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Agrar & Ernährung

Standpunkte Fehlstart verhindern

Jaana K. Kleinschmit von Lengefeld ist Präsidentin von Ovid, dem Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland, und Vorsitzende des Grain Club
Jaana K. Kleinschmit von Lengefeld ist Präsidentin von Ovid, dem Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland, und Vorsitzende des Grain Club Foto: Ovid

Um negative Auswirkungen der EU-Verordnung gegen Entwaldung zu verhindern, sollte die EU-Kommission technische, administrative und rechtliche Hürden aus dem Weg räumen und die Anwendung für die Marktteilnehmer deutlich vereinfachen, argumentiert Jaana K. Kleinschmit von Lengefeld, Präsidentin des Ölsaaten-Verbands Ovid. Zudem solle sie zügig mit den großen Herkunftsländern landwirtschaftlicher Rohstoffe kooperieren.

von Jaana K. Kleinschmit von Lengefeld

veröffentlicht am 15.02.2024

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In der öffentlichen Wahrnehmung des aktuellen Bauernprotestes kommen die Ursachen für den Unmut zu kurz. Das Thema Agrardiesel mag der Auslöser sein. Aber im Grunde geht es um den erdrückenden Berg an bürokratischen Belastungen. Gerade deshalb finden die Demonstrationen im gesamten Agrar- und Ernährungssektor breite Unterstützung.

Die Bundesregierung kündigt vollmundig Maßnahmen gegen die bürokratische Überforderung der Landwirte an. Zur gleichen Zeit lässt die EU-Kommission unter aktiver deutscher Mitwirkung ständig neue Bürokratiemonster auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft los: die Lieferkettenrichtlinie CSDDD, den Grenzausgleichsmechanismus CBAM, die Biokraftstoff-Datenbank UDB und so weiter.

Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte, EUDR, ist ein Paradebeispiel für die Flut bürokratischer Zumutungen – für Bauern und die gesamte Ernährungs- und Agrarwirtschaft. Deshalb haben sich 16 führende Verbände zusammengeschlossen und fordern von der EU-Kommission Schadensbegrenzung.

Gut gemeint, schlecht gemacht

Die EUDR wurde mit deutscher Unterstützung in Brüssel im Eiltempo durch das Gesetzgebungsverfahren gedrückt – ohne Zeit damit zu verschwenden, die Praktikabilität des ambitionierten Regelwerks mit den betroffenen Wirtschaftsbranchen oder den großen Herkunftsländern zu besprechen. Je näher der Starttermin rückt, desto mehr rächt sich dieses Versäumnis. Nun droht ein Fiasko.

Die neuen Regeln sollen wesentlichen Fortschritt im Kampf gegen Entwaldung bringen. Die Wirtschaft teilt dieses Ziel. Viele Unternehmen engagieren sich seit langem für die Transformation der Lieferketten hin zu mehr Nachhaltigkeit. Statt aber auf vorhandene Erfahrungen, Standards und Projekte aufzubauen, setzt die EUDR auf rigide Verbote, Kontrollen und völlig aus dem Ruder gelaufene Nachweisanforderungen an die Marktbeteiligten.

Millionen Erzeuger und Händler von Kaffee, Kakao, Soja, Palmöl, Rindern, Holz und Kautschuk müssen ab 30. Dezember – zusätzlich zu den vielen bereits bestehenden Sorgfaltspflichten – umfangreiche Legalitätsnachweise und Rückverfolgungsdaten erbringen. Sie müssen detailliert nachweisen, dass ihre Waren aus entwaldungsfreien Anbaugebieten stammen, wenn sie diese weiterhin auf dem EU-Markt einführen und verkaufen wollen. Betroffen sind alle Akteure in der Wertschöpfungskette: der Landwirt im Ursprung, der Zwischenhandel, LKW-Fahrer, Umschlagsbetriebe, Handel, Verarbeiter sowie viele weitere Beteiligte in- und außerhalb der EU.

Weniger als elf Monate vor dem geplanten Start des Regelwerks ist offenkundig, dass die EU-Kommission selbst mit den Vorbereitungen ziemlich überfordert ist. Es zeigt sich: Gut gemeint ist eben nicht automatisch gut gemacht. Ein ambitioniertes Gesetz zu formulieren ist eine Sache. Etwas anderes ist es, staatlicherseits Verantwortung dafür zu tragen, dass die Betroffenen die neuen Regeln auch rechtssicher anwenden können. Genau das dürfen aber Bürger und Unternehmen in der EU vom Gesetzgeber erwarten.

Massive Hürden, bürokratische Belastungen

Allein in Deutschland müssen hunderttausende Unternehmen ihre Warenwirtschaftssysteme und Lieferketten an die zusätzlichen Nachweispflichten anpassen. Umfangreiche Investitionen und organisatorische Umstellungen sind zur Vorbereitung erforderlich. Angesichts der Komplexität globaler Warenströme im Agrar- und Lebensmittelsektor ist das ein Kraftakt, der klare und praxisnahe Regeln seitens Gesetzgeber und Behörden voraussetzt.

Aber diese Regeln kommen nicht und kostbare Zeit verrinnt. Die Verordnung ist schon seit Juni 2023 in Kraft. Doch es gibt bis jetzt kaum Antworten auf entscheidende Anwendungsfragen. Eine konkrete Auflistung der vorzulegenden Informationen zum Legalitätsnachweis ist nicht verfügbar. Ein ausgereiftes IT-System für die Millionen von Datensätzen zur Rückverfolgung der betroffenen Produkte ist noch in weiter Ferne. Die notwendige staatliche Kooperation mit wichtigen Herkunftsländern ist bislang ebenfalls unterblieben. In vielen Ländern fehlt es an den gesetzlichen, administrativen, technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der Rückverfolgbarkeits- bzw. Nachweisbestimmungen durch Unternehmen und Erzeuger. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Wohlgemerkt: Es geht nicht nur um die Erzeugerländer des globalen Südens. Die Verordnung gilt auch für die Land- und Forstwirte in Europa. Das birgt hierzulande zusätzlich politischen Sprengstoff. Ebenso wie der Kleinbauer auf Sumatra muss auch der Forstwirt im Schwarzwald, der Sojaanbauer an der Donau wie der Rinderhalter aus Norddeutschland künftig bei jeder Lieferung Satellitendaten und Dokumente übermitteln, um detailliert nachzuweisen, dass sie verordnungskonform tätig sind. Und dies, obwohl hierzulande keine Naturräume betroffen sind. Das toppt die jetzt schon immensen bürokratischen Zumutungen!

Weltweite Negativeffekte

Auch mit der Frage, wie vermieden werden kann, dass Millionen von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus den globalen Lieferketten ausscheiden, weil sie die neuen Regeln der EU nicht erfüllen können, hat sich die EU-Kommission bisher offenkundig nicht ausreichend befasst. Und dies, obwohl einige NGOs angesichts dieser Gefahr schon seit Monaten Alarm schlagen. Auf einem Fachpodium des Grain Club im Global Forum for Food and Agriculture stand dieses Problem im Fokus. Marktteilnehmer und Agrar-Organisationen in Südostasien, Lateinamerika und Afrika fordern mehr Zeit und massive Finanzhilfen der EU, um die mit dem neuen Regelwerk verbundenen Herausforderungen vor Ort bewältigen zu können. Bis auf ein paar Schaufensterprojekte der Entwicklungszusammenarbeit hat ihnen Brüssel aber bisher sehr wenig zu bieten.

Die EUDR droht nicht nur der Ausschluss direkt betroffener Marktbeteiligter zu fördern. Es sind auch weltweite Verwerfungen und Umlenkungseffekte für Märkte und Warenströme zu erwarten. Dies hätte ernste Folgen für die Versorgungssicherheit in Europa. Das politische Ziel, trotz weltweiter Anspannung auf den Agrarmärkten und Lieferketten bezahlbare Lebensmittel sicherzustellen, droht massiv behindert zu werden.

Schon jetzt stufen manche überseeischen Erzeuger und Händler die EU mit Blick auf Überregulierung und gesetzlich getriebene Diskriminierung als „Bad Market“ ein. Viele werden ersatzweise weniger stark regulierte Märkte bedienen. Ein klassischer Leakage-Effekt: Während sich für die Rohstoff-hungrigen Staaten außerhalb Europas so neue Bezugsquellen bieten, könnte sich die Situation in vielen Erzeugerländern der südlichen Halbkugel mit Blick auf Klimafolgen, Biodiversität sowie Menschen- und Sozialrechte spürbar verschlechtern.

Was jetzt zu tun ist

So wie es derzeit aussieht, könnte die EUDR weltweit gravierende Kollateralschäden auslösen: sozial, ökologisch und wirtschaftlich. Daran kann niemand ein Interesse haben, weder die EU noch die Erzeugerländer und schon gar nicht die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Ein Fehlstart mit weitreichenden Auswirkungen ist aber nur noch zu vermeiden, wenn die EU-Kommission die entscheidenden technischen, administrativen und rechtlichen Hürden umgehend aus dem Weg räumt, die Anwendung für die Marktteilnehmer deutlich vereinfacht und die Kooperation mit den großen Herkunftsländern dieser Welt in den kommenden Monaten entschieden vorantreibt.

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