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Werkstattbericht Ein Rückblick auf fünf Jahre Selbst-Orga

Stefan Kraus von der Stadt Herrenberg schreibt über New Work in seinem Amt.
Stefan Kraus von der Stadt Herrenberg schreibt über New Work in seinem Amt. Foto: Ulrike Klumpp

Öffentliche Verwaltungen müssen sich schnellstmöglich für New Work Ansätze öffnen, um sich dem Fachkräftemangel und demographischen Wandel zu stellen, so Stefan Kraus. Er blickt zurück auf fünf Jahre selbstorganisiertes Arbeiten in seiner Kommune und fasst zusammen, wie die Implementierung gelingen kann.

von Stefan Kraus

veröffentlicht am 21.11.2023

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Der Jahreswechsel rückt näher. Damit geht einerseits unser kleines „Jubiläum“ zu Ende, andererseits geht damit unsere Selbst-Orga in ein weiteres Jahr. In das sechste Jahr – aus Sicht der Abteilung Bauhof. In das erste volle Jahr – aus Sicht der Abteilung Grün. In den vorangegangenen drei Herrenberger Werkstattberichten kamen meine Mitarbeitenden Martin Keller, Klaus Hanke und Tobias Geysel zu Wort. Heute möchte ich als Amtsleiter eine Art Fazit ziehen unter „fünf Jahre selbstorganisiertes Arbeiten“.

Für alle, die nicht (mehr) wissen, was ich mit der so salopp angeführten „Selbst-Orga“ meine: Im Frühjahr 2018 haben wir vom Amt für Technik und Grün der Stadt Herrenberg (TuG) uns für eine grundlegende Änderung der Organisationsstruktur entschieden. Eine frei gewordene Meisterstelle in der Abteilung Bauhof wurde nicht neu besetzt, die zuvor geltende hierarchische Führungsstruktur aufgelöst und das selbstorganisierte Arbeiten eingeführt. Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeitenden der Abteilung Grün nachgezogen – auch sie arbeiten nun selbstorganisiert.

Höhere Fachlichkeit und mehr Spaß

Das Wichtigste schon jetzt, nämlich die klare und deutliche Aussage: Ja, ich würde den Weg wieder gehen und in (m)einem städtischen Amt das selbstorganisierte Arbeiten implementieren!

Natürlich ruckelt und knirscht es. Mitunter ganz gewaltig und das auch noch nach fünf Jahren. Doch das wird bei weitem wieder aufgewogen. Denn: „Wir achten bei der Zuteilung der Aufträge auf die Fachlichkeit der Kollegen und nicht mehr so sehr auf die Zugehörigkeit zu einer Abteilung“, das hat schon Martin Keller, Mitstreiter der Selbst-Orga der Abteilung Bauhof der ersten Stunde und inzwischen Leiter der Abteilung Elektro, im Februar dieses Jahres berichtet. Seine und meine Quintessenz: „Dadurch sind wir viel schneller und effektiver“, als das noch zu Meister-Zeiten der Fall war. Dazu kommt der „Spaß“-Faktor, der nicht nur beim Arbeiten in einer öffentlichen Verwaltung einen immer höheren Stellenwert einnimmt.

Arbeitgebermarke automatisch mitgestärkt

All dies sind Wirkungen, die ich mir durch die Einführung der Selbst-Orga erhofft hatte. Doch etwas Anderes hatte ich wirklich überhaupt nicht auf dem Schirm: Stichwort „Arbeitgebermarke“. Die Herrenberger Stadtverwaltung ganz allgemein und auch wir als Fachamt werden inzwischen als interessanter Arbeitgeber wahrgenommen. Zumal von fachlich sehr gut ausgebildeten Bewerbern, von Leistungsträgern mit einem hohen Bildungsabschluss – wie das Beispiel von Tobias Geysel aus unserer Abteilung Grün zeigt. Der studierte Forstingenieur hat im August-Bericht gesagt: „In einem Stellenportal bin ich über die Selbst-Orga gestolpert und sage ganz deutlich, dass mich das dazu bewogen hat, mich zu bewerben – die absolut richtige Entscheidung für mich und ich weiß, dass die Selbst-Orga auch für andere, jüngere Kollegen ausschlaggebend dafür waren, dass Sie zu uns ins Amt gekommen sind.“

Fakt ist: Bei Stellenausschreibungen haben wir als Amt jetzt wieder eine Wahl und mehr noch: Hin und wieder flattern sogar Initiativbewerbungen auf meinen Tisch. Welcher Arbeitgeber kann diesen Luxus derzeit überhaupt noch genießen? Zumal wir als städtischer Betriebshof im engen Korsett des TvÖD stecken und dazu oftmals nur Stellen zu besetzten haben, die in die untersten Gehaltsstufen eingruppiert werden müssen.

Selbst-Orga als Karrierebooster

Doch genau hier können wir mit unserer Selbst-Orga ansetzen. Um noch einmal Martin Keller zu zitieren: „Ich habe Freiheiten, die ich vorher nicht hatte. Meine Arbeit wird anerkannt und auch besser bezahlt als vorher.“ Natürlich locken die kleinen finanziellen Anreize. Doch wichtiger noch sind die Anerkennung des Geleisteten und die Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung – das spiegeln mir meine Mitarbeitenden regelmäßig wider. Allesamt hochmotivierte Praktiker und Talente, die mit ihrer Fachlichkeit und ihrer immensen Erfahrung punkten können und die sich mit beiden voll einbringen, wenn man ihnen nur die Möglichkeit dazu gibt.

Natürlich verkenne ich nicht, dass es rechtliche Vorgaben gibt, die es uneingeschränkt einzuhalten gilt. Dass es eben Aufgaben gibt, die nur jemand verantworten kann und darf, der einen Meisterbrief in der Tasche hat. Doch darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Aufgaben und Arbeiten, für die es diese Qualifikationen nicht braucht. Ein Punkt, der in öffentlichen Verwaltungen leider bislang immer noch viel zu wenig beachtet wird. Dadurch werden Ressourcen verschwendet, im schlimmsten Fall gehen sogar kompetente Mitarbeitende verloren.

Ich bin davon überzeugt, und meine Erfahrungen der zurückliegenden fünf Jahre bestätigen mich in dieser Haltung: Angesichts des demografischen Wandels und dem branchenübergreifenden Fachkräftemangel müssen sich öffentliche Verwaltungen und Behörden schnellstmöglich an der freien Wirtschaft ein Beispiel nehmen und sich für den „New Work“-Ansatz öffnen.

Kommunikation ist das A und O

Ob dabei die Einführung der Selbst-Orga der richtige Weg ist, muss jede Führungskraft für sich selbst entscheiden und es sollten dafür auch gewisse Voraussetzungen gegeben sein. Einerseits muss die Spitzenführungskraft in einem System arbeiten wollen, in dem auch andere Menschen Verantwortung übernehmen und etwas zu sagen haben. Andererseits muss das Team, zumindest ein Großteil davon, voll und ganz hinter dem Strukturwandel stehen und es muss über einen entsprechenden Reifegrad verfügen. Selbst dann ist (die Implementierung einer) Selbst-Orga kein Zuckerschlecken.

Es braucht eine fundierte, externe Begleitung – in unserem Fall durch die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. Dem nicht genug, von allen Beteiligten am Prozess wird darüber hinaus ein extrem hohes Maß an Engagement, Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen gefordert. Nicht zu vergessen – das haben sinngemäß alle drei Mitarbeitenden in ihren Texten betont und hat Schreiner Klaus Hanke treffend auf den Punkt gebracht: „Die Kommunikation ist das A und O“, damit die Selbst-Orga im Arbeitsalltag einer öffentlichen Verwaltung bestehen kann.

Stefan Kraus übernahm im Jahr 2012 die Leitung der Technischen Dienste der Stadt Herrenberg. Unter seiner Federführung schuf die Stadt das neue Amt für Technik, Umwelt und Grün (TUG), das Kraus nun leitet. Das Amt gilt heute als Vorreiter für New Work in der Verwaltung. In Kooperation mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg erschien im Jahr 2019 „Start-Up Städtischer Bauhof“ bei Springer.

Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Arbeiten ohne Chefinnen und Chefs“, „Das Blumenbeet ohne Meister?“, „Wenn die Mehrheit über die Bezahlung entscheidet“, „Neue Mitarbeitende: Auf das Onboarding kommt es an“, „Gemeinsam gegen den (wilden) Müll“, „Sprechende Mülleimer: Auf das Netz kommt es an“, „Von der Zettelwirtschaft zur Verwaltungssoftware“, „Von gelungener Inklusion profitieren alle“, „Die Mitarbeitenden sollen erzählen I“ und „Die Mitarbeitenden sollen erzählen II“ und „Die Mitarbeitenden sollen erzählen III“.

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