Lebensmittelverluste in rauen Mengen sind teuer und schlecht für die Umwelt. Dabei werden vor allem in privaten Haushalten viele Lebensmittel weggeworfen, doch sind sie bei weitem nicht die einzigen Verantwortlichen. Denn Lebensmittelverschwendung findet in der gesamten Wertschöpfungskette statt – die eigentliche Macht, diese zu reduzieren, liegt bei der Regierung und der Lebensmittelindustrie. Es ist Zeit, dass Lebensmittelhersteller ihren Teil dazu beitragen, die Verschwendung zu stoppen – doch dafür braucht es vor allem die Politik.
Schnellere rechtlich verbindliche nationale Ziele
Obwohl Lebensmittelverschwendung hierzulande als drängendes Problem anerkannt ist, geht es nur langsam voran. Das liegt vor allem an der mangelnden Verbindlichkeit. Zwar gibt es in Deutschland konkrete Ziele für die Reduzierung von Lebensmittelabfällen auf Verbraucher- und Einzelhandelsebene – solche für Verluste entlang der Lieferkette oder eine rechtlich verbindliche Vorgabe sucht man jedoch vergebens. Es ist schwer nachvollziehbar, warum das so ist.
Anstatt ausufernder Debatten über ein Tempolimit sollten klare Zielsetzungen für Lebensmittelverschwendung hierzulande mehr ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatte rücken. Schließlich ist die Dringlichkeit angesichts der Klimakrise Tag für Tag stärker zu spüren. Die Politik sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, die acht bis zehn Prozent der Gesamtemissionen zu reduzieren, die alleine durch Lebensmittelverschwendung verursacht werden.
Eine Verringerung dieser Mengen und damit eine effizientere Gestaltung des Ernährungssystems würde laut der europäischen Farm to Fork-Strategie auch zu mehr Ernährungssicherheit und erschwinglicheren Verbraucherpreisen beitragen. Das Potenzial ist also groß, doch es wird zu wenig getan.
Das haben auch die EU-Kommission und das EU-Parlament erkannt. Mittels einer Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie sollen den Mitgliedsstaaten ehrgeizigere Ziele für die Reduzierung von Lebensmittelabfällen bis Ende 2030 auferlegt werden. Mitte März hatten die Abgeordneten im EU-Parlament für einen entsprechenden Bericht gestimmt, der eine Reduzierung der Lebensmittelabfälle bis Ende 2030 bei der Verarbeitung und Herstellung in Höhe von mindestens 20 Prozent, sowie für Handel, Außer-Haus-Verpflegung und Privathaushalte in Höhe von mindestens 40 Prozent vorsieht.
Eine Überprüfungsklausel sieht für das Jahr 2027 zudem eine Prüfung möglicher höherer Ziele für 2035 durch die Kommission vor. Das ist ein erster wichtiger Schritt – kann jedoch nur ein Anfang sein.
Mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungskette
Rund 25 Prozent der 11 Millionen Tonnen, die in Deutschland verloren gehen oder verschwendet werden, erreichen nie Privathaushalte. Das bedeutet, dass jährlich fast drei Millionen Tonnen Lebensmittel in Produktion, Verarbeitung und Handel verlorengehen.
Verbraucher und Verbraucherinnen sollten mehr darüber wissen, wie viele Lebensmittel große Nahrungsmittelunternehmen jedes Jahr verschwenden. Dazu braucht es neben verbindlichen Zielvorgaben auch eine Transparenzpflicht für Lebensmittelverluste, die produzierende Unternehmen dazu zwingt, über die Menge der Verluste und Abfälle zu berichten.
Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums
Eine weitere konkrete Maßnahme, die unsere Regierung ergreifen müsste, wäre die Reduktion des Mehrwertsteuersatzes nach Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums. Oder direkt die Abschaffung dieses Datums zugunsten einer einfachen Kennzeichnung mit dem Produktionsdatum der Lebensmittel. Denn das Konzept des Mindesthaltbarkeitsdatums wird von Verbraucherinnen und Verbrauchern häufig missverstanden. Viele interpretieren die Angabe als striktes Verbrauchsdatum von an sich noch lange genießbaren Lebensmitteln. Das trifft jedoch nur auf leicht verderbliche Lebensmittel zu, wie etwa frischen Fisch oder Fleisch, da der Verzehr hier tatsächlich gesundheitsgefährdend sein kann.
Ansonsten ist das Mindesthaltbarkeitsdatum vielmehr eine Qualitätsgarantie des Herstellers. Eine Packung Spaghetti mit Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums wegzuwerfen ist also in etwa so, wie einen Fernseher zu entsorgen, dessen Herstellergarantie abgelaufen ist.
Damit weniger ungeöffnete Produkte in der Tonne landen, müssen Verbraucher also besser über die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums aufgeklärt werden und lernen, mehr auf ihre Sinne zu vertrauen. Die Frage, ob ein Produkt noch genießbar ist, lässt sich durch Sehen, Riechen und Schmecken sehr zuverlässig beantworten.
Wiederverwendung von Lebensmitteln erleichtern
Staatliche Unterstützung von Investitionen in die Kreislaufwirtschaft kann mittelfristig ebenfalls helfen, schneller Fortschritte zu erzielen. Der Konkurs unseres Branchenkollegen Sirplus ist ein Beispiel dafür, dass der Aufbau eines Kreislaufunternehmens sowohl teuer als auch herausfordernd ist.
Produzierende Unternehmen sollten zudem gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre überschüssigen Lebensmittel im Warenkreislauf zu halten. Diese sollten an soziale Einrichtungen gespendet oder entsprechend weiterverkauft werden müssen. Das wünschen sich offensichtlich auch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, wie das Gutachten des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“ deutlich gemacht hat. Darin empfiehlt das Gremium bereits als Drittes in seiner Prioritätenliste, eine verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel einzuführen. Jetzt muss die Politik zeigen, dass sie diese Empfehlung ernst nimmt und umsetzt.
Der EU zeigen, dass Deutschland eine Vorreiterrolle übernehmen kann
Als Europas größte Volkswirtschaft können und sollten wir bei der Reduzierung von Lebensmittelverlusten und -abfällen eine Vorreiterrolle übernehmen – und dürfen dabei nicht bei den Verbrauchern und Verbraucherinnen aufhören.
Unsere Regierung und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist nun gefragt, die nationale Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen zu aktualisieren. Selbsterklärtes Ziel ist es, bis 2030 die Lebensmittelabfälle in Deutschland zu halbieren und Lebensmittelverluste zu verringern. Doch dafür braucht es mehr Transparenz darüber, wo die Abfälle entstehen, ein besseres Verständnis für das Mindesthaltbarkeitsdatum und mehr positive Anreize für die Kreislaufwirtschaft.
Wir sind es den Verbraucherinnen und Verbrauchern schuldig – denn letztlich zahlen sie die Rechnung für die wirtschaftlichen und ökologischen Kosten der Lebensmittelverschwendung.