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Standpunkte Warum wir mehr Public-Civic-Partnerships brauchen

Philipp von der Wippel und Henrike Schlottmann, Geschäftsführung von Project Together
Philipp von der Wippel und Henrike Schlottmann, Geschäftsführung von Project Together Foto: Samuel Groesch

Der Staat dürfe nicht nur passiv Rahmenbedingungen vorgeben, sondern müsse sich vor allem aktiv für Veränderung einsetzen, fordern Philipp von der Wippel und Henrike Schlottmann von der gemeinnützigen Organisation Project Together. Für mehr Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und dem Staat brauche es vor allem Public-Civic-Partnerships, die beispielsweise durch Public-Scale-up Funds möglich werden.

von Philipp von der Wippel und Henrike Schlottmann

veröffentlicht am 27.04.2023

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In einer Zeit des Wandels, in der sich unser Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell grundlegend verändert, kann der Staat nicht mehr nur Rahmengeber sein – er muss zum Treiber der Veränderung werden. Schlüsselbereiche wie Bildung, Gesundheit oder Klimaschutz liegen mit gutem Grund in der Gestaltungskraft des Staates und nicht in der Privatwirtschaft, damit der Wandel im öffentlichen Interesse und nicht im privaten Interesse einzelner gestaltet wird.

Damit der Staat die Veränderung aktiv gestalten kann, muss er die Wirksamkeit seines Handelns gewährleisten können und selbst seine Maßnahmen und Leistungen konstant erneuern. Doch die Realität ist eine andere: analoge Gesundheitsämter in der Pandemie, veraltete Integrationskurse für Geflüchtete oder eine aufgrund langer Genehmigungszeiten verschleppte Energiewende. Die gute Nachricht ist, dass der Staat den notwendigen Innovationsfluss nicht alleine aus sich heraus schaffen muss: Es gibt eine steigende Zahl an Menschen und Teams aus der Zivilgesellschaft, die sich dem Gemeinwohl verpflichten und innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln.

Der Staat soll Lösungen aus der Zivilgesellschaft mehr fördern

Ein Beispiel ist Krisenchat: Ein junges Team hat eine digitale Rund-um-die-Uhr-Erstanlaufstelle für junge Menschen in psychischen Krisen aufgebaut. Seit Mai 2020 hat Krisenchat über 80.000 Beratungen mit mehr als zwei Millionen Nachrichten über seinen Service durchgeführt. Der gesellschaftliche Nutzen durch eine frühzeitige Krisenintervention ist klar: 75 % der psychischen Erkrankungen treten vor dem 25. Lebensjahr auf und 42 % der Frühverrentungen und 17 % der Krankschreibungen sind auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.

Obwohl eine wissenschaftliche Studie den eindeutigen Nutzen bestätigt, fehlt Krisenchat ein passender Wachstumspfad. Der natürliche Skalierungspartner wäre der Staat. Es gibt hunderte Innovationen wie Krisenchat in Deutschland: Lösungen, die aus der Zivilgesellschaft entwickelt und meist durch Stiftungsfinanzierung angeschoben wurden; die ihre Wirksamkeit längst bewiesen haben und dennoch nicht in die Breite kommen. Diese Innovationen bringen eine hohe gesellschaftliche Rendite und sparen der Gemeinschaft erhebliche Kosten. Sei es Acker e. V., ein Sozialunternehmen, das an über eintausend Schulen einen neuen Ansatz für Ernährungsbildung in den Unterricht integriert hat, oder sei es die ReDI School, die Programmierkurse für mehr als 12.000 Geflüchtete durchgeführt hat und eine deutlich höhere Vermittlungsquote in Jobs als vergleichbare Angebote der öffentlichen Hand hat.

Woran es noch hakt und was es braucht

Doch der Staat ist aktuell nicht in der Lage, Dienstleistungen und Produkte, die Innovationen für öffentliche Aufgaben darstellen, über den öffentlichen Haushalt groß zu machen. Es ist ein gravierendes Problem, dass wirkungsvolle Lösungen auf der Strecke bleiben, die die Gemeinwohl-Effektivität des öffentlichen Haushalts steigern könnten. Bei einer Staatsquote in Deutschland von knapp 50 % muss alles dafür getan werden, dass das größtmögliche Gemeinwohl mit Steuergeld produziert wird.

Wir brauchen einen neuen Typus an Partnerschaft zwischen innovativer Zivilgesellschaft und dem Staat: Public-Civic-Partnerships. Aber die Infrastruktur für diese neue Zusammenarbeit fehlt. Erreichen ließe sich das zum Beispiel mit einem Public-Scale-up Fund, den Bund und Länder zusammen aufsetzen: Der Staat schließt Leistungsverträge mit Anbietern wirkungsvoller Lösungen ab, die den Anbietern eine fest vereinbarte Summe pro erfolgreich erbrachter Leistung garantieren. Im Fall von Krisenchat wäre dies eine Pauschale für jeden erfolgreich abgeschlossenen Chat. So kann der Staat einen wirkungsorientierten Markt zur Skalierung von Innovationen schaffen, die dem Gemeinwesen dienen. Ob der Hémisphère Social Impact Fund in Frankreich oder der Occupational Health Social Outcomes Contract in Schweden – viele Regierungen in der Europäischen Union haben solche Instrumente bereits aufgesetzt. Deutschland hat Nachholbedarf. Es braucht eine Kraftanstrengung von Bund, Länder und Kommunen, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft solche strukturellen Schnittstellen und Instrumente wie einen Public Scale-up Fund zu etablieren, die Public-Civic-Partnerships zur neuen Normalität werden lassen.

Public-Civic-Partnerships sind ein neuer Weg der umsetzungsorientierten Beteiligung, in der sich Bürger:innen aktiv in die Gestaltung öffentlicher Leistungen einbringen und an der Leistungsfähigkeit des Staates mitwirken. Für eine Demokratie, in der die Bürger:innen die Gestalter:innen ihres Staates sind und nicht bloß Konsumierende.

Henrike Schlottmann und Philipp von der Wippel sind gemeinsam in der Geschäftsführung von Project Together, einer gemeinnützigen Organisation für gesellschaftliche Transformation. Project Together hat unter anderem #WirVsVirus, einen Hackathon mit einem Umsetzungsprogramm für Lösungen während der Covid-Krise, und die Folgeinitiative Update Deutschland initiiert. Schlottmann hat am University College London ein Mathematik-Studium absolviert, arbeitete danach in der Unternehmensberatung und nahm an einem Entrepreneurship-Programms teil. Philipp von der Wippel hat Project Together gegründet und Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Oxford studiert. Seit 2019 ist er ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Social Entrepreneurship Network Germany (Send e.V.).

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