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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Der Luftverkehr könnte mehr als die Hälfte der Klimaschäden leicht vermeiden

Joachim Curtius, Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Joachim Curtius, Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Foto: U. Detmer/Goethe-Univ. Frankfurt

Mehr als die Hälfte der Klimawirkungen des Flugverkehrs ließen sich durch Änderung der Flughöhe vermeiden. Darauf deuten Modellrechnungen hin, schreiben Joachim Curtius und Christoph Wolff im Standpunkt. Die Politik sollte Anreize setzen, dass Airlines auch klimaschädliche Nicht-CO2-Emissionen reduzieren.

von Joachim Curtius

veröffentlicht am 14.02.2022

aktualisiert am 29.12.2022

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In den letzten Jahren sind die Auswirkungen der Luftfahrt für das Klima immer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Das Flugzeug ist mit großem Abstand das klimaschädlichste Verkehrsmittel pro zurückgelegtem Passagierkilometer. Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Sydney führt zu Emissionen von über zehn Tonnen CO2-Äquivalent pro Passagier, höher als die Treibhausgas-Emissionen eines Durchschnittsdeutschen im ganzen Jahr. Auch eine Urlaubsreise auf die Kanaren verursacht bereits mehr als 1,5 Tonnen CO2-Äquivalent. 

Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern sind die Verkehrsflugzeuge so klimaschädlich, weil nicht nur das bei der Verbrennung des Kerosins erzeugte CO2 klimawirksam ist, sondern auch die weiteren Verbrennungsprodukte Ruß, Wasserdampf und Stickoxide das Klima direkt oder indirekt aufheizen. Vor allem Zirruswolken, die aus Kondensstreifen entstehen können, spielen hier die größte Rolle. Diese sogenannten Kondensstreifenzirren, die bis zu 24 Stunden bestehen bleiben können, beeinflussen den Strahlungshaushalt der Erde.

Sie können einerseits Sonnenlicht ins Weltall zurück streuen, was eine abkühlende Wirkung für das Klima hat, halten aber auch vom Erdboden kommende Wärmestrahlung zurück, was im Ergebnis netto für eine erwärmende Wirkung sorgt. Im globalen Mittel ist der erwärmende effektive Strahlungsantrieb des Luftverkehrs bei Einbeziehung von Kondensstreifenzirren und Stickoxidemissionen etwa dreimal so groß wie die Klimaeffekte durch das bei der Verbrennung entstehende CO2 alleine. 

Klimaschädliche Nicht-CO2-Emissionen werden weitgehend ausgeblendet

Der Luftfahrtindustrie ist bewusst, dass die klimaschädlichen Emissionen des Luftverkehrs nicht mit den Pariser Klimazielen im Einklang stehen. Allerdings werden in den bisherigen Planungen zur Emissionsreduktion lediglich die CO2-Emissionen angegangen. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO hat mit dem Corsia-Programm zwar eine erste Begrenzung der CO2-Emissionen geplant und im Rahmen des europäischen Programms Destination 2050 werden Pfade aufgezeigt, wie die europäische Luftfahrt bis 2050 dekarbonisiert werden soll. Eine Rolle spielen dabei der Umstieg auf Wasserstoffantriebe und insbesondere synthetische Treibstoffe für Mittel- und Langstrecken, die mit erneuerbaren Energien aus CO2 hergestellt werden.

Das Problem der Nicht-CO2-Emissionen wird bisher weitgehend ausgeblendet. Im Europäischen System des ETS-Zertifikate-Handels werden nur die CO2-Emissionen von innereuropäischen Flügen berücksichtigt, nicht aber die weiteren Effekte zum Beispiel aus Kondensstreifenzirren.

Aktuell gibt es zu dem letzteren Thema gute Nachrichten. Neue Forschungsergebnisse zeigen für die Kondensstreifenzirren ein erhebliches Reduktionspozential mit einfachen Mitteln. Modellstudien aus einer Zusammenarbeit des Imperial College London und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt stellten fest, dass es nur bei einem sehr kleinen Teil der Flüge zur Ausbildung der erwärmend wirkenden klimaschädlichen Kondensstreifenzirren kommt.

In den Modellrechnungen wird für jeden einzelnen Flug anhand der Flugposition, der Spritverbräuche und der herrschenden meteorologischen Bedingungen ausgerechnet, ob sich Kondensstreifen bilden, wie lang sie bestehen bleiben und vor allem welche erwärmenden oder abkühlenden Wirkungen für den Strahlungshaushalt entstehen.

Was eine Änderung der Flughöhe bewirken kann

Langlebige Kondensstreifenzirren entstehen demnach nur unter bestimmten Temperatur- und Luftfeuchtebedingungen in der Atmosphäre. Erwärmend wirken Kondensstreifenzirren vornehmlich in den Nachtstunden, wenn kompensierende kühlende Effekte durch Rückstreuung des Sonnenlichts wegfallen. Insgesamt ist nur ein sehr kleiner Teil von etwa zwei Prozent der Flüge für achtzig Prozent des erwärmenden effektiven Strahlungsantriebs verantwortlich. Würde man diese Flüge einige hundert Meter höher oder tiefer durchführen, könnte in den meisten Fällen die Bildung der erwärmenden Zirren verhindert werden. 

Bislang wurden die Modellrechnungen nur für den japanischen Luftraum durchgeführt. Es ist aber zu erwarten, dass die Bedingungen für Regionen wie Europa oder Nordamerika ähnlich sind. In einer Folgeuntersuchung kommt dasselbe Team zu dem Schluss, dass eine Optimierung der Flugplanung für etwa 20 Prozent der Flüge die erwärmenden Auswirkungen durch Kondensstreifenzirren vollständig vermeiden könnte.

Durch die Entstehung von Zirren, die tagsüber für eine abkühlende Wirkung sorgen, würde es sogar zu einer geringfügigen Überkompensation kommen. Bei diesen Modellierungen wurde auch berücksichtigt, dass durch die geänderten Flughöhen insgesamt kein zusätzlicher Spritverbrauch auftritt und somit die CO2-Emissionen nicht erhöht werden. Die Rechnungen sind vielversprechend, so dass schnellstmöglich entsprechend detaillierte Kondensstreifenzirrus-Vorhersagen in die Flugplanung einbezogen werden sollten und die Machbarkeit und Effektivität der Vermeidung sollte im realen Flugbetrieb demonstriert werden. 

Werden diese über CO2 hinausgehenden Klimaeffekte mitberücksichtigt, dann trägt der globale Flugverkehr etwa 0,04 Grad oder vier Prozent zur bisherigen Klimaerwärmung von fast 1,2 Grad bei. Dies ist mehr als der Beitrag durch die fossilen CO2-Emissionen des gesamten afrikanischen Kontinents. In den kommenden drei Jahrzehnten könnten weitere 0,06 Grad Erwärmung durch den zukünftigen Flugverkehr hinzukommen. Im Rahmen der Paris-Ziele zur Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 bis maximal 2 Grad würde dieser Beitrag 17 Prozent der verbleibenden 0,3 Grad, beziehungsweise 8 Prozent der verbleibenden 0,8 Grad Erwärmung betragen. 

Sollte es sich bewahrheiten, dass mehr als die Hälfte der Klimawirkungen des Flugverkehrs durch Änderung der Flughöhe vermieden werden können, so sollte dies umgehend umgesetzt werden. In kaum einem anderen Bereich ist so schnell, mit wenig Aufwand und ohne schwerwiegende Nachteile ein so großer Effekt erreichbar. Hierfür wäre es als Anreiz für die Fluggesellschaften wichtig, die Nicht-CO2-Effekte mindestens im europäischen Zertifikate-Handel zu berücksichtigen. Fluggesellschaften, die mit ihren Flugplanungen die Entstehung von erwärmend wirkenden Kondensstreifenzirren effektiv vermeiden, benötigen dann weniger ETS-Zertifikate

Aber auch mit diesen Maßnahmen müssen die fossilen CO2-Emissionen des Flugverkehrs reduziert werden und in 20 bis 30 Jahren auf null gebracht werden. Hierfür sind viele technische Entwicklungen und ein riesiger Ausbau der Kapazitäten für alternative Treibstoffe notwendig. Während der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass ein großer Teil der Meetings und Konferenzen online ohne Geschäftsreisen durchgeführt werden können. Auch diese Reduktion der Flugreisen wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Klimaschäden des Flugverkehrs sein. 

Joachim Curtius ist Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Christoph Wolff ist Senior Advisor bei McKinsey und Visiting Professor an der Universität St. Gallen. 

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