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Smart City

Standpunkte Bessere Infrastrukturen durch öffentlich-private Daseinsvorsorge?

Oliver Rottmann, Geschäftsführender Vorstand Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig
Oliver Rottmann, Geschäftsführender Vorstand Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig Foto: Matthias Förster

Oliver Rottmann meint, dass öffentlich-private Partnerschaften die Verwaltung entlasten, Prozesse verändern und Innovationen in die Verwaltung bringen könnten. Kritik daran bezeichnet er zum Teil als ideologisch – er sieht darin eine Zusammenarbeit, keine Privatisierung.

von Oliver Rottmann

veröffentlicht am 30.04.2024

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Die öffentliche Infrastruktur steht unter Finanzierungsdruck, insbesondere vor Ort in den Kommunen. Investitionsstau, angespannte öffentliche Haushalte, demografische Entwicklung, Klimawandel, Migration und unzureichende Digitalisierung belasten die Städte und Gemeinden sowie Bürger und Wirtschaft unmittelbar. Nicht nur an der schleppenden Umsetzung digitaler Strukturen, sondern auch an maroden Straßen, Brücken oder Schienennetzen wird dies für alle spürbar. So beziffert das KFW-Kommunalpanel den Investitionsrückstand in den Kommunen für 2023 mit 165,6 Milliarden Euro – ein Anstieg um fast vier Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie kann diesem enormen finanziellen Druck auf Infrastruktur und Daseinsvorsorge vor Ort begegnet werden? An zahlreichen Entwicklungen, wie einer ökologischeren Ausrichtung des Wirtschaftens, führt kein Weg vorbei. Auch lässt sich die demografische Entwicklung nicht auf Knopfdruck verändern. Gleiches gilt für die strukturelle Finanzlage (geringe kommunale Finanzausstattung und gestiegene kommunale Aufgaben) oder geopolitische Herausforderungen wie Migration, die auf kommunaler Ebene nur bedingt gesteuert werden können. Zudem hemmen strukturelle Herausforderungen, wie lange Genehmigungsverfahren, Bürokratie, Personalengpässe in den Verwaltungen oder ein anspruchsvolles und mitunter nicht passgenaues Fördermittelangebot den Infrastrukturausbau und -umbau.

Öffentlich-private Partnerschaft entlastet Verwaltung

Wenn man die strukturellen Bedingungen nicht einfach beziehungsweise zügig ändern kann, sind prozessuale Anpassungen notwendig, um Verbesserungen in der kommunalen Infrastrukturausstattung herbeizuführen. Ein Weg, der hierbei Entlastung schaffen und gleichzeitig die Infrastruktur verbessern kann, ist der Einbezug privaten Know-hows im Rahmen einer öffentlich-privaten Zusammenarbeit. Diese öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) oder auch öffentlich-private Daseinsvorsorge (ÖPD) fokussieren auf eine personelle Entlastung der Verwaltung, auf die Innovationsfähigkeit des privaten Partners und auf dessen synergetische Nutzung anderer Geschäftsfelder, schlussendlich auf eine Kostenersparnis für die öffentliche Hand.

Neben einer starken und bürgernahen Kommunalwirtschaft mit kommunalen Unternehmen wie beispielsweise Stadtwerken können in der Daseinsvorsorge bis hin zur Smart City auch private Infrastrukturunternehmen im Auftrag der Kommune Leistungen für die Bürger erbringen und damit das Investitionsvolumen der Kommune senken und den Haushalt entlasten. Geringere Leistungs- oder ökologische Standards sind hier nicht zu erwarten, im Gegenteil: Durch das Know-how, die Innovationsfähigkeit und die Prozesseffizienz lange am Markt etablierter Unternehmen mit entsprechender regionaler Verankerung lassen sich Angebotsvielfalt sowie Gebühren- und Preisstabilität erreichen – zum Nutzen der Bürger und zur fiskalischen Entlastung der Kommunen.

Keine Privatisierung, sondern Partnerschaft

Dennoch werden in der Praxis derartige öffentlich-private Partnerschaften häufig verhalten bis kritisch gesehen – zu Unrecht! So wird diesem Ansatz häufig eine versteckte Privatisierung öffentlichen Eigentums oder zu hohe Ertragsziele der Privatunternehmen zu Lasten der öffentlichen Hand vorgeworfen. Jedoch spricht die Erfahrung eine andere Sprache: ÖPD stellt keine Privatisierung dar, sondern eine längerfristige partnerschaftliche und vertragliche Kooperation der öffentlichen Hand und einem privaten Dienstleister.

Die meisten kommunalen Partnerschaften sind zudem „Inhabermodelle“, bei denen die Kommune Eigentümerin der Infrastruktur bleibt und nur die Durchführung über einen gesetzten Zeitraum vom Privaten erbracht wird. Durch einen Lebenszyklusansatz (von Planung über Erstellung bis hin zur Durchführung oder auch Finanzierung) liegt die Erbringung in einer Hand, wodurch sich durchaus substanzielle Effizienzvorteile gegenüber der Einzelvergabe oder Selbsterbringung der öffentlichen Hand generieren lassen. Auch wird dem Vorwurf, ÖPP dienten der Verschleierung von Schulden der öffentlichen Haushalte durch die ressourcenverbrauchsorientierte doppische Haushaltsführung, der Boden entzogen.

Es geht bei ÖPD folglich um Prozesseffizienz und -innovationen im Rahmen einer durch die öffentliche Hand gewährleistete, privatwirtschaftliche Erbringung. Läge ausschließlich der Finanzierungsaspekt im Fokus, ließe sich aufgrund ihrer fehlenden Insolvenzfähigkeit die Leistung auch problemlos von der öffentlichen Hand allein realisieren. Da in einem marktwirtschaftlichen System ein Unternehmen wirtschaftliche Dienstleistungen in der Regel besser anbieten kann, erbringen Daseinsvorsorgeleistungen in den technischen Infrastrukturen (Energie, Wasser, Mobilität, Entsorgung etc.) auch kommunale Stadtwerke als öffentliche Unternehmen in häufig kapitalgesellschaftlicher Rechtsform oder – deutlich seltener über eine ÖPD – eben private Dienstleister. Zudem sind markterfahrene private Unternehmen, anders als von rein ideologischen argumentierenden Gegnern dargestellt, in puncto Innovationen, Investitionen oder Beschäftigungsfreundlichkeit (Tariflöhne, Ausbildungsquote) nicht selten überdurchschnittlich gut aufgestellt.

Gleichwohl sollte einer ÖPD-Entscheidung in der Daseinsvorsorge immer eine Einzelfallentscheidung vorausgehen. Wenn die lokalen oder regionalen Strukturen und politischen Entscheidungen dafür sprechen, kann dieses Modell in Erwägung gezogen werden. Durch eine langfristig angelegte Partnerschaft können Interessen harmonisiert und gemeinsames Know-how aufgebaut werden. Dafür bieten sich sowohl vertragliche Partnerschaften als auch die Gründung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen an. Noch sind die Erfahrungen mit ÖPD in den Kommunen relativ gering, wobei es durchaus Unterschiede sowohl zwischen den Kommunen als auch im Hinblick auf die verschiedenen Modelle partnerschaftlicher Infrastrukturentwicklung in der Daseinsvorsorge gibt. Eine ideologische Ablehnung effizienter und innovativer Partnerschaftsmodelle kann aber vor dem Hintergrund der enormen infrastrukturellen Herausforderungen nicht die Lösung sein.

Oliver Rottmann ist geschäftsführender Vorstand am Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig. Der Volkswirt war zuvor Geschäftsführer des ÖPP Kompetenzzentrums Sachsen. Er forscht unter anderem zu Public Services, Infrastrukturökonomie, öffentlichen Finanzen, Smart City und Verwaltung.

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