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Smart City

Standpunkte Smart City bedeutet Alltagsnutzen statt Science Fiction

Kathrin Karola Viergutz, Verkehrsingenieurin und Referentin für Smart City beim DLR
Kathrin Karola Viergutz, Verkehrsingenieurin und Referentin für Smart City beim DLR Foto: privat

Hat die Smart City überhaupt etwas mit dem echten Alltag von Menschen in Städten zu tun? Das fragt sich Kathrin Karola Viergutz in ihrem Standpunkt. Denn oft liegt ein tiefer Graben zwischen dem, was sich Bürger:innen unter dem Begriff vorstellen und dem, was in der Realität möglich ist und umgesetzt wird. Die Beraterin und Forscherin zeichnet anhand des Durchschnittsbürgers einer US-amerikanischen TV-Serie eine menschenzentrierte digitale Kommune nach.

von Kathrin Karola Viergutz

veröffentlicht am 09.08.2022

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Flugtaxis, Drohnenlieferungen, Hologramm-Telefonate, Burger aus dem 3D-Drucker, autonome Fahrzeugkapseln. Diese Bilder erzeugt der Begriff Smart City in vielen Köpfen. Oft belächelt hat die Smart City aus Sicht vieler Menschen nur zwei Zielgruppen: Fans von Science-Fiction-Filmen, die eben Spielzeug mit LED-Display mögen, und so richtig große Firmen, die Daten sammeln.

Auf der anderen Seite stehen die, die eine Parkschein-App und WLAN in der Straßenbahn bereits für den Inbegriff des modernen Lebens halten. Zwischen diesen Weltbildern changiert das Verständnis von Smart City. Sehr bedauerlich, denn wenn wir Smart-City-Technologien richtig einsetzen würden, könnten wir eine lernende und lenkende Stadt schaffen, die sich an uns Menschen orientiert. Technologien könnten unseren Alltag besser machen. Schauen wir mal hin, wie.

Ein Wochenende mit dem King of Queens

Denke ich an Alltag, so denke ich an Doug. Kaum jemand verkörpert den typischen Alltag, ein typisches Wochenende besser als Doug Heffernan, der „King of Queens“. Ab 2001 wurde die US-amerikanische TV-Serie auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Die Serie steht, obwohl sie ganz zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Queens, New York, spielt, sinnbildlich für den heutigen Lifestyle, auch in Deutschland.

Doug ist nicht nur der King of Queens, sondern zugleich auch der King of Mittelmäßigkeit. Ein Durchschnittsmensch mit Durchschnittsbedürfnissen. Was ihm gefällt, das gefällt tief in unserem Inneren auch uns. Er ist der moderne Otto Normalverbraucher und qualifiziert sich dadurch prima als Analyseobjekt für ein typisches Wochenende in einer Smart City. Wenn wir verstehen, welchen Einfluss eine Smart City potenziell auf Dougs Alltag hätte, dann verstehen wir auch, welchen sie auf uns hätte.

Los geht's mit der Reise durch die Smart City, die eigentlich schon möglich wäre – der Nutzen für die Menschen wäre groß.

Von Shopping-Apps bis zum Drohnen-Versand

Doug und seine Frau Carrie haben ihre Freunde zum BBQ im Garten eingeladen. Doch bevor der gemütliche Teil beginnt, muss der Wochenendeinkauf erledigt werden. Ein Blick in die Local-Shopping-App zeigt Doug, in welchen Supermärkten er heute noch Grillkohle bekommt. Beim Bau des Hauses konnten anhand des digitalen Zwilling der Stadt der Schattenwurf bestehender Gebäude und Frischluftschneisen und damit der ideale Standort für den Grill im Garten ermittelt werden.

Doug arbeitet als Paketzusteller. Eines Tages wird Doug von einem Remote-Arbeitsplatz aus Lieferdrohnen überwachen, doch bis dahin fährt er die Pakete noch selbst zu den Empfängern. Eine Echtzeit-Routenplanung wertet aktuelle Verkehrsdaten aus und kombiniert sie mit historischen Daten, um Prognosen über das kurzfristige Verkehrsgeschehen zu treffen. Damit reagiert das System auf Stau und kann für Doug eine zeit- und ressourcenschonende Route zusammenstellen. Durch intelligente und adaptive Ampelschaltungen können außerdem Rettungswagen schnell am Einsatzort ankommen. Die Verkehrssteuerung kann einzelne Straßen vorübergehend umwidmen, beispielsweise um sie tagsüber zu einer Spielstraße zu machen. Diese Informationen werden automatisch an alle Navis gesendet, sodass geplante Routen nicht beeinträchtigt werden.

Smarte Parks und digitale Bürgerbeteiligung

Und wenn die Pakete dann beim Empfänger angekommen sind? Dann muss erstmal viel Pappe entsorgt werden. Zum Glück lässt sich der Füllstand des Papiercontainers online einsehen, sodass man nicht vergeblich losgeht. Wenn der Container voll ist, senden die Sensoren ein Signal an die Stadtreinigung und der Container wird in die nächste Leerungstour aufgenommen.

Arthur ist Carries Vater. Jede Woche geht er mit seiner Bekannten Holly spazieren. Laut Echtzeit-Luftgütemessung ist heute die Luft im Viertel besonders gut. Die Beleuchtung im Stadtpark und in den Straßen geht mithilfe von Lichtsensoren nur bei Bedarf an, das spart Energie. Bei Störungen wird die Stadtverwaltung direkt informiert.

Die Laternenmasten, die gleichzeitig WLAN-Hotspots sind, sind zudem mit Sensoren ausgerüstet. Darüber werden Umweltdaten erfasst, die für vielfältige Analyse- und Prognosezwecke eingesetzt werden. Beispielweise werden Glatteis und Schneefall erfasst, sodass der Winterdienst eine optimale Route der Räumfahrzeuge zusammenstellen kann. Der Park ist mit einem intelligenten Bewässerungssystem ausgerüstet. Dabei wird aus der durch Sensoren gemessenen Bodenfeuchtigkeit und aktuellen Wetterdaten die richtige Gießwassermenge ermittelt. Wenn die beiden eine Verschmutzung oder eine Barriere feststellen, tragen sie diese in die Mängelmelder-App der Stadt ein. Bei der Gelegenheit nimmt Arthur auch gleich an der Online-Beteiligung zur Planung eines neuen Wohnquartiers teil.

Drei Lehren für die Smart City

Zuhause, bei der Arbeit und unterwegs: Smart City streift viele Bereiche unseres Alltags. Es sind nicht die ganz großen Veränderungen. Im Wesentlichen ist alles wie immer – nur besser organisiert. Drei Lehren können aus meiner Sicht gezogen werden.

Technologien müssen erstens als Instrument begriffen werden. Sie sollen uns bei der Schaffung einer menschengerechten, nachhaltigen, lebenswerten Stadt unterstützen. Smart City existiert nicht um der Technologie Willen, sondern um die Stadt in die Lage zu versetzen, sich nach den Menschen zu richten. Dabei sollte die Wirkrichtung beachtet werden: Nicht ein Einsatzgebiet für eine neue Technologie suchen, sondern zuerst den Bedarf einer Veränderung im Alltag der Menschen identifizieren und daraufhin eine Lösung dafür suchen. 

Zweitens muss es weniger um Science Fiction gehen, sondern mehr um den Alltag. Denn die Smart City ist im Alltag nützlicher, als wir es vielleicht bisher annehmen. Auf den ersten Blick scheint die Erfassung und Auswertung von Daten nur für die großen Player relevant, doch auch wir Menschen haben im täglichen Leben etwas davon. Letztendlich wird das Engagement der Bürgerschaft über Erfolg oder Misserfolg von Smart-City-Aktivitäten entscheiden. Futuristische Beschreibungen in Science-Fiction-Manier lassen keine Identifikation der Menschen mit den Technologien zu. Daher sollten wir den praktischen Nutzen der Menschen im Hier und Heute nicht aus dem Blick verlieren.

Und als letzten Punkt: Smart City bedeutet nicht, dass alles immer visionär, innovativ und noch nie da gewesen sein muss. Statt Aktivitäten daran zu messen, wie einzigartig und futuristisch sie sind, sollte der Fokus vielmehr darauf liegen, vorhandene Technologien so einzusetzen, dass unsere Städte lebenswerter, effizienter und nachhaltiger werden, um den größten Nutzen für Stadtgesellschaft und Umwelt zu erzielen. Wir brauchen nicht das Neue, sondern das Nützliche. Wir brauchen den Mut, das, was wir bereits kennen, neu anzuwenden und einzusetzen. Technologien werden erst durch ihre Anwendung nützlich. Nur, weil man eine Mitgliedskarte fürs Fitnessstudio im Portemonnaie hat, ist man ja noch nicht hingegangen.

Wir sind nicht auf dem Weg zur Smart City. Wir sind eigentlich schon mittendrin. Und nun wünsche ich Ihnen – ein bisschen verfrüht –, dass das kommende Wochenende für Sie schön und smart wird. Oder wie Arthur sagen würde: Tja, das nennt man Leben!

Kathrin Karola Viergutz ist unter anderem Referentin für Smart City beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und berät Kommunen auf dem Weg zur zukunftsfähigen, nachhaltigen und menschengerechten Stadt. Als studierte Verkehrsingenieurin forscht sie zudem an der Mobilität der Zukunft.

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