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Agrar & Ernährung

Standpunkte Worauf es bei der Green Claims Directive der EU jetzt ankommt

Simon Bail, Gründer von OneClimate
Simon Bail, Gründer von OneClimate Foto: OneClimate

Die Green-Claims-Richtlinie hat das EU-Parlament passiert. Wenn es an die Umsetzung dieses Regelwerks gegen Greenwashing geht, wird es zu Reibungen innerhalb der EU und mit Nicht-EU-Ländern kommen, prognostiziert Simon Bail. Der Gründer des Klimaschutz-Start-ups OneClimate hat Empfehlungen für flankierende Maßnahmen der EU und an die Unternehmen selbst.

von Simon Bail

veröffentlicht am 14.03.2024

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Sprache verändert Bewusstsein, Wahrnehmung, Emotionen und Handlung. Sie schafft Einheit oder Abgrenzung. Sie aktiviert – zum Kampf (sic) gegen den Klimawandel oder zum Einsatz für den Klimaschutz. Immer spielen Nuancen eine entscheidende Rolle. Sich dieser Macht bewusst zu sein, ist gerade in Hinblick auf die Wirkmacht der Green Claims Directive der EU wichtig, die in dieser Woche vom EU-Parlament angenommen wurde. Gelingt ihre Umsetzung, wird sich das Verständnis vom Zusammenspiel von Konsum und Klima grundlegend verändern.

Die EU Green Claims Directive zielt als Teil des Europäischen Green Deals darauf ab, irreführende Werbebotschaften von Unternehmen – und damit Greenwashing – zu unterbinden und den Verbraucher:innen klare und verlässliche Informationen über die Klima- und Umweltauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen zu liefern. So soll das Vertrauen in nachhaltige Produkte gestärkt, sollen besser informierte Entscheidungen ermöglicht werden. Zugleich ist eine Förderung für Unternehmen vorgesehen, die ernsthaft nachhaltig agieren.

Konkret soll das durch die Festlegung detaillierter Regeln für (freiwillige) grüne Claims erreicht werden, damit diese auch wirklich substanziell sind. Unternehmen könnten dann ihre umweltbezogenen Botschaften durch unabhängige und akkreditierte Prüfer:innen verifizieren lassen und klare, vergleichbare und überprüfbare Kriterien für diese Claims erfüllen. Ein solcher Rahmen schafft letztlich Sicherheit für alle Beteiligten – man denke etwa an die Causa dm. Die Direktive gilt für die meisten in der EU tätigen Unternehmen, einschließlich solcher außerhalb der EU, die EU-Verbraucher:innen ansprechen, mit Ausnahme von Mikro-KMU.

Interessenkonflikte einkalkulieren

Unternehmen könnten die Direktive als zusätzliche regulatorische Belastung betrachten. Gleichzeitig haben Regulierungsbehörden das Interesse, den Markt transparenter zu gestalten und Verbraucher:innen vor irreführenden Umwelt-Claims zu schützen.

Jede Form von Regulierung attestiert ein Marktversagen. So ist es auch hier, denn kaum ein Unternehmen stellt bisher die Zukunft des Planeten wirklich über den eigenen Profit. Ob die Motivation wirklich steigt, sich den im Sinne der Direktive auszuarbeitenden Bedingungen zu unterwerfen, wird sich zeigen. Klar ist, dass es Interessenkonflikte gibt, die bei der Umsetzung einkalkuliert werden müssen.

Einige Unternehmen, die bereits in nachhaltige Praktiken investiert haben, könnten die Direktive als Möglichkeit sehen, ihren Wettbewerbsvorteil zu verstärken, während andere Unternehmen die neuen Anforderungen als eine Hürde betrachten könnten. Spannend: Rechtzeitig zur Debatte über die Direktive im EU-Parlament kamen aus der Bio-Branche sogar Bedenken, wie sich das Gesetz mit Bio-Labeln vereinbaren lässt, die strenger sind als die EU-Öko-Verordnung.

Unternehmen, die bereits jetzt auf innovative und nachhaltige Lösungen setzen, könnten von der Direktive profitieren, da sie ihre Bemühungen durch glaubwürdige Umwelt-Claims hervorheben können. Alle anderen Unternehmen sind dann stärker angehalten, ihre Praktiken zu überdenken, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Die Direktive wird sicher Lobbyist:innen auf den Plan rufen, die in ihr eine Einschränkung für schnelles Wachstum und Profitmaximierung sehen, insbesondere wenn die Umstellung auf nachhaltigere Praktiken mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden ist. Das Argument gilt es im Sinne der Sache zu entkräften.

Die Direktive gilt – im Sinne der Fairness – auch für Unternehmen außerhalb der EU, die auf den EU-Markt abzielen. Dies könnte zu Spannungen führen, da diese Unternehmen sich an EU-Standards anpassen müssen, um Zugang zum Markt zu erhalten, was als Handelshürde wahrgenommen werden könnte. Gleichzeitig sorgt die Direktive für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen EU- und Nicht-EU-Unternehmen.

Unabhängige, akkreditierte Prüfstellen einrichten          

Grundlegend entscheidend wird sein, Unternehmen und Verbraucher über die Anforderungen der Direktive aufzuklären. Sind die Standards hoch oder niedrig? Im Vergleich wozu? Dies beinhaltet die Bereitstellung klarer Leitlinien darüber, wie grüne Claims zu substantiieren und welche Verifikationsprozesse – ab wann, bis wann, auf Basis welcher Daten, die von wem erhoben und von wem verifiziert werden müssen – notwendig sind. Hier braucht es dringend Klarheit.

Da die Anforderungen der Direktive eine Herausforderung für KMU darstellen können, sollten die Mitgliedstaaten spezielle Unterstützungsprogramme anbieten. Diese könnten Beratungsdienste, finanzielle Unterstützung für die Durchführung von Lebenszyklusanalysen oder die Kosten für die Zertifizierung umfassen.

Die Glaubwürdigkeit der Green Claims hängt stark von der Qualität und Unabhängigkeit der Verifizierung ab. EU-Staaten sollten daher ein robustes System unabhängiger und akkreditierter Prüfstellen etablieren und regelmäßig überwachen. Behörden müssen über ausreichende Ressourcen und Befugnisse verfügen, um die Einhaltung zu überprüfen und Verstöße effektiv zu ahnden.

Um die Verwirrung durch die Vielzahl von Umweltlabels und -standards zu reduzieren, sollten die Mitgliedstaaten auf eine stärkere Harmonisierung und Anerkennung von Standards auf EU-Ebene hinwirken. Dies könnte durch die Förderung von EU-weiten Labels oder die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen geschehen. Die Entwicklung gemeinsamer Datenbanken zur Überwachung und Verifizierung von Claims würde zudem die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten verbessern.

Weil auch Nicht-EU-Unternehmen den Maßgaben der Direktive unterliegen, braucht es außerdem den Austausch mit ebendiesen Unternehmen, um Handelshemmnisse zu vermeiden und so bestenfalls internationale Standards für grüne Claims zu fördern.

Sprache als Grundlage für mehr Klimaschutz

Die Green Claims Directive ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer transparenten und glaubwürdigen Kommunikation über die Umweltauswirkungen von Produkten. Denn Klimaschutz beginnt bei der Sprache. Die Umsetzung der Richtlinie bietet eine Gelegenheit, Verbraucher:innen besser über die Umweltauswirkungen der Produkte, die sie kaufen, zu informieren und damit einen bewussteren Konsum zu fördern. Doch das kann nur ein Baustein sein. 

Die politischen Mühlen mahlen gewohnt langsam. Sobald die Direktive in Kraft tritt, haben die Mitgliedsstaaten 18 Monate Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen, wobei erwartet wird, dass die Anforderungen ab 2026 gelten werden. Fraglich ist dann – auch mit Hinblick auf die Bedenken, dass die Verordnung weniger scharf ist als bestehende Label-Kriterien –, wie wirksam die Neuerungen wirklich sind. Daher muss die Direktive in einen breiteren Umsetzungsplan eingebettet werden, der darauf abzielt, die Grundursachen von Überkonsum und Ressourcenübernutzung zu adressieren.     

Dazu gehören andere politische Maßnahmen, die etwa den Wert von Reparatur und Wiederverwendung erhöhen, die Einführung von strengeren Umweltstandards für Produktion und Produkte vorsehen und die Förderung von Geschäftsmodellen, die auf Langlebigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, angehen. Nur so gelingt der grüne Wandel hin zu einer Wirtschaft, die innerhalb der Grenzen unseres Planeten arbeitet, die soziale Gerechtigkeit fördert und die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen oder anderer Teile der Welt lebt. Die Direktive macht deutlich, dass alle – Regierungen, Unternehmen und Einzelpersonen – zusammenarbeiten müssen, um diesen Wandel zu gestalten.

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