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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Abschied von Klischees und Kampfbegriffen

Arne Behrensen, Senior Expert Transportwende beim Branchenverband Zukunft Fahrrad
Arne Behrensen, Senior Expert Transportwende beim Branchenverband Zukunft Fahrrad Foto: promo

Studien und die Praxis belegen das Potenzial von Lastenrädern und Anhängern speziell im Wirtschaftsverkehr. Doch die öffentliche Debatte ist politisch aufgeladen. Der Umbau von Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsrecht zugunsten des Radverkehrs muss jetzt Tempo aufnehmen.

von Arne Behrensen

veröffentlicht am 22.09.2023

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Es war ein großer Aufreger im letzten Bundestagswahlkampf: Die Grünen forderten eine bundesweite Kaufprämie von 1000 Euro für private Lastenräder. Eigentlich ein logischer Schritt. Denn wieso zahlt der Bund mehrere Tausend Euro Kaufprämie für ein privates E-Auto während Käufer:innen von deutlich energieeffizienteren E-Lastenrädern leer ausgehen? Natürlich lässt sich darüber streiten, ob Kaufprämien ein sinnvolles Förderinstrument sind. Wäre es nicht effizienter und gerechter, Sharing-Angebote zu fördern und mehr und breitere Radwege zu bauen?

Doch im Bundestagswahlkampf ging es nicht um eine sachliche Debatte. Denn politisch ist das Lastenrad aufgeladen mit Klischees und dient gern als Kampfbegriff. Nicht nur CDU-Generalsekretär Paul Ziemiack machte sich über Lastenräder und speziell die Einsatzmöglichkeiten in Unternehmen auf Twitter lustig: „Stelle mir gerade Bauarbeiter auf dem Weg zur Baustelle vor. Gibt es auch Tandem-Lastenrad für Chef & Azubi? Vorne der Presslufthammer verstaut – als Fahrradanhänger ein Betonmischer?“

Was Wahlkämpfer Ziemiack sicherlich nicht wusste: Die NRW-Landesregierung unter CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte bereits 2018 eine Kaufprämie für private und gewerbliche Lastenräder eingeführt. Auch die Große Koalition im Bund hat 2018 für gewerbliche E-Lastenräder und Anhänger eine Kaufprämie eingeführt und 2021 deutlich ausgeweitet. 25 Prozent (bis zu 2500 Euro) erhalten Unternehmen seitdem von der BAFA beim Kauf eines modernen E-Lastenrads oder E-Anhängers. Mit größeren Modellen lassen sich auch Presslufthammer und Betonmischer komfortabel zur Baustelle fahren – in einem begrenzten, aber in vielen Fällen ausreichenden Radius.

Urbane Logistik setzt mehr und mehr auf Lastenräder

Wie groß das Potenzial von Lastenrädern und Anhängern speziell im Wirtschaftsverkehr ist, hat eine DLR-Studie im Auftrag des CSU-geführten Bundesverkehrsministeriums bereits 2016 gezeigt: Fast ein Viertel aller gewerblichen Kfz-Fahrten mit bis zu 50 Kilo Transportgut können bei Distanzen bis zehn Kilometer auf moderne Lastenräder und Anhänger verlagert werden. In ländlichen Kreisen ist das Potenzial laut DLR-Studie übrigens nur geringfügig kleiner.

Aus der urbanen Logistik sind Lastenräder längst nicht mehr wegzudenken. Während sie in der Postzustellung seit jeher etabliert sind, setzen auch in der Paketzustellung, bei Kurierdiensten und in anderen Bereichen der urbanen Logistik mehr und mehr Unternehmen auf Radlogistik. Zentral gelegene Mikrodepots – oft in Kooperation mit Kommunen – sorgen dabei für eine effiziente Einbindung der Lastenräder in größere Logistikketten der Unternehmen.

Auf der Nationalen Radlogistik-Konferenz in Darmstadt, der jährlichen Fachkonferenz der klein- und mittelständischen Radlogistik-Pionierunternehmen, herrschte am Mittwoch dennoch eine gewisse Ernüchterung. Sorge bereitet das aktuell diskutierte Subunternehmer-Verbot in der Paketzustellung, das neben skandalösen Lohndrückern auch Radlogistik-Pionierunternehmen treffen würde, die meist deutlich über Mindestlohn zahlen.

Insgesamt läuft das Umsatteln im Wirtschaftsverkehr langsamer als es könnte beziehungsweise müsste. Der Umbau von Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsrecht zugunsten des Radverkehrs verläuft schleppend, Unternehmen schieben Fuhrpark-Investitionen angesichts der Krise auf, und vor allem größere Unternehmen und Institutionen zeigen sich bei Beschaffung und Vergabe strukturkonservativ.

Bund, Länder und Kommunen bei Transportaufträgen gefragt

Was kann jenseits des langwierigen Kampfes um fahrrad- und lastenradfreundlichere Infrastruktur das Umsatteln im Wirtschaftsverkehr beschleunigen? Immerhin wird das Bundeswirtschaftsministerium die BAFA-Kaufprämie für gewerbliche E-Lastenräder und E-Anhänger über Februar 2024 hinaus verlängern. Und sollte sie dabei gleich auch attraktiver gestalten: durch die Öffnung für Leasing und eine Anhebung der Kappungsgrenze zum Beispiel. Denn bisher sind es verglichen mit Kaufprämien und Ladeinfrastruktur für E-Autos Peanuts, die für die Förderung von gewerblichen Lastenrädern ausgegeben werden.

Außerdem müssen Bund, Länder und Kommunen mit gutem Beispiel vorangehen und gezielt eigene Transportaufträge an Radlogistiker vergeben sowie verstärkt Lastenräder und Anhänger im eigenen Fuhrpark anschaffen. Ein wichtiger politischer Hebel dafür ist die Transformation des Vergaberechts, die aktuell ebenfalls im Bundeswirtschaftsministerium in Arbeit ist.

Und wir brauchen wieder ein deutlicheres Bekenntnis zu den Zielen des Nationalen Radverkehrsplans und dem Potenzial von Lastenrädern anstatt Politiker:innen, die populistisch über Lastenräder herziehen oder sich fürchten, als Ökospinner geprügelt zu werden. 

In Frankreich lässt nicht nur die Pariser Bürgermeisterin im Rekordtempo breite Radwege anlegen. Die französische Premierministerin hat im Mai gemeinsam mit fünf Minister:innen eine neue Fahrradstrategie vorgestellt. Unter anderem soll die Fahrradproduktion in Frankreich von 850.000 auf zwei Millionen im Jahr 2030 steigen. Der französische Radlogistik-Verband „Les Boites a Vélo“ erhält sieben Millionen Euro zur Förderung der Radlogistik. Frankreich macht Fahrradpolitik auch zur Wirtschaftspolitik. Und Lastenräder spielen eine wichtige Rolle dabei.

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