Für zwei Drittel der Verbraucher:innen ist Umweltschutz bei
der Lebensmittelproduktion wichtig, hat eine Studie des
Verbraucherzentrale Bundesverbands vom Februar ergeben. Der Blick in die
Supermarktregale lässt glauben, zahlreiche Unternehmen würden mit ihren
Produkten bereits einen ordentlichen Beitrag für Klima und Umwelt leisten. Da
gibt es den „naturreinen“ Fruchtaufstrich, Wein mit „reduziertem CO2-Fußabdruck“
oder die „klimafreundliche“ Bratwurst. Die Krux bei diesen Werbeaussagen: Sie
unterliegen keiner Regulierung. Für Verbraucher:innen gibt es also keine
Möglichkeit zu erkennen, ob die umweltbezogenen Aussagen wie „aus nachhaltigem
Anbau“ oder „bienenfreundlich“ wahr sind.
Aber es tut sich etwas: Die Europäische Kommission hat im März vorgeschlagen, Werbung mit „Green Claims“ strenger zu regulieren. Vorgesehen ist eine Ex-Ante-Kontrolle – also die Pflicht, den Wahrheitsgehalt von grünen Werbeaussagen belegen zu müssen, etwa durch Studien oder entsprechende Daten. Erst dann sollen solche Botschaften erlaubt sein.
Industrie befürchtet Verschweigen von positiven Eigenschaften
Würde man den Argumenten der Industrie glauben, führt dieses politische Vorhaben geradewegs zum Aus der Werbewirtschaft. „Greenhushing“ ist das Schreckgespenst, mit dem gegen die Pläne der Europäischen Kommission Stimmung gemacht wird. Gemeint ist das Verschweigen von positiven Umwelteigenschaften, auch „grünes Schweigen“ genannt, und somit das Gegenteil von „Greenwashing“.
Laut Industrie drohen graue, triste Regalfluchten im Supermarkt, in denen die Lebensmittel verschiedener Hersteller kaum noch voneinander zu unterscheiden sind. Denn seien die Vorgaben zu streng, würden Firmen schon bald nicht mehr in der Lage sein, die positiven Umwelteigenschaften ihrer Produkte hervorzuheben.
Stattdessen müssten Unternehmen ständig mit Abmahnungen und Werbeverboten rechnen. Statt Nachhaltigkeitsaspekte ihrer Waren zu bewerben, wären sie durch zu strenge Regeln dazu gezwungen, diese zu verschweigen. „Klimaneutraler Joghurt“, „bienenfreundlicher Aufstrich“ und „nachhaltiger Saft“ würden dann der Vergangenheit angehören und Verbraucher:innen wären nicht mehr in der Lage, nachhaltige Lebensmittel zu erkennen.
EU-Kommission: Mehr als die Hälfte der Green Claims sind irreführend
Soweit die Theorie rund um „Greenhushing“. Aber ist die Sorge um das Wohl der Konsument:innen auf der Suche nach nachhaltigen Lebensmitteln berechtigt? Oder steckt dahinter nur die Erkenntnis, dass die „Green Claims“-Richtlinie der Europäischen Kommission Verbrauchertäuschung mit Nachhaltigkeitsversprechen ein Ende setzen würde? Immer wieder jedenfalls müssen Hersteller nach langwierigen Gerichtsverfahren irreführende Claims zurücknehmen, zuletzt beispielsweise eine österreichische Brauerei, die ihr Bier als „CO2-neutral“ vermarktet hatte.
Das Problem an dieser nachträglichen Kontrolle durch Gerichte ist, dass die Werbeaussagen zunächst über Monate im Handel verwendet werden, bevor Produzenten sie zurückziehen müssen. Die Verbraucherin, die glaubt, mit dem Kauf ihres „CO2-neutralen“ Biers einen Beitrag zum Klimaschutz geleistet zu haben, hat das Bier bis dahin längst getrunken. Vom Urteil gegen die Behauptung bekommt sie im Zweifel nichts mit – und behält den Hersteller möglicherweise in positiver Erinnerung.
Irreführende Werbung in Bezug auf Umwelt- und Klimaaspekte ist kein Einzelfall: Die Europäische Kommission geht in der Folgenabschätzung zur geplanten Richtlinie davon aus, dass mehr als die Hälfte der Green Claims auf dem europäischen Binnenmarkt vage, irreführend oder unbegründet sind. Es kann also keine Rede davon sein, dass der aktuell völlig unregulierte Werbemarkt Verbraucher:innen Orientierung bei der Suche nach nachhaltigen Produkten bietet.
Im Gegenteil: Die eingangs erwähnte Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbands hatte gezeigt, dass umweltbezogene Werbeaussagen Verbraucher:innen sehr häufig verwirren. Zwar nehmen Verbraucher:innen Lebensmittel mit umweltbezogener Werbung deutlich positiver wahr, sie haben aber keine Möglichkeit, „Greenwashing“ von echtem Engagement für den Umweltschutz zu unterscheiden. Im Zweifel greifen sie dann nicht zum nachhaltigsten Bier, Käse oder Schokoriegel, sondern zu dem mit dem besten Marketingkonzept.
Zahlungsbereitschaft für klimafreundliche Produkte ist da
Im Zuge einer aktuellen Untersuchungdes Nürnberg Instituts für Marktentscheidungen (NIM) wurden über 800 Unternehmen befragt: 52 Prozent gaben an, Nachhaltigkeitsversprechen zu nutzen, um ihre Produkte zu bewerben. Weitere 30 Prozent planen das. Das korrespondiert durchaus mit einer hohen Bereitschaft auf Verbraucherseite, Nachhaltigkeit den Vorzug zu geben. Denn Verbraucher:innen sind laut der Befragung bereit, im Schnitt 22 Prozent mehr Geld für nachhaltigere Waren auszugeben.
Nach Angaben der befragten Hersteller wäre ein durchschnittlicher Preisanstieg von 23 Prozent nötig, um eine klimafreundliche Produktion zu ermöglichen. Die Zahlungsbereitschaft für mehr Klimaschutz und die Kosten auf Unternehmensseite sind also fast deckungsgleich. Werbung mit Nachhaltigkeit hat demnach großes Potenzial für die Anbieter.
In der NIM-Untersuchung geben aber auch 22 Prozent der Hersteller an, „Greenhushing“ zu betreiben – aus Sorge, ihnen könnte „Greenwashing“ vorgeworfen werden. In einer weiteren Untersuchung der Beratungsagentur Southpole sind es sogar mehr als ein Drittel der Unternehmen, die angeben, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen nicht aktiv zu kommunizieren.
Beide Zahlen werden immer wieder zitiert, um die Sorge vor dem scheinbaren Problem „Greenhushing“ zu begründen. Angesichts der hohen Zahl an umweltbezogenen Werbeaussagen auf dem Markt wäre ein Rückgang aus Sicht der Verbraucher:innen jedoch durchaus wünschenswert. Zudem ist in der NIM-Untersuchung die Zahl derjenigen Unternehmen, die planen mit der Verwendung von Green Claims zu beginnen mit 30 Prozent höher als die 22 Prozent, die laut Untersuchung davor zurückschrecken könnten.
Fazit: Eine wirklich nachhaltige Ernährungsweise ist nur möglich, wenn die vielen irreführenden Claims vom Markt verschwinden. Nur so werden Verbraucher:innen in die Lage versetzt, eine nachhaltige Alternative überhaupt erkennen zu können. Schweigen über echte Nachhaltigkeitsbestrebungen der Produzenten ist durch die „Green Claims“-Richtlinie nicht zu erwarten. Sie könnte aber zu mehr Ehrlichkeit im Supermarkt führen. Das schafft sowohl Vorteile für Verbraucher:innen, als auch für diejenigen Unternehmen, die tatsächlich einen Beitrag zur nachhaltigeren Lebensmittelproduktion leisten wollen.