In Deutschland fehlen nach Angaben des Mieterbundes bis 2025 etwa 1,5 Millionen Wohnungen. Ziel der Bundesregierung war laut Koalitionsvertrag der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Schon heute zeigt sich, dass die Ampel von dem Ziel weit entfernt ist.
Die Wohnungsnot herrscht vor allen in den Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten. Im ländlichen Raum finden sich in einigen Regionen leerstehende Gebäude. Boden und Gebäude sind immobil und lassen sich nicht von A nach B verlegen, um hier einen Ausgleich der Bedarfe zu erzielen. Allerdings bleibt der Weg, die Attraktivität des Wohnens im ländlichen Raum zu verbessern. Das geschieht nicht nur durch die Modernisierung der Infrastrukturen. Ein Weg könnte auch in der Digitalisierung der Wohnungswirtschaft liegen.
Der Aufholbedarf ist groß
Hier hat es zwar in den letzten Jahren Fortschritte gegeben, gleichwohl ist die Branche unterdigitalisiert, das heißt die meisten Prozesse laufen konventionell und damit analog ab. Eine Vernetzung von Diensten gibt es so gut wie nicht. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die Energiepreisbremse, die ab dem ersten März in Kraft trat und die Energiekosten rückwirkend auf 80 Prozent des Vorjahres deckelt. Durch fehlende digitale Daten der Wohngebäude, Größen, Personenanzahl und so weiter können nur pauschale Entlastungen durch die Energieunternehmen gezahlt werden, die einen suffizientes Umgehen mit Energie nicht berücksichtigt.
Es gibt in Deutschland keine Plattformen, die alle Fazilitäten, die mit einer Wohnung beziehungsweise einem Gebäude in Verbindung stehen, abbilden und für die Nachfragende und Anbietende in einem digitalen Ökosystem umfassend bereitstellen. Das ist ein großes Versäumnis. Auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes muss die Wohnungswirtschaft die Digitalisierung viel stärker ins Visier nehmen.
Viele Prozesse laufen derzeit parallel, geschweige denn sind sie digitalisiert. Hausvermietungen und Mietparteien tauschen sich per Papier aus. Mangels Smartmeter werden Verbrauchsdaten in vielen Fällen noch per Besuch von Mitarbeitenden der Energieunternehmen in den Wohnungen mit hohem Aufwand abgelesen. Nebenkostenabrechnungen gehen nicht selten erst im dritten Quartal des Folgejahres ein. Versorger werden per Abschlag bezahlt. Viele Eingangsbereiche beziehungsweise Flure schmücken Anschläge per Papier mit Informationen an die Mietparteien.
Digitales Ökosystem Wohnen aufbauen
Das alles ist von vorgestern. Mietende müssen ihre Nebenkosten in Echtzeit auf dem Handy sehen können. Notwendig ist eine App, die die digitale Kommunikation zwischen Mietparteien, Vermietenden, Makler und Kommune auf einer Plattform sicherstellt. An ein solches Ökosystem können sich nach und nach weitere Dienste für Mobilität, Pflege und Gesundheit, aber auch Start-ups und so weiter anschließen.
Das Ökosystem Wohnen hat eine Vielzahl von Facetten, die digitalrelevant sind. Dazu zählt unter anderem die gesamte Lieferlogistik einschließlich Micro-Hubs, Telekommunikationsdienste wie Breitband und Mobilfunk, ärztliche Versorgung, Streaming-Abos bis hin zu digitalen Mietverträgen, die dann nicht mehr auf Papier abgeschlossen werden. Integriert werden sollte auch der Bereich Smart Home. So könnte das Zutrittsmanagement über eine App abgewickelt werden. Auch die Steuerung von Handwerksfirmen sollte über die Plattform erfolgen. Künftig werden nicht mehr nur Wohnflächen vermietet, sondern umfassende Services angeboten in einer Art „Living-Stream“.
Kommunen und Verwaltungen hätten viele Vorteile
Von kommunaler Seite lassen über die Plattform Steuern, Gebühren und Beiträge oder Wohngeldleistungen bis hin zur Abfallbeseitigung abbilden. Gleiches gilt für den Klimaschutz. Ressourcen lassen sich durch ein neues integriertes Management mit allen Beteiligten einsparen. Die Einbindung von Wohnungen beziehungsweise Häusern in die örtliche kommunale Infrastruktur wie E-Ladesäulen, Parkmöglichkeiten, die nächsterreichbaren Kindergärten und Schulen sowie soziale Einrichtungen und die Verbindungen zum Nahverkehr, lassen sich ebenfalls über ein Plattformsystem effizient und effektiv managen. Brücken zu Plattformen wienebenan.de die sich um Quartiersmanagement und die soziale Kommunikation kümmern, können mit angedockt werden.
Die Wohnungswirtschaft könnte sich zu einer der mächtigsten Plattformen entwickeln und zum Beispiel durch Bündelung von Einkäufen der Nachfragenden weitere Vorteile verschaffen. Kommunale Wohnungsgesellschaften könnten eine solche Modernisierung der Wohnungswirtschaft mit vorantreiben und den Raum für Projektentwicklungsgemeinschaften schaffen. Die damit verbundenen Innovationansätze, zuerst getestet im suburbanen Raum, könnten anschließend skaliert werden. Es bleibt zu hoffen, dass von den 73 vom Bund geförderten Smart-City-Modellprojekten einige Kommunen die Digitalisierung der (kommunalen) Wohnungswirtschaft in ihre Maßnahmenkataloge mit aufnehmen.
Franz-Reinhard Habbel ist Publizist und arbeitete bis 2017 als Sprecher und Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Heute ist er als Autor und Berater tätig und betreibt unter anderem den Podcast „City-Transformer“.