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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Echte Vorhabenbeschleunigung statt Ampel-Hickhack

Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur Schleswig-Holstein (Grüne)
Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur Schleswig-Holstein (Grüne) Foto: MEKUN Schleswig-Holstein

Die Debatte um Planungsbeschleunigung wird zum Teil plump geführt, meint Tobias Goldschmidt. Trotz Klimaschutzfokus müssten zum Beispiel auch einige Autobahnprojekte Priorität erhalten dürfen. Die Unterscheidung in „gute“ und „böse“ Projekte, schreibt er, drohe sonst zur Blockade zu führen.

von Tobias Goldschmidt

veröffentlicht am 16.02.2023

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Während in Deutschland ein ums andere Infrastrukturvorhaben verschleppt wird, reibt sich so mancher verwundert die Augen: Die Berliner Ampel hat sich jüngst in der leidenschaftlich geführten Debatte um Planungsbeschleunigung überworfen. Leider ging es dabei kaum darum, wie beschleunigt werden soll, sondern, was denn nun eigentlich schneller umgesetzt werden müsse. Die Energiewende? Der Bau neuer Eisenbahnstrecken? Oder etwa doch neue Autobahnen? Das ist eine plumpe Auseinandersetzung, die niemanden weiterbringt, unser Land schon gar nicht.

Für mich ist klar: Der Versuch, einfach nur die eigenen Lieblingsprojekte als im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehend zu definieren, muss scheitern. Denn diese Auseinandersetzung geht am Kern der Sache vorbei. Wer allem Priorität gibt, der gibt in Wahrheit keinem Projekt Priorität. Und wer glaubt, mit der einen Formel alle Vorhaben gleichzeitig nach dem Motto „Augen zu und durch“ durchpeitschen zu können, verkennt mit großer Naivität die Komplexität von Infrastrukturvorhaben. Aber Deutschland hat eine echte, ganzheitliche Vorhabenbeschleunigung verdient – von der ersten Projektidee bis zur Inbetriebnahme. Eine Debatte allein über das Tempo unserer Behörden bei Genehmigungsverfahren greift viel zu kurz.

Aus der Bürgerbeteiligung kann man viel lernen

In Brunsbüttel hat gerade ein schwimmendes LNG-Terminal festgemacht, das von der Bundesregierung eilig gechartert werden musste, um die Energieversorgungssicherheit unseres Landes wiederherzustellen. Die Pipeline-Anbindung und der Betrieb dieser Floating Storage and Regasification Unit (FSRU) wurde in einem knappen Jahr geplant, genehmigt und gebaut. Dabei war das LNG-Beschleunigungsgesetz hilfreich, aber keineswegs alleiniger Grund für das Tempo.

Für die schnelle Realisierung der FSRU mussten in den Behörden andere Projekte zurückstehen. Beschleunigung hat viel mit klarer Prioritätensetzung und der Verwaltung von begrenzten Kapazitäten zu tun. Mithilfe eines externen Projektmanagements sowie einer Rechtsberatung und der Klärung von Konflikten auf höheren Ebenen – auch mal außerhalb der üblichen Verwaltungswege – konnte hier so mancher Knoten durchschlagen werden.

Aktuell befindet sich eine weitere Leitung zur Anbindung der FSRU an das deutsche Gas-Fernleitungsnetz in der Planfeststellung. Das LNG-Beschleunigungsgesetz ermöglicht, eine Vielzahl reversibler Maßnahmen vorzeitig zuzulassen. So kann das Bauvorhaben um mehrere Monate beschleunigt werden. Wo sonst noch eine gesamte Vegetationsperiode abgewartet werden müsste, ehe der Gehölzschnitt erfolgen darf, kann dieser nun auch vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durchgeführt werden. So können schon in diesem Sommer Pipelinerohre verlegt werden. Natürlich ist das eine schmerzhafte Entscheidung aus Sicht des Naturschutzes, aber sie ist verhältnismäßig und viel wichtiger: Sie wurde politisch getroffen und nicht ewig lange gutachterlich diskutiert.

Bei der Planung unserer 380-Kilovolt-Westküstenleitung haben wir gelernt, die Beteiligung der Öffentlichkeit nicht als lästiges Hemmnis zu verstehen. Die Westküstenleitung verbindet Dänemark und die Offshore-Windparks mit den großen Netzverknüpfungspunkten der abgeschalteten Atommeiler an der Elbe. Wo einst die Akw Brunsbüttel und Brokdorf Atomstrom ins deutsche Netz einspeisten, wird jetzt grüne Energie eingesammelt und verteilt.

Seit der Realisierungsvereinbarung 2013 sind vier der fünf Bauabschnitte fertiggestellt. Ende dieses Jahres werden mit dem Anschluss ans dänische Netz 120 Kilometer Höchstspannungsleitungen in Betrieb sein; und zwar breit akzeptiert in der Region. Im Dialog mit der Öffentlichkeit entstand die Idee, im Gegenzug für die neue Leitung durch die Nordseemarschen eine andere Leitung in einem ökologisch sehr sensiblen Gebiet als Kabel nachträglich unter die Erde zu bringen. Politik, Naturschutzverbände, Kommunen und Netzbetreiber haben das gemeinsam möglich gemacht. Das ist ein Beispiel dafür, dass Beteiligungsverfahren und Öffentlichkeitsbeteiligung voller Chancen für neue Allianzen und Ideen stecken.

Auch einige Autobahnprojekte priorisieren

Warum also nicht das ein oder andere wirklich unverzichtbare und einen ernsthaften Klimacheck durchlaufene Autobahnprojekt mit Priorität umsetzen und damit verbunden in der Region große neue Naturschutzgebiete schaffen, Moorflächen im Sinne des Klimaschutzes vernässen? Wer Vorhaben beschleunigen will, sollte Umsetzungsallianzen schmieden; Vorhabenbeschleunigung für den Naturschutz sozusagen.

Beteiligung kann zur Verbesserung der Planungen, zur Beschleunigung und zur Steigerung der Akzeptanz beitragen. Auch deshalb haben wir beispielsweise im Planfeststellungsverfahren für die LNG-Anbindung eben nicht alle Möglichkeiten des LNG-Beschleunigungsgesetzes ausgenutzt und bewusst etwa auf Erörterungstermine nicht verzichtet. Wir haben diese ganz gezielt so gemacht, weil wir wissen, dass sie dazu beitragen können, Details der Planung miteinander vorzustellen und auch berechtigte Fragen kritischer Akteurinnen und Akteure zu beantworten. Sie sind von großem Wert für unsere Demokratie. So viel Zeit muss sein.

Angesichts begrenzter Ressourcen und der Größe der Aufgaben, vor denen wir stehen, brauchen wir zwingend eine politische Prioritätensetzung. Diese muss sich zwar in der Tendenz auf Projekte konzentrieren, die der Klimaneutralität dienen. Das heißt aber nicht, dass etwa der im Bundesverkehrswegeplan definierte „vordringliche Bedarf“ nun gar nichts mehr bedeutet. Auch hier sollten einzelne Projekte identifiziert werden können, die besonders hohen volkswirtschaftlichen Nutzen haben und entsprechend politisch zu priorisieren wären, während der Rest nach und nach abgearbeitet wird.

Gold wert kann auch eine klare politische Bedarfsfeststellung sein. Wenn das Parlament – also die Volksvertretung – gesetzlich feststellt, dass ein Projekt zukunftsfest ist und umgesetzt werden soll, dann ist es schwer, bei der Bürgerversammlung vor Ort oder in Genehmigungsbehörden oder vor Gerichten das Ob infrage zu stellen, und alle können sich stattdessen um das Wie kümmern.

Viel Beschleunigungspotenzial liegt vor dem Beginn von Genehmigungsverfahren statt danach. Nicht nur der Staat ist langsam und manchmal auch etwas bräsig. Auch Unternehmen scheuen Risiken, kennen Industriebürokratie und haben lange Hierarchieketten. Der Staat kann beschleunigen, indem er für Projekte, die gesellschaftlich wirklich wichtig sind, Risiken abfedert, klare Zeit- und Maßnahmenpläne vereinbart und ein gutes Projektmanagement mit wirksamen Eskalationsmechanismen installiert. Aus meiner Sicht spricht auch nichts dagegen, Straßenbauprojekte nach diesem Vorbild zu managen.

Genehmigungsverfahren sind stark reglementiert und reformbedürftig. Beispielsweise sollte es eine Verpflichtung geben, bekannte Sachverhalte bereits während des Genehmigungsverfahrens einzubringen und eine Ausschlussklausel für das Vorbringen schon lange bekannter Umstände erst vor Gericht. Und wir brauchen für einige Bereiche Stichtagsregelungen und die Verkürzung von gerichtlichen Instanzenzügen. Bei der Modernisierung und Digitalisierung des Verfahrensrechtes sollten wir nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Projekten unterscheiden.

Planungsbeschleunigung als politisches Gemeinschaftsprojekt

Selbstverständlich müssen auch die materiellen Schutzgüter an einigen Stellen neu justiert werden: Beim Großvogelschutz und der Windkraft hat diese Diskussion in den letzten Jahren stattgefunden. Der Naturschutz hat schwierige Kompromisse mit dem Klimaschutz eingehen müssen. Das war schmerzhaft, aber notwendig. Wir sollten uns ehrlich machen, dass solche Kompromisse jetzt auch im Denkmalschutz, dem Landschaftsschutz und beim Schutz des freien Blickes aus dem eigenen Wohnzimmer geboten sind. Für mich ist klar, dass Belange des Klimaschutzes – und damit der Zukunft unseres Planeten – an dieser Stelle schwerer wiegen als etwa der Wunsch nach motorisiertem Individualverkehr auf neuen Autobahnen oder das Idealbild des denkmalpflegerischen Umgebungsschutzes.

Wir stecken bis zum Hals im Klima-Schlamassel und haben nur wenig Zeit bis zum gemeinsamen Ziel der Klimaneutralität. Gleichzeitig haben wir zu wenige Arbeitskräfte in Unternehmen und Behörden und begrenzte Finanzmittel. Wir brauchen jetzt einen Mix aus ganzheitlicher Verfahrensbeschleunigung und klarer Prioritätensetzung für die zwanzig oder dreißig Großprojekte, die bundesweit wirklich im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehen. Unser Land braucht Umsetzungsallianzen statt Ampel-Hickhack. Am Ende ist Vorhabenbeschleunigung ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem jeder was in die Mitte legen muss.

Tobias Goldschmidt (Grüne) ist seit Juni 2022 Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein in einer schwarz-grünen Regierung. Er folgte auf Jan Philipp Albrecht, der zur Heinrich-Böll-Stiftung wechselte.

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