Deutschlandweit besteht ein Bedarf von mindestens einer Million zusätzlicher Fahrradabstellplätze an Bahnhöfen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie, die 2019 im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung erarbeitet wurde. Bislang stehen hierzulande gerade einmal 400.000 Fahrradabstellplätze an den rund 6600 Bahnhöfen für deutlich mehr als 80 Millionen Einwohner:innen zur Verfügung.
Der große Nachholbedarf wird deutlich, wenn wir einen Blick in unser Nachbarland werfen: 17 Millionen Niederländer:innen können an den 410 Bahnhöfen des Landes an rund 500.000 Abstellplätzen ihre Fahrräder parken. 46 Prozent der Bahnreisenden nutzten dort 2019 das Angebot und kamen mit dem Fahrrad zum Bahnhof. Vorzeigeprojekte wie das größte Fahrradparkhaus der Welt in Utrecht mit 12.500 Stellplätzen lassen Kommunalpolitiker:innen und Planer:innen hierzulande gleichermaßen staunen.
Bei den Ländern und beim Bund ist das Thema angekommen: Sie stellen Finanzmittel für die Kommunen zur Verfügung. Diese sind in Deutschland für das Fahrradparken am Bahnhof verantwortlich. Zudem hat das Verkehrsressort des Bundes eine Infostelle ins Leben gerufen. Diese soll die Kommunen bei der Initiierung und Umsetzung von Fahrradparkhausprojekten unterstützen. Der Verkehrsminister selbst ist ein großer Anhänger des Themas, wie er zum Beispiel beim Parlamentarischen Abend der Fahrradwirtschaft im April verdeutlicht hat.
Mit dem Rad zur Arbeit
Vieles spricht dafür, das Fahrradparken am Bahnhof deutlich auszubauen. Von einer Verlagerung von Pkw-Fahrten auf die Kombination Fahrrad+Bahn profitieren die Nutzer:innen und die Gesellschaft gleichermaßen. Eine Befragung der Deutschen Bahn hat ergeben, dass die Bahnreisenden die Kombination mit dem Fahrrad hauptsächlich für Wege zur Arbeit nutzen. Da gerade die Arbeitswege bisher zu rund 60 Prozent mit dem Auto zurückgelegt werden und mit knapp 40 Kilometern (Hin- und Rückweg) vergleichsweise lang sind, kann eine Verlagerung dieser Strecken viel bewirken. Auch weil sie täglich oder zumindest – auch in Zeiten der Corona-Pandemie – regelmäßig stattfinden.
Die Verlagerung der Pkw-Fahrten führt zunächst natürlich zu einer Reduktion von klimaschädlichen CO2-Emissionen. Aber auch lokal in den Städten wirkende Luftschadstoffe werden verringert – beispielsweise Feinstaub und Stickoxidemissionen. Die neuen Bike+Ride-Nutzer:innen profitieren davon, dass sich das regelmäßige Radfahren positiv auf ihre Gesundheit auswirkt – gesamtwirtschaftlich betrachtet schlägt sich dies in niedrigeren Gesundheitskosten und einer Entlastung des Gesundheitssystems nieder. In der Kombination mit günstigen ÖPNV-Tarifen ist Bike+Ride zudem eine kostengünstige Alternative zur täglichen Autonutzung.
Für die Gesellschaft schlägt der reduzierte Ressourcenverzehr durch die niedrigeren Fahrzeugbetriebskosten des Fahrrads im Vergleich zum Auto zu Buche. Reisezeitvorteile können sich für die Rad+Bahn-Fahrer:innen dann ergeben, wenn bahnsteignahe Fahrradabstellplätze und gut ausgebaute, schnell befahrbare Bahnstrecken zugestauten Straßen gegenüberstehen.
Von einer reduzierten Unfallgefahr bzw. niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Unfallschadenskosten profitieren die Bike+Ride-Nutzer:innen bzw. die Gesellschaft dann, wenn lange Pkw-Fahrten auf die Bahn verlagert werden und der Weg zum Bahnhof auf einer gut ausgebauten und sicheren Radverkehrsinfrastruktur zurückgelegt werden kann.
Weniger Diebstähle
Bahnhöfe sind meist Schwerpunkte für Fahrraddiebstahl – es sei denn, die Fahrräder können dort ein- oder zumindest angeschlossen werden. Können die Bahnreisenden davon ausgehen, ihr Fahrrad am Abend wieder vorzufinden, so kommen hochwertigere Fahrräder – auch Pedelecs – statt schrottreifer „Bahnhofsräder“ zum Einsatz. Mit diesen sind die Radfahrer:innen sicherer und mit Freude unterwegs. Auch die Fahrradwirtschaft profitiert vom Verkauf hochpreisiger Räder.
Weniger Fahrräder in den Zügen
Stehen sichere Abstellmöglichkeiten am Bahnhof zur Verfügung, werden weniger Fahrräder in den Zügen mitgenommen. Bahnreisende und Verkehrsunternehmen profitieren gleichermaßen von mehr Komfort, mehr Platz für zusätzliche Fahrgäste und weniger Verspätungen durch schnelleres Ein- und Aussteigen.
Keine wild abgestellten Räder mehr
In den Städten kann durch den Bau von Fahrradabstellanlagen das Bahnhofsumfeld von wild abgestellten Rädern befreit werden. Bahnreisende werden mit gut gestalteten Bahnhofsvorplätzen mit hoher Aufenthaltsqualität und ausreichend Platz für Fußgänger:innen empfangen. Das bringt der Stadt nicht nur bei den Besucher:innen einen Imagegewinn. Mit einem Fahrradparkhaus wird auch ein sichtbares städtebauliches Zeichen für die Mobilitätswende – weg vom Auto, hin zum Rad – gesetzt.
Sharing-Angebote für den letzten Abschnitt
Fahrradparken am Bahnhof kann also eine Menge Positives bewirken. Aber nur, wenn alle Bausteine der Mobilitätskette gleichermaßen bedacht und gefördert werden: Bike+Ride-Nutzer:innen brauchen neben einem guten Abstellplatz am Bahnhof auch einen sicheren Abstellplatz an ihrer Wohnung, gute und selbsterklärende Radverkehrsinfrastruktur auf dem Weg zum Bahnhof, möglichst oft verkehrende, schnelle und pünktliche Bahnverbindungen und Sharing-Angebote für den letzten Abschnitt der Wegekette.
Am Bahnhof selbst braucht es passgenaue lokale Ansätze: Nicht immer ist das große, prestigeträchtige Fahrradparkhaus die beste Lösung – oft sind es dezentrale Anlagen, die den Bahnhof aus allen Richtungen für Radfahrer:innen optimal erschließen. Häufig können auch bestehende Gebäude genutzt werden: optimalerweise Teile von Pkw-Parkhäusern – ganz im Sinne der Mobilitätswende.
Die ländlichen Regionen nicht vergessen
Und zu guter Letzt dürfen beim Thema Fahrradparken am Bahnhof die ländlichen Regionen nicht vergessen werden: Nutzen Bahnreisende das Fahrrad zum Bahnhof, legen sie im Durchschnitt zwischen 3 und 3,5 Kilometer zurück. Durch Fahrradabstellmöglichkeiten werden also die Einzugsbereiche der Bahnhöfe gegenüber dem Zufußgehen deutlich vergrößert. Das ist besonders wichtig für die Bewohner:innen ländlicher Regionen mit meist schlechtem ÖPNV-Angebot: Für diese schafft die Kombination aus Fahrrad und Bahn ganz neue Mobilitätsoptionen jenseits des Autos.
Fahrradparken darf keine freiwillige Aufgabe sein
Es spricht viel dafür, den Ausbau des Fahrradparkens an Bahnhöfen in Deutschland flächendeckend und schnell voranzutreiben. Dafür braucht es jedoch einen Paradigmenwechsel: Fahrradparken darf keine freiwillige Aufgabe der Kommunen sein. Vielmehr muss es an jedem Bahnhof selbstverständlicher Teil der Bahnhofsausstattung werden und die Verantwortung für den flächendeckenden Ausbau auf die Stationsbetreiber übertragen werden. Nur so können wir hierzulande in Sachen Bike+Ride zu unseren niederländischen Nachbarn aufschließen.
Annette Kindl ist Referentin auf der Fachkonferenz Bahn.Rad.Parken zum Thema Fahrradparken am Bahnhof, die heute und morgen in Berlin stattfindet.