100.000 öffentliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge: Erst kürzlich hat Deutschland einen bedeutenden Meilenstein erreicht. Immerhin sind 20 Prozent der Ladesäulen bereits Schnelllader. In diesem Bereich konnte Deutschland bislang mit Finnland und Skandinavien mithalten, die oft als Vorbilder für die Verkehrswende genannt werden.
Dennoch gerät der Ausbau ins Stocken. Schweden hängt uns gerade ab und wird voraussichtlich für geraume Zeit das führende Land bei Schnellladern sein. Was ist passiert? Der entscheidende Unterschied zeigt sich in der Herangehensweise. Während Deutschland auf Perfektionismus setzt, vertrauen skandinavische Länder auf pragmatische und marktorientierte Lösungen, die zu schnellen Fortschritten führen.
Bürokratie und Datenschutz hemmen Fortschritt
In Deutschland bleibt das größte Hindernis für den Ausbau der Infrastruktur die herausfordernde Genehmigung. Die bürokratischen Prozesse bei den Netzbetreiber:innen sind langwierig, und die fehlende Digitalisierung verlangsamt den Fortschritt zusätzlich. Als Unternehmen mit Hauptsitz in Helsinki wissen wir: Im Vergleich dazu sind die nordischen Staaten pragmatischer und weiter in der Umsetzung.
Kein Wunder, denn das Energienetz in den nordischen Ländern ist häufig deutlich liberaler. Beispielsweise gibt es nur einen Netzbetreiber für jeweils das gesamte Land. Historisch bedingt ist dies in Deutschland anders. Hier gibt es vier Übertragungsnetzbetreiber, dazu knapp 900 Stadtwerke mit jeweils unterschiedlichen technischen Voraussetzungen.
Schweden und Finnland machen es vor
Schweden setzt auf ein einzigartiges, landesweites Förderprogramm für die Schnellladeinfrastruktur. Mit einer Bezuschussung von 80 bis 90 Prozent der Investitionskosten konnte das Programm den Absatz erheblich steigern. Im Gegensatz zu deutschen Programmen ist die schwedische Förderung flexibler gestaltet – ohne feste Preisvorgaben und mit deutlich höheren Fördersätzen.
Nach Genehmigung müssen die Ladestationen in Schweden innerhalb von sechs bis acht Monaten errichtet werden, andernfalls verfällt die Förderung. Im Vergleich dazu gibt es in Deutschland bei einigen Förderprogrammen nicht einmal einen Abrufzwang. Somit können Fördermittel eingefordert werden, ohne dass ein Projekt anschließend umgesetzt wird.
Die Vernetzung von Daten ist ein weiterer Engpass. In Finnland werden bereits hochentwickelte digitale Stromzähler genutzt, während Deutschland gerade die ersten Generationen einführt. Die komplizierten Vorschriften zur Eichung behindern den Aufbau von Ladestationen, führen zu Stilllegungen und vergeuden öffentliche Gelder. Gleiches gilt für Datenschutzbestimmungen, die, obwohl wichtig, den Fortschritt bremsen. Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Auch gibt es oft Unklarheiten bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen wie Haftung bei der Bereitstellung von Parkflächen für das E-Laden.
Vage Ankündigungen sorgen für Verunsicherung
Um die Elektromobilität in Deutschland voranzubringen, müssen wir diese Hindernisse überwinden. Es gilt, pragmatische Lösungen für die digitale Vernetzung und den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu finden. Dies erfordert eine koordinierte Anstrengung von staatlichen, privaten und kommunalen Akteur:innen. Ein Anliegen ist mir dabei besonders wichtig: Nicht nur föderale Struktur und Bürokratie blockieren Deutschland, sondern auch die vagen politischen Ankündigungen zu Fördermitteln von Spitzenpolitiker:innen.
Beispielhaft ist die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der diesjährigen Messe IAA Mobility, Tankstellenketten zur Errichtung von Schnellladestationen zu verpflichten. Sie blieb jedoch ohne konkrete Umsetzung. Infolge dieser Ankündigung wurden bei Ladesäulenanbietern wie Virta Aufträgen storniert, da sie als Hinweis auf neue Fördermittel interpretiert wurde. Das verunsichert Kund:innen, die lieber mit Investitionen warten, bis sich vielleicht doch noch irgendwo ein Fördertopf auftut. Das wiederum verursachte erhebliche Verzögerungen im Ausbauprozess – ein systematisches Problem in Deutschland.
Stolze Autonation Deutschland nicht Schrittmacher
Die stolze Autonation Deutschland muss sich mit der Rolle abfinden, bei der Elektromobilität nicht der Schrittmacher des Wandels zu sein. Wer sich in der Aufholjagd befindet, darf nicht den Anspruch haben, überall eigene Vorgaben durchzusetzen. Hier wird das Wunschdenken der Politik und Industrie leider noch häufig von der Realität überholt. Um den Ausbau sowohl der öffentlichen als auch der privaten Ladeinfrastruktur zu beschleunigen, sind Verbindlichkeit und ein klares Bekenntnis erforderlich.
Deutschland sollte nun von erfolgreichen, marktorientierten Konzepten der Digitalisierung aus Finnland und Skandinavien lernen. Diese gilt es beim weiteren Infrastrukturausbau konsequent umzusetzen. Klar definierte und zielgerichtete Förderprogramme können als Vorbild dienen. Nur durch ein eindeutiges politisches Engagement, begleitet von Subventionen und angemessenen politischen Rahmenbedingungen, kann Deutschland seiner angestrebten Rolle als Leitmarkt wieder gerecht werden.