basis derer die Anbieter ihre jeweilige Mobilitäts-App aufsetzen. Prinzipiell müssen hierfür die technischen wie gesetzlichen Voraussetzungen im Zusammenhang mit einer Gesamtreform zügig geschaffen werden.

Unser Föderalismus erfordert hier eine Einigung zwischen Bund und Ländern, die eigentlich für den ÖPNV zuständig sind. Die laufenden Verhandlungen zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung müssen dringend genutzt werden, dem von der Bundesregierung einst ausgegebenem Grundsatz „Geld nur gegen Reformen“ auch tatsächlich zu folgen. Offen gesagt, nachdem kein Bundesland und keine Partei das Scheitern des Deutschlandtickets verantworten will, müsste das Umfeld in diesem und im nächsten Jahr mit vielen Wahlen dafür doch relativ günstig sein.

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