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Agrar & Ernährung

Standpunkte Biomassenutzung von Morgen durch Zusammenarbeit der Stakeholder

Bernhard Wern, Leiter des Arbeitsfeldes Stoffströme am IZES
Bernhard Wern, Leiter des Arbeitsfeldes Stoffströme am IZES

Um die deutschen Wälder für den Klimawandel fit zu machen, braucht ein gelingender Umbau auch die Nutzung des Holzes, antwortet Bernhard Wern vom Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme auf einen Standpunkt von Jannes Stoppel (Greenpeace). Ein Vorratsaufbau von Holz habe keine generellen Vorteile fürs Klima.

von Bernhard Wern

veröffentlicht am 23.02.2024

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Die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung, als Tierfutter, als Nahrungsmittel oder zum Bauen ist seit jeher wichtiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Die derzeit in Bearbeitung befindliche Nationale Biomassestrategie (Nabis) bietet die Möglichkeit, Naturschutz und Klimawandel dabei stärker als bisher zu berücksichtigen.

Die Erstellung der Nabis sollte jedoch auf Augenhöhe und in Zusammenarbeit mit den Betroffenen wie den Waldbesitzern und den Landwirten entstehen, um Nutzungskonflikten und Politikverdrossenheit entgegenzusteuern. In diesem Sinne ist dieser Artikel auch eine Antwort auf einen Standpunkt von Jannes Stoppel, Policy Advisor bei Greenpeace.

Biomasse erzeugt einen Großteil der erneuerbaren Wärme

Biomasse nutzt jeder Mensch jeden Tag. In der erneuerbaren Wärmeerzeugung liegt der Anteil von Biomasse bei mehr als 80 Prozent. Und der Nutzungsdruck auf das bestehende Biomasseangebot wird tendenziell zunehmen, da auch die Chemieindustrie und andere Wirtschaftszweige von fossilen Rohstoffen auf nachhaltige Rohstoffe umstellen wollen. Dazu kommt, dass Klimawandel und Biodiversitätsverlust die Urproduktion in der Land- und Forstwirtschaft durch Trockenheit, Fluten und hohe Temperaturen mit allen Begleiterscheinungen bedrohen.

Vor diesem Hintergrund erarbeitet die Bundesregierung derzeit eine Biomassestrategie, die alle Interessen und alle Ökosystemfunktionen, nämlich die Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion, betrachten will. Obwohl eine Beteiligung von Akteuren läuft, ist der derzeitige Entwurf in der Kritik von den Bewirtschaftern von Land und von Natuschutzverbänden. Die Biomassestrategie spricht von hoher Nachfrage an Biomasse für Bedürfnisse der Bürger:innen bei einem gleichzeitig geringen Potenzial von Biomasse und überlegt, wie dieses noch weiter beschränkt werden soll.

Die Beschränkung wird begründet mit falschen Grundannahmen, wie weiter unten am Beispiel Wald erklärt wird. Als Alternative werden Potenziale im Bereich Reststoffe genannt. Deren Nutzung ist wichtig, aber bei weitem nicht ausreichend, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.

Die Strategie analysiert zudem nicht schlüssig, mit welchen Alternativen die Bedürfnisse der Menschen durch andere Materialien oder Verfahren gedeckt werden können. Sie geht auch nicht ein auf Suffizienz, also die Überlegung, ob wir bestimmte Produkte in Deutschland überhaupt noch brauchen und ob wir uns bestimmte Verhaltensweisen überhaupt noch leisten können.

Die Strategie müsste eine Antwort geben auf diese Fragen, wenn sie die verwendete Biomasse bei erhöhtem Bedarf einschränkt. Ohne eine Antwort besteht die Gefahr der Erhöhung der Importe von Biomasse aus ökosystemar sensiblen Bereichen der Erde statt der Stabilisierung und kontrollierten nachhaltigen Erhöhung der Produktion von Biomasse in Deutschland.

Was ist Gemeinwohl in der Biomassenutzung?

Hat Herr Stoppel von Greenpeace in diesem Zusammenhang Recht, wenn er in dem Artikel schreibt, für die falsche und verschwenderische Biomassenutzung der Gegenwart müsse es deutliche Grenzen geben? In Deutschland ist ein Artensterben belegt und die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 sind für Deutschland noch in weiter Ferne. Diese Sachverhalte sind Wirklichkeit, jedoch ist die Analyse der Ursachen dieser dramatischen Entwicklungen und dementsprechend auch die Analyse der Lösungen falsch, wie im Folgenden aufgezeigt wird.

Nicht nur in Zeiten von Bauern- und Waldbesitzerprotesten ist es problematisch, dass in dem genannten Artikel das Wissen um die „langfristigen Ansprüche der gesamten Bevölkerung an Ökosystemfunktionen“ postuliert wird. Hier beansprucht eine Person für sich zu wissen, was für das Gemeinwohl der gesamten Bevölkerung am besten ist. Da wir in einer Demokratie leben, sollte zunächst geschaut werden, was die Interessen der Bevölkerung sein könnten, es müssen Mehrheiten gesucht werden.

Schwarz-weiße Bilder von Nutzungskonflikten, ausgedrückt durch Schlagworte wie „industriell geprägter Landnahme“ und einer „unverantwortlichen Waldpolitik“, führen nicht zum Ziel. Solche Narrative stellen auch in der Operationalisierung der Biomassestrategie einen sehr starken Eingriff in das Eigentum und die Wirtschaftsgrundlage von Millionen von Land- und Forstwirten dar.

Die Anliegen der Biomassestrategie – eine langfristig wirkende Biodiversitätspolitik sowie ein wirksames Begegnen des Klimawandels bei gleichzeitig legitimen Nutzungsansprüchen aus der Bevölkerung – gehen durch die Betonung von Konflikten verloren. Die Biomassestrategie selbst ist in einem Duktus der Konflikte und des Misstrauens gegenüber dem Bewirtschafter von Flächen formuliert.

So bedeuten Zieldefinitionen wie „nachhaltige Herkunft von Biomasse mittel- bis langfristig sicherstellen“ für den Bewirtschafter von Wald und Landwirtschaft im Umkehrschluss, ihre bisherige Wirtschaftsweise sei nicht nachhaltig. Die Ausgestaltung der Maßnahmen der Strategie enthält einen starken Anstieg an Regulierung und somit Bürokratie. Gerade dies will die Politik eigentlich vermeiden. Im Bereich der Waldwirtschaft hat diese bewiesen, dass in den letzten 300 Jahren trotz einer Steigerung der Nutzung sowohl die Waldfläche als auch die Holzvorräte stark angestiegen sind – dank der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

Der Klimawandel ist der Feind des heutigen Waldes

Trotz der Maßnahmen zum Waldumbau und der Berücksichtigung aller Waldfunktionen haben wir durch den menschengemachten Klimawandel eine Dimension des Waldsterbens erreicht, die noch schlimmer ist als die Folgen von industrieller Revolution und Krieg. Neben der Fichte drohen auf großen Flächenarealen auch die Buche und andere Baumarten abzusterben. Der Klimawandel schreitet einfach zu schnell voran.

Nach der letzten Eiszeit dauerte es mehr als 10.000 Jahre, bis sich auf Grund steigender Temperaturen die heutige Vegetation durch natürliche Vermehrung von Baumarten beispielweise aus dem Mittelmeerraum eingestellt hat. So lange Zeit haben wir jetzt nicht, weil sich der Klimawandel in nie gekanntem Ausmaß verstärkt. Neue Konzepte des Waldumbaus werden gebraucht, die Natur alleine kann das menschengemachte Dilemma nicht in kurzer Zeit lösen. Ohne Hilfe des Menschen werden Wälder in Deutschland versteppen, was wiederum einen verstärkenden Effekt auf den Klimawandel hätte.

Energie aus dem Wald – die Politik folgt nicht mehr der Wissenschaft

Und genau dieser Erkenntnis der Jahrhunderte erprobten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Forstwirtschaft widerspricht der Entwurf der Nationalen Biomassestrategie. Die Nutzung von Holz als Energieträger aus dem Wald wird hier abgewogen gegen eine Erhöhung des Holzvorrats und wird nicht als Hilfe beim Waldumbau verstanden.

Die derzeitige Politik der Nabis und des Bundesklimaschutzgesetzes zielt darauf, eher Holzvorräte mit derzeit gefährdeten Baumarten im Wald anzuhäufen, anstatt das im Rahmen des normalen forstwirtschaftlichen Handels und des Waldumbaus anfallende Holz stofflich zu nutzen und eben auch teilweise zu verbrennen.

Da die meisten Holzheizungen heute noch Heizöl und Erdgas verdrängen, ist die Forderung nach einem Zurückfahren der Holzverbrennung nicht haltbar. In der Erde stabil gelagerte fossile Kohlenstoffe (Öl und Gas) sollen verbrannt werden, um diese über die Bindung von CO2 (Photosynthese) in Bäumen instabiler Wälder zu lagern.

Im Ergebnis steht die Gewissheit, dass dadurch immer mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt, anstatt stabil tief in der Erde zu bleiben. Dem häufig gelieferten Argument, man könne ja Wärmepumpen statt Holzenergieanlagen zur Bereitstellung von Energie nehmen, muss für die nächsten Jahre leider widersprochen werden, wie die in 2023 drastisch gestiegenen Genehmigungszahlen von Heizöl- und Erdgasheizungen zeigen.

Natürlich muss die energetische Nutzung von Waldholz perspektivisch umgestellt werden – hin zu höheren stofflichen Nutzungen sowie zur Nutzung in Industrieprozessen. Diese Nutzungsformen sind tatsächlich vorteilhafter für das Klima als die Verbrennung zu Heizzwecken. Hier versucht die Biomassestrategie mit Regulierungen statt Information und Motivation zu arbeiten. Dies führt schon jetzt zu Kritik.

Wissenschaftlich aber wurde der auch von den Naturschutzverbänden vertretenen Politik der „Holzvorratsanreicherung“ in der Biomassestrategie und den Studien, die dieser Politik hinterlegt sind, seit langem widersprochen. So haben die Wissenschaftler:innen des Sachverständigenrats für Waldpolitik des BMEL 2021 eine Stellungnahme zum damaligen Klimaschutzgesetz erarbeitet mit dem Titel „Geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes riskiert Reduktion der potenziellen Klimaschutzbeiträge von Wald und Holz“.

Die EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde in 2022 von über 600 Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt mit Erfolg aufgefordert, diese durch die deutsche Bundesregierung auch in Europa vertretene Politik zu ändern.

Zusammenarbeit als Grundlage von Lösungsmöglichkeiten

Es gibt Beispiele, in denen eine Zusammenarbeit zwischen Naturschutz, Politik und Wirtschaft Konflikte überwindet. So erstellt die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) derzeit ein neues Merkblatt Grünpflege, das die Grundlage zur Ernte von Holz und Gras an Straßenrändern für alle deutschen Straßenmeistereien ist.

Zur Erarbeitung hat die BAst ein Konsortium beauftragt, das aus drei Instituten besteht: Eines ist spezialisiert auf den Straßenbetriebsdienst, eines auf Naturschutz und eines auf die Nutzung von Biomasse. Zusammen wird nun gleichberechtigt während der Erstellung der Studie zum Merkblatt nach Lösungen gesucht, manchmal auch gerungen. Das erste Mal im Straßenwesen finden also diese drei Perspektiven Berücksichtigung, neue Ideen entstehen, die in einem wissenschaftlichen Begleitkreis des Projektes kontrovers, aber immer zielführend diskutiert werden.

Dieser Weg der Zusammenarbeit ist manchmal steinig, aber er ist aus meiner Sicht die alleinige Möglichkeit, um wirkliche Partizipation – nämlich eine Zusammenarbeit von Anfang an auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse – zu leben und damit auch Akzeptanz in der Bevölkerung zu finden – ohne den Anspruch eines Wissens um die Bedürfnisse der gesamten deutschen Bevölkerung.

Bernhard Wern ist Forstwissenschaftler und Leiter des Arbeitsfeldes Stoffströme am Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme in Saarbrücken. Er ist seit 20 Jahren tätig im Bereich der Energie- und Stoffstromwende.

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