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Agrar & Ernährung

Standpunkte Wie die Bepreisung von tierischen Produkten politisch möglich wird

Linus Mattauch, Juniorprofessor für Nachhaltigkeitsökonomik an der TU Berlin
Linus Mattauch, Juniorprofessor für Nachhaltigkeitsökonomik an der TU Berlin

Eine Tierwohlabgabe in Deutschland und ein CO2-Preis für die Landwirtschaft in Europa könnten die Emissionen aus dem Fleischkonsum senken. Politisch durchsetzbar wäre das beispielsweise über die Rückverteilung der Einnahmen, schreiben Franziska Funke, Linus Mattauch und Leona Tenkhoff.

von Linus Mattauch

veröffentlicht am 03.11.2023

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Im August stellte die sogenannte Borchert-Kommission des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ihre Arbeit ein. Der Grund sei die mangelnde Resonanz der Bundesregierung auf ihre Kernempfehlung: die Einführung einer langfristig gesicherten Tierwohlprämie, um den Umbau der deutschen Nutztierhaltung voranzutreiben. Um die langfristige Finanzierung sichern zu können, empfahl die Borchert Kommission im Jahr 2020 eine Tierwohlabgabe – eine einheitliche Steuer auf alle Fleisch- und Milchprodukte, deren Erlöse für die Verbesserung der Tierhaltungsstandards verwendet werden sollten.

Derweil gibt es auf europapolitischer Ebene Bewegung: Der neue EU-Klimakommissar fordert insbesondere im Agrarsektor mehr Tempo beim Klimaschutz. Denn die Emissionen aus der Landwirtschaft sind in der Europäischen Union über die letzten zwei Jahrzehnte konstant geblieben.

Es erscheint daher ein klimapolitisches Gebot, auch in diesem Sektor Treibhausgase zu bepreisen, von denen 80 Prozent aus der Erzeugung tierischer Produkte stammen. Tatsächlich sind die Klimawirkungen der Landwirtschaft so gravierend, dass die globalen Klimaziele verfehlt werden, wenn reiche Länder ihren Fleischkonsum nicht reduzieren

In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage kann es allerdings kaum überraschen, dass die Einführung einer Abgabe auf Tierprodukte als Mittel auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft als politisch kompliziert angesehen wird. Insbesondere einkommensschwache Haushalte sehen sich von steigenden Lebensmittelpreisen bedroht.

Eine Nachhaltigkeitswende in der Agrarpolitik bleibt jedoch in Deutschland und Europa nicht weniger notwendig. Der Verzehr großer Mengen roten und vor allem verarbeiteten Fleischs birgt Gesundheitsrisiken und belastet zudem das öffentliche Gesundheitssystem. Zudem stellt sich eine breite gesellschaftliche Mehrheit gegen die Bedingungen in der intensiven Tierhaltung. Zwar schlägt sich die Besorgnis ums Tierwohl bisher nicht vollends in den Kaufentscheidungen nieder, beschäftigt aber alle politischen und wirtschaftlichen Akteure unabhängig von ihren klimapolitischen Ambitionen.

Um allen diesen gesellschaftlichen Zielen zumindest näherzukommen und den Finanzierungsbedarf für bessere Tierhaltungsbedingungen zu decken, sind Preiserhöhungen für besonders ressourcenintensive Lebensmittel wie Fleisch- und Milchprodukte wahrscheinlich unumgänglich. Unsere neuen Forschungsergebnisse zeigen, wie Umweltsteuern auf Tierprodukte in der EU so ausgestaltet werden können, dass sie auch in der gegenwärtigen Lage politisch umsetzbar sind und einkommensschwache Konsument:innen nicht zu sehr belasten müssen.

Fleischbepreisung kann sozial gerecht ausgestaltet werden

Zunächst einmal ist es richtig, dass höhere Fleischpreise Haushalte mit geringeren Einkommen härter treffen, da diese prozentual einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben als es wohlhabendere Haushalte tun. Unsere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass eine sozial gerechte Bepreisung von Fleisch möglich ist, und Haushalte mit geringen Einkommen sogar entlastet werden können.

Wenn die Einnahmen rückverteilt werden, zum Beispiel in Form einer Pauschalzahlung an Bürgerinnen und Bürger, profitieren insgesamt Haushalte mit geringerem Einkommen, analog zum Konzept des „Klimageldes“.

Eine andere viel debattierte Möglichkeit ist es, die Einnahmen einer Steuer auf tierischen Erzeugnissen zu verwenden, um die Mehrwertsteuern auf Obst und Gemüse zu reduzieren. Allerdings verringert dies die Last für ärmere Haushalte lediglich, und kann sie im Schnitt nicht ganz ausgleichen.

Soziale Gerechtigkeit, Umweltziele und Tierwohl vereinbaren

Um die primären Ziele der Agrarwende zu erreichen, bedarf es eines nuancierten Ansatzes, der sowohl bei der Qualität als auch der Quantität der Viehzucht ansetzt. Da die Einsparungsmöglichkeiten für Treibhausgasemissionen in der Viehzucht beschränkt sind, erfordern die Umweltziele eine Senkung des Fleischkonsums. Klimaökonomisch wäre es daher sinnvoll, eine Fleischsteuer so zu gestalten, dass insbesondere die treibhausgasintensive Rinderhaltung reduziert wird.

Aus Tierwohlperspektive wiederum ist es problematisch, wenn eine Fleischsteuer dazu führt, dass sich Konsument:innen dann kostengünstigen, aber unter schlechten Haltungsbedingungen produzierten Fleischerzeugnissen aus Schwein und Geflügel zuwenden. Daher steht bei den Tierwohlaspekten weniger die Lenkungswirkung der Steuer im Vordergrund, sondern die Verwendung der Einnahmen zur Finanzierung von Stallumbauten für höhere Tierwohlstandards.

Denn die Versuche, die Agrarwende politisch voranzutreiben, haben hierzulande zu Recht einen Fokus auf Tierwohl. Eine Mehrheit der Bürger:innen lässt sich von höheren Fleischpreisen eher überzeugen, wenn man die Verbesserung des Tierwohls als den Beitrag zum Klimaschutz betont.

Rezepte für die politische Praxis in Deutschland

Natürlich können die finanziellen Mittel, die eine Tierwohlabgabe schafft, nur einmal ausgegeben werden. Daher muss ein guter Kompromiss zwischen der Verwendung der Einnahmen zur Kompensation für ärmere Haushalte, und der Finanzierung von höheren Tierwohlstandards getroffen werden.

Zusätzliche Maßnahmen, wie zum Beispiel eine konsequentere Ausrichtung der bereits existierenden landwirtschaftlichen Fördermittel auf mehr Tierwohl, können dazu beitragen, sowohl höheres Tierwohl als auch eine soziale Abfederung zu erreichen. Um diese soziale Verträglichkeit zu erreichen, würde ein Erfolgsrezept sein, die öffentliche Forderung nach höherem Tierwohl zu erfüllen, die restlichen Einnahmen zugunsten einkommensschwacher Verbraucher umzuverteilen und die Agrarsubventionen auf Obst und Gemüse zu verlagern.

Lernen von Nachbarstaaten in Europa und der Welt

Es gibt ermutigende Beispiele aus anderen Ländern, was möglich ist. Neuseeland ist Vorreiter bei der Bepreisung landwirtschaftlicher Emissionen. Etwa 50 Prozent der Emissionen des Landes stammen aus der Landwirtschaft, ab 2025 ist geplant, diese mit einem Preis zu versehen. Diese Steuer wird in erster Linie den Preis von Fleischprodukten erhöhen.

In Dänemark wird der Übergang zu einer pflanzlichen Ernährung nicht als besonders umstritten angesehen. Das Parlament hat kürzlich einen rund 90 Millionen Euro schweren Fonds für die Entwicklung und Förderung pflanzlicher Lebensmittel verabschiedet.

Im Vereinigten Königreich wurde bislang keine Fleischsteuer auf höchster politischer Ebene gefordert. Jedoch wurde eine Zuckersteuer auf Erfrischungsgetränke eingeführt, die erfolgreich zur Senkung des Zuckerkonsums beigetragen hat. Dies zeigt, dass es kein politisches Hindernis für die Einführung einer Fleischsteuer gibt, wenn die Parteien eine nüchterne und differenzierte Debatte über dieses Thema zulassen.

Es bleibt abzuwarten, ob die aktuelle Bundesregierung das Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag liefert und noch in dieser Legislaturperiode eine „Tierwohlabgabe“ einführt. Immer wichtiger wird derweil die Möglichkeit, die schädlichen Auswirkungen des Fleischkonsums durch Bepreisung auf europäischer Ebene anzugehen.

Nachdem die CO2-Bepreisung in der gesamten Europäischen Union nun auch ab 2027 im Gebäude- und im Verkehrssektor eingeführt wird, ist die Landwirtschaft der einzige nennenswerte Sektor ohne CO2-Preis in Europa. Es wäre daher denkbar, dass die nächste EU-Kommission einen dritten Emissionshandel auf den Weg bringt, der endlich auch die Emissionen im Agrarsektor senkt. Es gibt Vorschläge, wie dies institutionell umgesetzt werden kann – und die politischen Entscheidungstäger:innen in Europa könnten von Neuseeland lernen.  

Franziska Funke ist Doktorandin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der TU Berlin, Linus Mattauch arbeitet als Juniorprofessor für Nachhaltigkeitsökonomik an der TU Berlin und ist Futurelab-Leiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Leona Tenkhoff macht ihren Masterabschluss in Umweltökonomie und Klimawandel an der London School of Economics and Political Science.

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