Die Landwirt:innen
Deutschlands verstehen ihr Handwerk. Trotz immer komplexerer politischer Rahmenbedingungen und höherer Ansprüche der
Verbraucher:innen produzieren sie weiter Nahrungsmittel für unsere
Gesellschaft. Dabei sollen sie weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger
verwenden und überhaupt so transparent wie möglich sein. Hinzu kommt, dass der
Betrieb wirtschaftlich laufen muss. All dies gelingt nur, indem die Landwirt:innen ihre begrenzten Betriebsmittel so exakt wie
möglich und genau zum richtigen Zeitpunkt einsetzen.
Mit weniger Input mehr Output erreichen, das klingt technisch – nicht ohne Grund. Denn nur die Digitalisierung und modernste Soft- und Hardwarelösungen ermöglichen es Landwirten, den Anforderungen von Politik und Verbrauchern gerecht zu werden.
Landwirtschaft kann 2.0
Landwirt:innen müssen unter anderem Hardware, Software, pflanzenbauliches Wissen und Wetterdaten zusammenführen und damit transparent abbilden, was auf dem Betrieb passiert. In einer Art elektronischem Feldtagebuch gilt es den Nachweis zu erbringen, welche Düngungs- und Pflanzenschutzmaßnahmen wann und unter welchen Bedingungen durchgeführt wurden. Dabei wollen Landwirt:innen selber entscheiden, von welchem der vielen Anbieter sie ihre Wetterdaten, Nährstoffkarten, Warnungen oder Pflanzenbauempfehlungen erhalten. Smartphones zeigen, mit ihren Diensten und Apps, wie dies ohne den Wechsel des Datenportals funktionieren kann.
Präzisionslandwirtschaft lässt sich wohl am besten erklären, indem man betrachtet, wie heutzutage Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden können. So sind in vielen Betrieben empfindliche Sensoren und Kameras dazu in der Lage, sekundenschnell Unkräuter von Nutzpflanzen zu unterscheiden. So gibt dann die Feldspritze nur auf die unerwünschten Pflanzen die exakt passende Menge Herbizid ab.
Auch Dünger wird nicht mehr großflächig über das Feld geschüttet. Nahinfrarotsensoren messen etwa den Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumgehalt der Gülle und bringen diese dementsprechend dosiert aufs Feld. Auch hier steht Transparenz im Fokus: Wie viel wird wovon verwendet? Damit Verbraucher Bescheid wissen und Behörden genaue Kenntnis der Mengen haben, die auf dem Betrieb verwendet werden. Es geht schon so viel – aber theoretisch geht da auch noch mehr.
Viele ungeklärte Fragen beim autonomen Fahren
Doch der Schritt der Landwirtschaft in die Zukunft ist derzeit kompliziert. Das liegt an verschiedenen Regulierungen, deren Folgen für hoch spezialisierte Applikationen noch schwer absehbar sind. Da wäre erstmal der AI-Act, der EU-weit die Nutzung von KI regulieren soll. Außerdem der Data Act, der die Datennutzung EU-weit steuert. Oder der Cyber Resilience Act, der Maschinenhersteller und Softwareanbieter gleichermaßen in die Pflicht nimmt, ihre Produkte auf Cybersicherheitsrisiken zu prüfen.
Die im AI-Act enthaltenen Bestimmungen stellen die Hersteller besonders im Bereich autonomes Fahren vor große Herausforderungen: Welche Systeme sind überhaupt als AI einzuordnen? Reicht es, dass bestimmte Funktionen autonom durchgeführt werden? Falls das System als Hochrisiko-System eingestuft wird, wie können die daraus folgenden Anforderungen erfüllt werden?
Grundsätzlich verbietet hierzulande niemand autonomes Fahren auf privatem Gelände. Doch die Risikofrage bleibt das entscheidende Hindernis: Inwieweit trägt der Endnutzer das Risiko der Nutzung nicht zertifizierter Technologien? Wird das Risiko vom Besitzer der Maschine selbst getragen? Was ist mit der Fernsteuerung von Landmaschinen und Traktoren? Und wie ist die dort übliche partielle Fernsteuerung beim autonomen Fahren einzuordnen?
Diese wird insbesondere bei kleinen Maschinen eingesetzt: Sogenannte Schwarmtraktoren fahren verlinkt „in Formation“ mit einem Haupttraktor. Doch fährt der „Kleine“ dann selbständig? Oder ist das Gerät überhaupt kein Traktor mehr, sondern eine andere Fahrzeugform? Das ist beim autonomen Fahren – und Arbeiten – von Traktoren und Landmaschinen erst noch zu klären.
Breitbandausbau auf dem Land ist zu langsam
Wichtig ist es hierbei zu wissen, welche Arbeitsprozesse automatisiert werden sollen. Von der Feldvorarbeit und Aussaat über das Düngen und Spritzen bis zum Ernten der Feldfrüchte hat jeder Produktionsschritt Automatisierungspotential. Allerdings benötigen Digitalisierung und Automatisierung Strukturen für einen reibungslosen Datenaustausch. Immer mehr Daten werden nicht nur zwischen Maschine und Cloud ausgetauscht, sondern auch mit dem Hof.
Der Austausch von Drohnenbildern zur Erkennung von Unkraut in Echtzeit ist bereits möglich. Aber, wie auch andere Prozesse, ist er stark abhängig von dem Breitbandausbau auf dem Land. Dieser liegt noch weit hinter den Anforderungen für eine volle Automatisation der Landwirtschaft. Dabei hat ein gutes Netz einen erheblichen Vorteil: Ein schnellerer Datenaustausch macht die Maschine sicherer und reaktionsfähiger.
Einstellungssache und Formatfrage
Eine weitere große Hürde des Datenverkehrs ist die Zuständigkeit der Länder für landwirtschaftliche Gesetzgebungen. Diese sind oft nicht einheitlich. Unterschiedliche Anforderungen der Bundesländer an die Datenformate beeinträchtigen die Entwicklung einer digitalisierten und zur Autonomie fähigen Landwirtschaft. Erneut fehlen hier Standards und diese eben nicht nur auf nationaler, sondern auch auf EU-Ebene. Man stelle sich Dutzende verschiedener Behörden vor, die alle unterschiedliche Datenformate fordern.
Andererseits widerstrebt es vielen Landwirt:innen, ihre Feld- und Betriebsdaten einsichtig zu machen. Hier liegt das Problem darin, dass auch geringste Abweichungen von den regulatorischen Vorgaben – etwa bei der Ausbringung von Gülle oder Pflanzenschutzmitteln – Behörden aktiv werden lassen.
Zwar lässt sich dann meist die Abweichung durch die etwas ungenaue digitale Erfassung der landwirtschaftlichen Betriebsflächen erklären und auflösen. Doch dass diese Aufmerksamkeit der Behörden auf die dann komplett offenliegenden Betriebsdaten Landwirt:innen nervös machen kann … das ist verständlich. Schließlich ist dann zügiges Handeln vom Landwirt gefordert – ungeachtet des Tagesgeschäfts.
Es gibt also noch genug Betriebe, die noch nicht alle Vorteile der nachhaltigen Automatisierung nutzen können. Hier sind es zumeist Anreize, die fehlen. Aktuell sehen wir anhand der Bauernproteste, wie sich über Jahrzehnte aufgebauter Druck Bahn bricht. Wenn Dieselsubventionen ohne Alternativen gestrichen werden, hat dies erstmal nichts mit Digitalisierung zu tun. Doch nicht selten wird dann eben auf der digitalen Ebene gespart, um Kürzungen anderswo auszugleichen.
Blicken wir auf die Digitalisierung, sieht man im Bereich der Landwirtschaft eine Kombination verschiedener Herausforderungen. Von Landwirten wird erwartet, dass sie all diese in Bestzeit meistern. Von den Standards zu autonomen Arbeitsabläufen, über regulatorische Irrgärten in der EU und fehlende Infrastrukturen hierzulande bis hin zum eigenen Umgang mit Daten muss noch viel gesät und geerntet werden, bis die Digitalisierung der Landwirtschaft Früchte trägt.
Stefan Stahlmecke ist Regional Director, Intelligent Solutions Group bei John Deere in Kaiserslautern im Europäischen Technologie- und Innovationszentrum (ETIC).