Wie können Landmaschinen so zusammenarbeiten, dass der
Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mithilfe des digitalen
Datenaustauschs reduziert wird? Und wie lässt sich eine tiergerechte Haltung
von Milchkühen durch digitale Techniken sicherstellen? Mit diesen – und vielen
weiteren – Fragen beschäftigen sich derzeit Landwirt:innen in ganz Deutschland.
Einen wichtigen Beitrag leisten hier unter anderem die 14 Experimentierfelder, die das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft seit 2019 fördert. Ziel des Förderprogramms ist es, die
Weiterentwicklung der Digitalisierung in der Agrarbranche zu unterstützen.
Dass die digitale Transformation der Landwirtschaft extrem wichtig ist, steht, denke ich, außer Frage. Mit Blick auf Mega-Herausforderungen wie den Klimawandel, die langfristige Erhaltung der Biodiversität und die gleichzeitige Sicherstellung einer ökonomischen Nahrungsmittelproduktion braucht es innovative Technologien, die den wachsenden Problemen die Stirn bieten. Mit einer Haltung à la „Wir machen einfach weiter wie immer“ ist es nicht getan. Dementsprechend gut und sinnvoll ist es, dass die zukunftsgerichtete Fortentwicklung der Landwirtschaft auch von staatlicher Seite gefördert wird.
Ein Innovationsprogramm allein löst die Probleme jedoch nicht – ebenso wenig, wie die Digitalisierung der einzige „Retter in der Not“ ist. Bernhard Krüsken, Generalsekretär vom Deutschen Bauernverband, hat beim diesjährigen Bauerntag gesagt: „Allein die Digitalisierung wird die Landwirtschaft nicht retten.“ Damit hat er vollkommen recht.
Die digitale Transformation ist ein notwendiger Schritt von vielen, die es braucht, um eine ökologische und zugleich ökonomisch funktionierende landwirtschaftliche Produktion sicherzustellen. Dazu zählen aber auch weitere Themen wie Gentechnik und Züchtung. Außerdem sollte die Digitalisierung ganzheitlich betrachtet werden, denn letztlich geht es um die Digitalisierung der gesamten Lebensmittelbranche.
Kurzum: Wir benötigen ein vielschichtiges Maßnahmenpaket, das den Wandel – unabhängig der Größe der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe – effizient vorantreibt und den Nutzen, aber auch Grenzen der Digitalisierung klar kommuniziert. Der Blick zeigt nämlich auch, dass wir noch weit von einer flächendeckenden digitalen Transformation der Landwirtschaft entfernt sind.
Bürokratie fördert ablehnende Haltung gegenüber digitalen Tools
Doch woran liegt es, dass sich viele Landwirt:innen mit der Anwendung digitaler Tools noch immer sehr schwertun? Die Gründe dafür sind vielseitig, sollten jedoch unbedingt näher betrachtet werden, wenn tatsächlich ein Umdenken erreicht werden soll.
Beginnen wir zunächst mit dem Mindset. Einhergehend mit der Notwendigkeit, die Landwirtschaft an sich umweltverträglicher zu gestalten, kamen in den vergangenen Jahren immer mehr Compliance-Anforderungen auf die Landwirt:innen zu. Sowohl von Seiten der Europäischen Union als auch in den einzelnen Ländern werden inzwischen eine Vielzahl an Auflagen an die landwirtschaftlichen Betriebe gestellt. Für die Einhaltung der Berichtspflichten müssen Daten gesammelt und dokumentiert werden.
Für die Landwirt:innen bedeutet das primär ein Mehr an Bürokratie, häufig verbunden mit viel manueller Dateneingabe in unterschiedlichste Systeme – was verständlicherweise eher zu einer ablehnenden Haltung gegenüber digitalen Tools führt. Warum sollte ein Landwirt oder eine Landwirtin freiwillig dazu bereit sein, nun noch mehr Daten zu erheben, um sich digitaler aufzustellen?! Hier gilt es entsprechend anzusetzen. Systeme müssen besser vernetzt werden, insbesondere für die zukünftigen Anforderungen Richtung Nachhaltigkeit.
Weiterhin muss über den realen Nutzen der Digitalisierung aufgeklärt werden. Abhilfe können hier beispielsweise praktische Workshops schaffen, in deren Rahmen Landwirt:innen mit Farm-Management-Themen in Kontakt kommen und so ein Gefühl für den eigentlichen Nutzen der digitalen Transformation entwickeln können.
Lücken in der Datengrundlage
Ein weiterer Knackpunkt ist die (noch) bestehende Überforderung vieler Landwirt:innen mit dem gesamten Themenbereich Digital Farming. Ihnen ist nicht klar, welche Maschinen und Tools sie wie genau in der Praxis unterstützen können. Teilweise ist es tatsächlich so, dass der Nutzen einzelner Digital-Farming-Lösungen zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht ausreichend belegbar ist. Weitere empirische Daten müssen erhoben und den landwirtschaftlichen Betrieben kommuniziert werden. Der ganze Forschungsbereich ist schlichtweg noch zu jung, als dass zu jedem Produkt ausreichend empirische Daten vorliegen. Diese Lücke muss dringend geschlossen werden – und hier ist insbesondere die Forschung gefragt.
Doch nicht nur eine mitunter lückenhafte Datengrundlage erschwert die flächendeckende Digitalisierung. Im Dickicht der Vielzahl an vorhandenen Digital-Farming-Lösungen sehen viele Landwirt:innen zum Teil den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Es ist also keine Frage eines mangelnden Angebots, die die digitale Fortentwicklung ausbremst. Woran es vielmehr mangelt, sind neutrale Instanzen, die die Landwirt:innen zu Fragen rund um die Digitalisierung kontaktieren können. Wenn man Landwirt:innen fragt, werden hier – abgesehen von privatwirtschaftlichen Unternehmen mit eigenen Interessen – keine unabhängigen Anlaufstellen gesehen, an die sie sich zur Digitalisierung wenden können.
Das Beratungsdefizit angehen
Wie man die fehlende Datengrundlage und das Beratungsdefizit angehen kann, muss dringend diskutiert werden. Denn genau in diesen Punkten liegt wohl auch eine der Hauptursachen dafür begründet, weshalb die Digitalisierung der Landwirtschaft bundesweit noch nicht weiter fortgeschritten ist. Die Anschaffung und Anwendung digitaler Lösungen sind stets mit notwendigen Investitionen verbunden. Hier will man als Landwirt oder Landwirtin Klarheit darüber haben, was die Lösungen bringen und auf welche man entsprechend setzen sollte.
Im Grunde genommen müssen also beide Themen angegangen werden: Zum einen müssen die nach wissenschaftlichen Prinzipien neutral erhobenen Daten zum Nutzen und den Grenzen von Digital- Farming-Lösungen an einer einheitlichen Stelle gesammelt werden. Und zum anderen, müssen sie den landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch den Berater:innen bekannt gemacht werden. Weiterhin muss für jeden Betrieb klar sein, an welcher Stelle er oder sie sich neutral beraten lassen kann. Umgekehrt benötigen die Berater:innen natürlich die notwendigen Kapazitäten, um sich gut über den aktuellen Stand der evaluierten Technologien informiert zu halten.
Prof. Dr. Jörg Dörr ist Leiter des Forschungsprogramms Agriculture & Food am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE sowie Inhaber des Lehrstuhls „Digital Farming“ an der RPTU Kaiserslautern-Landau.