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Werkstattbericht Conny hat gekündigt

Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors.
Benjamin Seibel berichtet aus dem Alltag des Berliners Stadtlabors. Foto: Privat

von Benjamin Seibel

veröffentlicht am 28.02.2023

aktualisiert am 27.03.2023

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Die letzte Arbeitswoche begann mit einer Kündigung. Conny mag nicht mehr. Unser gesamtes Team war in heller Aufregung: Conny war doch unersetzlich! Wie sollten wir zukünftig ohne sie klarkommen?

Nun muss man wissen, dass Conny gar nicht bei uns gearbeitet hat. Wir kennen Sie nicht einmal persönlich, auch wenn es sich irgendwann so angefühlt hat. Conny ist nämlich Deutschlands berühmteste Verwaltungs-Influencerin. Auf dem Account „Conny from the Block“ kommentierte sie über das letzte Jahr den Alltag in ihrer Berliner Behörde in Form von skurrilen Instagram-Sketches, die wirken wie eine psychedelische Mischung aus Stromberg und Tom & Jerry. Es ist sehr unterhaltsam und hat ihr eine stattliche Followerschaft eingebracht, auch bei uns im City-Lab-Team.

Jetzt hat Conny sich also entschieden, ihren sicheren Beamtenjob, der zugleich ihre Inspirationsquelle war, an den Nagel zu hängen und ihr Glück lieber in der Freiberuflichkeit zu suchen. Alles Gute dafür, Conny, wir werden dich vermissen!

Immer mehr gutes Personal gibt der Verwaltung den Laufpass

Leider ist Conny mit dieser Entscheidung kein Einzelfall. Denn der öffentliche Dienst hat nicht nur ein Problem damit, gutes Personal zu finden, sondern zunehmend auch damit, es zu halten. Mir fällt gleich eine Reihe von Menschen ein, die in den letzten Monaten den öffentlichen Dienst verlassen haben. Alle waren digitalaffin, hochqualifiziert und sind mit viel Motivation aus anderen Jobs in die Verwaltung gewechselt, um dort etwas zu bewegen. Alle haben irgendwann kapituliert, aus guten und völlig nachvollziehbaren Gründen.

Thilak Mahendran, der bis Ende letzten Jahres das Kompetenzzentrum Open Data beim Bundesverwaltungsamt leitete, hat zum Abschied ein paar lesenswerte Gedanken dazu in seinem Blog notiert. Auch an seinen Beweggründen ist wenig überraschend und genau deshalb ist es ein Problem, dass nicht mehr darüber gesprochen wird, wieso kompetente Menschen den öffentlichen Dienst verlassen.

Es scheint, als sei nicht einmal das Problembewusstsein besonders ausgeprägt. Auf Kündigungen wird in der Verwaltung manchmal mit Überraschung reagiert, tendenziell aber mit Schulterzucken. Wer nicht will, der hat schon. Die Verwaltungskultur ist vom Modell der Lebenszeitbeamt:innen geprägt, die, mit den berüchtigten goldenen Handschellen ausgestattet, auf den Pensionseintritt hinarbeiten. Wo es lebenslange Jobsicherheit gibt, ist eine Kündigung nicht vorgesehen.

Der öffentliche Dienst – ein unattraktiver Arbeitgeber?

Nur leider hindert das die Leute nicht daran, trotzdem zu kündigen. Und das scheinen gerade jene zu tun, die eigentlich am dringendsten gebraucht werden: Change Agents, IT-Experten, Menschen mit Ideen, die gestalten wollen. Sie gehen, weil sie in Zeiten knapper Fachkräfte genug andere attraktive Optionen haben und auch zukünftig haben werden. Mit einer Beschäftigungsgarantie allein kann man die nicht locken.

Was macht das Arbeiten im öffentlichen Dienst attraktiv? Neben der Jobsicherheit wird gerne die „sinnstiftende“ Dimension genannt: Arbeiten für eine gute Sache, für das Gemeinwohl, statt für den schnöden Profit. Das ist nach meiner Erfahrung tatsächlich ein wichtiger Faktor, der qualifizierte Menschen in die Verwaltung zieht. Und wenn sie wieder gehen, dann oft, weil sie in dieser Hinsicht enttäuscht wurden.

Denn eine Arbeit wird ja nicht automatisch als sinnstiftend empfunden, nur weil das Gehalt vom Staat kommt. Vielmehr wollen Menschen das eigene Tun auch als wirksam erleben, als Arbeit, die einen Unterschied macht. Wenn sie dann auf Strukturen treffen, die so gut wie keinen Raum zur Entfaltung bieten, die keine offene Kommunikation zulassen, die bürokratisch, hierarchisch und formalisiert sind, aber trotzdem (oder deshalb?) nicht sehr effizient – dann verfliegt die anfängliche Motivation eben schnell wieder. Und klar, solche Strukturen gibt es längst nicht in allen Behörden, aber immer noch in viel zu vielen.

Was sich ändern muss

Kurzum: So richtig es auch sein mag, dass die öffentliche Verwaltung mehr in Personalgewinnung investiert und unnötige Eintrittshürden abzubauen versucht – das hilft alles nichts, wenn die besten Leute nach kurzer Zeit wieder rückwärts rauslaufen. Es wird höchste Zeit für eine andere Arbeitskultur, die Kreativität, Eigenverantwortung und Kollaboration fördert, statt sie zu verhindern. Denn das sind längst keine „weichen“ Faktoren mehr, sondern Schlüsselkompetenzen für den Erfolg einer modernen Organisation.

Genau deshalb beschäftigten wir uns im City Lab nicht nur mit technologischer Innovation und Digitalisierung, sondern immer wieder auch mit der Frage, wie wir eigentlich zusammenarbeiten wollen. Wie ein wertschätzendes und produktives Umfeld aussehen kann, in dem unterschiedliche Menschen sich wohl fühlen und die eigenen Stärken gut einbringen zu können. In dem man sich gegenseitig bereichern, unterstützen, vertrauen und miteinander lachen kann. Denn nur so schaffen wir es, das Beste aus unseren Möglichkeiten zu machen.

Conny, die Verwaltungs-Influencerin, war in ihrer Behörde übrigens im Recruiting tätig. Und angeblich hat sie mit dem ihr eigenen Charme einige talentierte Menschen für die Verwaltung gewinnen können. Hoffen wir, dass ihre Stelle bald nachbesetzt wird. Am besten mit einer motivierten Person, die bleibt.

Der promovierte Kultur- und Medienwissenschaftler Benjamin Seibel leitet das City Lab Berlin. Das 2019 gegründete Stadtlabor wird von der Berliner Senatskanzlei finanziert und der Technologiestiftung Berlin betrieben. Im City Lab arbeiten Teams aus der öffentlichen Verwaltung gemeinsam mit der Stadtgesellschaft und der Forschung an der Stadt der Zukunft.

Bisher von ihm in dieser Rubrik erschienen: „Irgendwas mit Digitalisierung?“, „Mein Besuch der Smart City Expo“, „Mut zu Risiko und gesundem Menschenverstand“, „Im Workshop-Hamsterrad“, „Wenn Labore erwachsen werden“, „Schriftliche Anfragen sind nur für analoge Verwaltungen ein Problem“, „Bürgeramt der Zukunft: Mehr als digital“ und „Mit Open Data Berliner Weihnachtsmärkte finden“.

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