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Smart City

Standpunkte Wie virtuelle Welten die öffentliche Verwaltung verändern

Nicolai Bieber, Partner und Leiter Public Sector Consulting bei PWC und Philipp Sostmann, Manager bei PWC
Nicolai Bieber, Partner und Leiter Public Sector Consulting bei PWC und Philipp Sostmann, Manager bei PWC Foto: privat

VR-Kollaborationsräume können das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Flexibilität in Verwaltungen erhöhen und steigern generell die Effizienz, wie ein Pilotprojekt in Niedersachsen zeigt. Doch das Ganze hat Grenzen und Risiken, schreiben Nicolai Bieber und Philipp Sostmann, beide im öffentlichen Sektor bei PWC tätig.

von Nicolai Bieber und Philipp Sostmann

veröffentlicht am 15.08.2023

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Trotz erster erfolgreicher Anwendungen herrscht in der öffentlichen Verwaltung teilweise noch Unsicherheit hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten von immersiven Technologien. Dabei können diese bereits jetzt genutzt werden, um Arbeitsabläufe und interne Kollaboration zu verbessern und Ressourcen effizienter einzusetzen. Im Rahmen eines neunmonatigen Pilotprojekts hat beispielsweise das Bundesland Niedersachsen erfolgreich die Potenziale von VR-Kollaborationsräumen erprobt.

In diesem Zusammenhang wurden Teile eines agilen Planungsprozesses in speziell entworfenen Metaverse-Räumen realisiert. Dieses innovative Modell ermöglichte es mehreren Teams, losgelöst vom Standort zu kollaborieren und mit einem höheren Grad der sozialen Präsenz zu interagieren. Dabei förderte die Implementierung laut den Beteiligten das Zusammengehörigkeitsgefühl und erhöhte zudem die Flexibilität und Arbeitgeberattraktivität in Zeiten hybrider Arbeitsmodelle.

Ein Modell hilft bei der Klassifizierung von Anwendungsfällen

Grundsätzlich sind die potenziellen Einsatzgebiete für immersive Technologien vielfältig und lassen sich effizient mit dem DICES-Modell klassifizieren: Dangerous (Gefährlich), Impossible (Unmöglich), Counterproductive (Kontraproduktiv), Expensive (Kostspielig) und Social (Sozial). Szenarien, auf die eines dieser Kriterien zutrifft, können prädestiniert für die Anwendung immersiver Technologien sein. Folgende Beispiele verdeutlichen die Identifizierung von Anwendungsfällen:

[D] Gefährliche Anwendungsfälle: Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) ermöglichen es, riskante Einsatzszenarien wie die bei der Feuerwehr oder Polizei, in einer immersiven Umgebung sicher und kosteneffizient darzustellen. Darüber hinaus bieten sie leistungsfähige Möglichkeiten zur Auswertung und visualisierten Nachbesprechung.

[I] Unmögliche Anwendungsfälle: Solche Einsatzszenarien beinhalten Situationen oder Darstellungen, die ohne den Einsatz von AR/VR nicht realisierbar wären. Beispiele hierfür sind 3D-Darstellungen von Gebäudeinformationen im Rahmen des Building Information Modelling (BIM) oder immersive Meetings mit 3D-Objekten und integrierten Werkzeugen.

[C] Kontraproduktive Anwendungsfälle: Hierbei geht es beispielsweise um belastende Konfliktsituationen, welche Mitarbeiter in Bürgerzentren bewältigen müssen. Diese können in VR aufgezeichnete Alltagssituationen in 360-Grad-Szenarien realitätsnah trainieren.

[E] Kostspielige Anwendungsfälle: Dabei geht es etwa um große, agile Planungs-Meetings, zu denen über 100 Teilnehmer an einem Ort zusammenkommen müssen. Weitere Beispiele sind umfangreiche Simulationen für Organisationen wie die Bundeswehr. Auch Vor-Ort-Besichtigungen von Liegenschaften könnten ressourcenschonend und CO2-effizient in VR durchgeführt werden.

[S] Soziale Anwendungsfälle: Diese Situationen beinhalten besonders hohe soziale Komplexität. Dazu gehören Führungskräftetrainings, bei denen die Teilnehmer mit animierten Avataren interagieren (einschließlich Mimik und Gestik), oder die Zusammenarbeit mit entfernten Teams, bei der VR ein stärkeres Gefühl sozialer Präsenz ermöglicht. Im Bürgeramt könnten Mitarbeiter Beratungsgespräche führen oder innovative Informationsveranstaltungen durchführen.

Grenzen und Risiken der Technologie

Rasant voranschreitende immersive Technologien bieten ein Spektrum an Möglichkeiten, das ebenso vielversprechend wie vielseitig ist. Doch wie jede Medaille hat auch diese zwei Seiten. Neben den unbestrittenen Chancen gilt es, Limitationen und potentielle Gefahren dieser neuen Technologie nicht zu ignorieren, sondern sie vorausschauend und mit Bedacht in die Planungen einzubeziehen.

Die internen Risiken sind vielfältig und erfordern eine bewusste und gut informierte Auseinandersetzung. Insbesondere bei der Implementierung der dazugehörigen Hard- und Software spielen Aspekte der IT-Sicherheit und des Datenschutzes eine tragende Rolle. Der frühzeitige Einbezug dieser Komponenten in Sicherheitschecks ist unerlässlich. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, wie diese Technologie die Gesundheit der Mitarbeitenden und die Handhabung von Daten beeinflusst. Auch die Aspekte der Teilhabe und Barrierefreiheit sind in enger Absprache mit den zuständigen Personalstellen zu adressieren.

Eine zusätzliche Herausforderung stellt sich in Form der Verfügbarkeit und Bereitstellung der benötigten Headsets dar. Der Markt bietet zwar eine Vielzahl an Lösungen, doch nicht alle eignen sich für den Einsatz in der Verwaltung, besonders angesichts der zuvor genannten Punkte. Die Akzeptanz der Lösungen und eine fundierte „Rent-or-Buy“-Entscheidung erfordern eine sorgfältige Prüfung der genauen Anforderungen an den jeweiligen Anwendungsfall.

Schließlich ist die fortlaufende Integration des Personals und die Bereitstellung von Weiterbildungsmöglichkeiten unerlässlich. Damit können die Fähigkeiten zur Nutzung immersiver Technologien langfristig und nachhaltig im öffentlichen Sektor verankert werden. In einem sich stetig wandelnden digitalen Zeitalter liegt hierin die Grundlage für eine erfolgreiche Anwendung und effektive Nutzung des Potentials des Metaverse. Eine ausgewogene Betrachtung von Nutzen und Risiken ist von entscheidender Bedeutung. Doch mit sorgfältigen Bedarfsanalysen, geeigneten Pilotprojekten sowie dem erforderlichen Fachwissen können die Herausforderungen gemeistert und das volle Potenzial dieser Technologien ausgeschöpft werden.

Verwaltung darf Anschluss an digitalisierte Gesellschaft nicht verlieren

Die Einführung immersiver Technologien in der Verwaltung bietet ein breites Spektrum an wertvollen Anwendungsmöglichkeiten. Dabei muss nicht zwingend jede öffentliche Einrichtung an der Speerspitze der Innovation sein. Andererseits kann es schwerwiegende Konsequenzen haben, diese technologische Entwicklung zu versäumen. Nicht nur würde die öffentliche Verwaltung eine Chance zur Steigerung ihrer Effizienz verpassen. Sie könnte auch ihren eigenen Anspruch an Modernisierung und Digitalisierung verfehlen, und riskiert somit den Anschluss an unsere zunehmend digitalisierte Gesellschaft.

Dabei kann die Einführung immersiver Technologien in der Verwaltung nicht nur den digitalen Wandel beschleunigen, sondern auch den Grundstein für eine lebendige, inklusive und zukunftsorientierte öffentliche Verwaltung legen, die bereit ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aktiv anzugehen und zu meistern.

Nicolai Bieber ist Partner und Leiter der Beratung des öffentlichen Sektors bei PWC in Deutschland. Er berät die öffentliche Hand seit über 20 Jahren zu Themen wie Digitalisierung, Großprojektmanagement, IT-Management und Beschaffung.

Philipp Sostmann ist Manager bei PWC und berät als Lead of Metaverse Partnerships & Solution im öffentlichen und privaten Sektor.

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