Müssen Menschen heutzutage in der öffentlichen Verwaltung überhaupt Angst haben? Das ist bei weitem keine Frage von Verstand oder Rationalität, denn „vernünftig“ sind menschliche Emotionen generell nicht. Neben organisatorischen, technischen, budgetären oder juristischen Faktoren brauchen menschliche (und dadurch auch „unvernünftige“) Aspekte ausreichend Raum, weil in den Amtsstuben Menschen arbeiten, keine Algorithmen oder Maschinen.
Woran Verwaltungen scheitern
„Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem!“ Dieses seit Jahren stetig zitierte Mantra stimmt leider nur zur Hälfte. Denn vielerorts fehlt die Erkenntnis, warum und woran viele Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung immer wieder scheitern.
Ein anderer Umgang mit Ungewissheiten, Sorgen und Ängsten vor Veränderungen, Fehlern, Scheitern oder (möglichen) Verlusten wird eine Lösung für so manche festgefahrenen Veränderungsprozesse sein. Werden Ängste aktiver, bewusster und konstruktiver angegangen, kann das zu einer stärkeren Entfaltung vieler Potenziale der Digitalisierung, Modernisierung und Transformation beitragen. Ja, hierfür braucht es auch grundlegende strukturelle Veränderungen in der deutschen Verwaltungswelt, die beispielsweise Dienstrecht, Karrierepfade, Kultur und Werte betreffen.
Vieles jedoch beginnt in den Köpfen der Menschen und setzt sich in ihrem Handeln fort: Mehr Transparenz hinsichtlich der jeweiligen Ziele, Maßnahmen und erhofften Wirkungen, andere Formen des Führens und insgesamt eine offenere Kommunikation sind entscheidende Hebel, um eine angstfreiere, risiko- und fehlertolerantere Umgebung zu schaffen.
Angst macht dumm
Angst wird nicht per Dienstanweisung überwunden. Es gibt auch kein Gesetz dagegen. Ebenso wenig ist es mit einem schmissigen „Jetzt reißt euch mal zusammen!“ getan. Und es gilt auch keineswegs, Ängste komplett verschwinden zu lassen, denn rein evolutionär leisten sie uns Menschen immer wieder wertvolle Dienste: Sie erhöhen unsere Aufmerksamkeit in Zeiten von Gefahr für Leib und Seele. Doch braucht es einen anderen Umgang damit, mehr Offenheit und auch Bereitschaft, darüber zu sprechen, auf allen Ebenen.
Denn nur durch Akzeptanz, dass Ängste existieren, kann eine Grundlage für den konstruktiven Umgang mit Befürchtungen, Ängsten und Widerständen geschaffen werden. Erst dann kann wirklich der Blick von meist nebulöser Sorge und Furcht auf reale Risiken gerichtet werden. Diese tatsächlichen Herausforderungen und Risiken sind meist geringer, vor allem konkreter und greifbarer, als es das vorherige furchterregende Gefühl vermuten lässt.
Zusätzlich zur Akzeptanz ist es wichtig – ohne rosarote Brille, gutgemeinte Durchhalteparolen oder falsche Versprechungen – das realistische „Wozu“ der Veränderung zu erklären. Dadurch wird transparenter, klarer und begreifbarer, was bei all den vielen Veränderungen hinterher anders und besser wird. Wird dieser Sinn verständlich, dann sind die Menschen in den Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene umso mehr bereit, sich ihren Ängsten aktiv zu stellen, sie (r)auszusprechen und vom Abwarten, Stillstand oder Widerstand in die ziel- und lösungsorientierte Umsetzung zu kommen. Das gilt übrigens ebenfalls für Führungskräfte, die – so munkelt man – meist auch „nur“ Menschen sind.
Rein evolutionsbiologisch und neurochemisch argumentiert lohnt sich der aktive und konstruktive Umgang mit Angst, denn simpel formuliert: Angst macht dumm und handlungsunfähig! Die entsprechenden Prozesse in unserem Gehirn schränken sowohl unsere strategische Weitsicht als auch Kreativität ein. Und beides, der Blick nach vorn wie auch über den Tellerrand des Bisherigen hinaus, ist entscheidend, um den erforderlichen Wandel in deutschen Amtsstuben möglich zu machen.
Zum einen gilt es, die großen wie kleinen Herausforderungen des Heute, mit all ihrer Menschlichkeit und potenziellen „Unvernunft“, zu erkennen. Und gleichzeitig visionäre, also attraktive und trotzdem realistische Zukunftsperspektiven für ein besseres Morgen zu schaffen. Beides wird den Beschäftigten Mut machen und eine wichtige Basis bereiten, um sich Sorgen und Ängsten zu stellen.
Angst ist im Wandel
Ein besserer Umgang mit Angst vor/durch Veränderung ist bei weitem nicht der heilige Gral, um sämtliche Projekte und Bemühungen für eine moderne Verwaltung per Knopfdruck zum Erfolg zu führen. Doch wenn menschliche, emotionale und weitere psychologische Faktoren ignoriert und außer Acht gelassen werden, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Modernisierung der Verwaltung definitiv deutlich geringer.
Angst im Wandel: Zu diesem Themenfeld erarbeiten wir derzeit eine Kurzstudie für das Nationale E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ), zu der es noch bis zum 15. November 2022 eine umfangreiche Online-Umfrage gibt: www.soscisurvey.de/angstimwandel
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie teilnehmen! Denn Ihre Teilnahme an der Umfrage bringt noch mehr fundierte Basis für die Studie und dadurch mehr Potenzial für Veränderung, gelungene Transformation, eine bessere Verwaltung, mehr Vertrauen in den Staat und perspektivisch eine zufriedenere Gesellschaft und Gemeinschaft.
Das lohnt sich, oder?
Julia Schorlemmer ist Professorin an der FOM Berlin, sie arbeitet am Institut für Public Management (ifpm) sowie am Institut für Gesundheit & Soziales (ifgs) und forscht zu den psychischen Aspekten von Gesundheit im Arbeitskontext, mentaler Gesundheit, Prävention und Führung. Als Unternehmensberaterin, Trainerin und Coach begleitet sie Organisationen durch Veränderungsprozesse mit Schwerpunkten auf Führungskräfteentwicklung und Gesundheitsmanagement.
Andreas Steffen ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (NEGZ) und Managing Director von 5STEP. Der Betriebswirt beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Transformation und Innovation und arbeitet als Leadership Coach, Strategieberater, Moderator und Dozent für Behörden, Hochschulen und große wie kleine Unternehmen.