Erweiterte Suche

Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wie der Hochlauf von On-Demand-Verkehren in Deutschland gelingt

Daniel Ramot, CEO Via Transportation
Daniel Ramot, CEO Via Transportation Foto: Via

Deutschland muss die Chance nutzen, digitale Bedarfsverkehre im Zuge des Ausbau- und Modernisierungspakts für den ÖPNV sinnvoll weiterzuentwickeln und flächendeckend umzusetzen. Dafür braucht die Branche eine Perspektive für eine langfristige Finanzierung.

von Daniel Ramot

veröffentlicht am 11.09.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Der deutsche ÖPNV hat mich schon immer beeindruckt. Das Bahn-, Straßenbahn- und Bussystem des Landes ist anderen weit voraus und die Bereitschaft deutscher ÖPNV-Verantwortlicher, Technologie und Innovation für den ÖPNV zu nutzen, ist ausgeprägter als an anderen Orten in der Welt. Deutschlands Verkehrsbetriebe gehörten zu den ersten, die die Vorteile digitalisierter Bedarfsverkehre als integrierten Bestandteil des öffentlichen Verkehrs erkannt haben.

In der Tat wurden viele innovative Funktionen der Via-Technologie durch unsere Partnerschaften mit deutschen Verkehrsbetrieben inspiriert. Trotzdem verkennen wir in der aktuellen Debatte um die Finanzierung des deutschen ÖPNV die wichtige Rolle, die digitale Bedarfsverkehre bereits heute spielen, und dass wir auf den erzielten Erfolgen in Pilotprojekten aufbauen müssen, um dem ÖPNV in Deutschland eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ob im Rahmen des Ausbau- und Modernisierungspaktes oder des Deutschlandpaktes – digitale Bedarfsverkehre müssen als neue Säule des ÖPNV neben Bus und Bahn etabliert werden, um eine spürbare Verlagerung vom privaten Pkw auf den ÖPNV zu erreichen.

Mit dem Deutschlandticket hat die Bundesregierung den ersten Schritt in Richtung Verkehrswende gemacht. In einem zweiten Schritt gilt es nun, nicht nur in die Nachfrage, sondern auch in das Angebot des ÖPNVs zu investieren.

ÖPNV-Angebotsoffensive muss maßgeschneidert erfolgen

Laut VDV haben bereits mehr als elf Millionen Menschen ein Deutschlandticket gekauft und der VDV rechnet zeitnah mit einem Anstieg der Verkaufszahlen auf bis zu 17 Millionen Menschen. Das Deutschlandticket zeigt Wirkung – zumindest im urbanen Raum, wo der ÖPNV schon heute eine Alternative zum eigenen Pkw darstellt. Im nächsten Schritt muss nun der Zugang zu zuverlässigen öffentlichen Verkehrsmitteln in ländlichen und vorstädtischen Gebieten (sowie in städtischen Gebieten zu verkehrsschwachen Zeiten) verbessert und die Frequenz der bestehenden Züge und Busse in städtischen Gebieten zu Spitzenzeiten erhöht werden. Nur eine intelligente Verzahnung von digitalen Bedarfs- und Linienverkehren kann den ÖPNV zum Verkehrsmittel der Wahl zu machen – in der Stadt und auf dem Land.

Eine ÖPNV-Angebotsoffensive muss maßgeschneidert erfolgen – Flächenländer wie Niedersachsen haben andere Bedürfnisse als Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg. Das Ziel muss jedoch in jedem Fall ein attraktiverer ÖPNV sein, der in puncto Flexibilität, Komfort und Verlässlichkeit mit dem privaten Pkw mithalten kann. Dieses Ziel ist nicht allein durch eine Verdichtung von Bus- und Bahn-Taktzeiten und Liniennetzen zu erreichen, sondern Linienverkehre müssen kosteneffizient durch digitale Bedarfsverkehre ergänzt und mit diesen verzahnt werden. Integrierte Bedarfsverkehre können einen wichtigen Beitrag zur Lösung zentraler Herausforderungen und Erreichung wichtiger Ziele des Verkehrssektors leisten.

Digitale Bedarfsverkehre reduzieren Umstiege und machen als Zu- und Abbringer des Linienverkehrs das ÖPNV-Angebot insgesamt für Fahrgäste attraktiver. Mehr als 70 Prozent der Sprinti-Fahrten in der Region Hannover sind beispielsweise Zu- und Abbringerfahrten zu S-Bahnstationen, die die Reisezeiten im ÖPNV signifikant reduzieren.

Eine Möglichkeit, dem Fahrermangel zu begegnen 

Digitale Bedarfsverkehre steigern die Ressourceneffizienz im ÖPNV in Randgebieten und -zeiten, indem sie wenig ausgelastete Linienverkehrsangebote ersetzen (zum Beispiel ersetzen die Stadtwerke Neumünster ihren Linienverkehr an Sonntagen mit dem Hin&Wech) oder öffentliche Mobilität flächendeckend auch in dünn besiedelten Gebieten garantieren (zum Beispiel der Flexibus in 14 bayerischen Kommunen).

Indem gering ausgelastete Linienverkehrsangebote durch digitale Bedarfsverkehre ersetzt werden, kann dem Fahrpersonalmangel begegnet werden. Für Bedarfsverkehre wird kein Busführerschein vorausgesetzt. So kann auf einen größeren Fahrpersonal-Pool zugegriffen werden und Busfahrer:innen können dort eingesetzt werden, wo sie gerade sehr dringend gebraucht werden – beispielsweise für die Taktverdichtung zentraler Linien in den Hauptverkehrszeiten.

Digitale Bedarfsverkehre können in nur wenigen Wochen umgesetzt werden und sofort einen Beitrag zur Verkehrswende und zum Klimaschutz leisten – beim Sprinti in Hannover ersetzt bereits heute jede dritte Sprinti-Fahrt eine Fahrt mit dem eigenen Auto. Digitale Bedarfsverkehre leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Antriebswende: Schon heute setzt fast jedes neue On-Demand-Projekt auf elektrifizierte Flotten. Was fehlt, ist eine langfristige Finanzierungssicherheit für Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger, die digitale Bedarfsverkehre für sich nutzen wollen.

Ohne Finanzierung keine Zukunftsperspektive

Vorreiterregionen und -städte haben in den letzten Jahren eine Schlüsselrolle beim Einsatz von Bedarfsverkehren in Deutschland gespielt. Fördertöpfe für Pilotprojekte auf Bundes- und Länderebene haben zudem wichtige Impulse gegeben.

Doch selbst die erfolgreichsten Bedarfsverkehrsprojekte werden vor einer ungewissen Zukunft stehen, wenn nicht bald eine Perspektive auf eine langfristige Finanzierungssicherheit geboten wird. Genau hier muss der Ausbau- und Modernisierungspakt der Bundesregierung mit einer ÖPNV-Angebotsoffensive ansetzen.

Der Verweis auf knappe öffentliche Kassen ist zu kurz gedacht und die gesellschaftlichen Kosten – wie Klimaeffekt, Lärmbelästigung und Parkraumbedarf des mobilen Individualverkehrs – für Deutschland zu hoch, als dass gerade jetzt am öffentlichen Nahverkehr gespart werden kann. Vielmehr müssen jetzt Investitionen getätigt und die zur Verfügung stehenden und zukünftigen Mittel effizienter eingesetzt werden – genau das erreichen wir mit dem richtigen Mix im ÖPNV-Angebot.

Deutschland steht am Scheideweg: Der Weg in Richtung Fortschritt setzt voraus, dass Deutschland seine Innovationsführerschaft im öffentlichen Verkehr beibehält. Geht Deutschland aber jetzt nicht konsequent den nächsten Schritt, wird das bereits Erreichte aufs Spiel gesetzt und die Verkehrswende im Keim erstickt.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen