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Agrar & Ernährung

Standpunkte WTO-Fortschritte trotz Blockaden erzielen

Clara Brandi, Abteilungsleiterin am German Institute of Development and Sustainability
Clara Brandi, Abteilungsleiterin am German Institute of Development and Sustainability

Bei der Frage der Ernährungssicherheit hat sich die Agrarministerkonferenz der Welthandelsorganisation verhakt. Die Gründe beschreibt Clara Brandi vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in ihrem Standpunkt. Eine Lösungsmöglichkeit für die Verhandlungen seien Ausnahmen bei Exportbeschränkungen für besonders arme Länder.

von Clara Brandi

veröffentlicht am 26.02.2024

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Landwirtschaft ist ein zentrales, aber kontroverses Thema bei der Welthandelsorganisation WTO. Die 13. WTO-Ministerkonferenz in Abu Dhabi, die am heutigen Montag beginnt, öffnet die Tür für eine entscheidende Diskussion darüber, wie der Welthandel die globale Ernährungssicherheit verbessern kann. Während die Agrarverhandlungen schon lange ins Stocken geraten sind, bleibt fraglich, ob das Ministertreffen den Durchbruch bringen wird. Welche Ergebnisse sind also in Abu Dhabi zu erwarten? Trotz der Pattsituation bei den meisten landwirtschaftlichen Themen gibt es immer noch Hoffnung auf Fortschritte bei der Ernährungssicherheit.

Durch Covid-19 und die russische Invasion in der Ukraine hat sich die Ernährungsunsicherheit in der letzten Zeit weiter verschärft. Rund 600 Millionen Menschen sind laut Weltbankprognosen in diesem Jahr von Hunger betroffen. In der Tat sehen nahezu alle WTO-Mitglieder die Ernährungssicherheit als zentrales Thema für die Agrarverhandlungen auf der anstehenden Ministerkonferenz. Sie haben jedoch sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie dieses Ergebnis erreicht werden kann.

Für einige WTO-Mitglieder ist internationaler Handel ein wichtiges Mittel, um weltweit den Zugang zu bezahlbaren Nahrungsmitteln zu verbessern. Sie setzen sich daher dafür ein, landwirtschaftliche Exportbeschränkungen einzudämmen, die für Netto-Importeure den Zugang zu Nahrungsmitteln erschweren.

Für andere WTO-Mitglieder sind nicht verbesserte internationale Handelsflüsse, sondern nationale Lösungen der Schlüssel. Sie kämpfen daher für öffentliche Lagerhaltung und inländische Stützung, um Nahrungsmittelsicherheit zu verbessern. Wieder andere glauben, dass ein liberalisierter Marktzugang für landwirtschaftliche Erzeugnisse die Ernährungssicherheit fördern kann, indem Nahrungsmitteln dadurch besser verfügbar und erschwinglicher werden.

Lösungen womöglich erst 2026 in Kamerun

Trotz aller Differenzen enthält der aktuelle Textentwurf für das Ministertreffen konkrete Optionen für mögliche Ergebnisse, die in Abu Dhabi unterzeichnet werden sollen. Doch im sechsseitigen Dokument sind noch zahlreiche eckige Klammern, die auf Bereiche hinweisen, in denen weiterhin Uneinigkeit herrscht. Bei den meisten Themen wird die Schlussfolgerung lauten, dass kein Konsens gefunden wurde und die Arbeit fortgesetzt werden muss. Die Hoffnung wird dann sein, auf der nächsten WTO-Ministerkonferenz, die 2026 in Kamerun stattfinden soll, endlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen.

Warum sind Fortschritte zu Landwirtschaft in der WTO so schwierig? Ein Knackpunkt ist die grundsätzliche Uneinigkeit zwischen Indien und vielen Industrieländern über die zeitliche Abfolge der Verhandlungen. Indien erklärt, dass es nicht über andere landwirtschaftliche Themen verhandeln wird, bevor eine dauerhafte Lösung für die Schaffung öffentlicher Nahrungsmittelvorräte zum Zwecke der Nahrungsmittelsicherheit gefunden wird. Die EU, die USA und die sogenannte Cairns-Gruppe der Agrarexportländer wollen solche Verhandlungen über Lagerhaltung aber erst im Rahmen einer umfassenderen Überarbeitung der inländischen Agrarsubventionen führen.

Wahlen in Indien beeinflussen Debatte um Vorratshaltung

Die Kernfrage lautet, ob Indien zukünftig die in der WTO vereinbarten Obergrenzen für Subventionszahlungen zur Schaffung öffentlicher Nahrungsmittelvorräte einhalten muss. Indien pocht weiterhin darauf, dass die bei der WTO-Ministerkonferenz in Bali 2013 vorläufig beschlossene „Friedensklausel“ dauerhaft eingeführt wird. Diese Klausel erlaubt es Indien, die vereinbarten Obergrenzen für heimische Subventionen zu überschreiten, wenn diese Ausgaben der Schaffung öffentlicher Vorräte zur Ernährungssicherung dienen.

Präsident Narendra Modis Einsatz für eine weitreichende Lagerhaltung spielt eine große Rolle in seiner Wahlkampagne in den dieses Jahr anstehenden Wahlen in Indien. Andere WTO-Mitgliedstaaten fürchten, dass subventionierte Vorratshaltung den Handel verzerrt, und dass sie sogar die Ernährungssicherheit anderer Mitglieder beeinträchtigt, sofern sie ausgeweitet wird. Um diesen Konflikt zu lösen, liegen zwei Hauptoptionen auf dem Tisch. Die erste Option ist, öffentliche Vorratshaltung auf Dauer und für alle Entwicklungsländer zu erlauben. Die zweite Option besteht darin, ein Arbeitsprogramm zur weiteren Diskussion vorzulegen, um dann auf der Ministerkonferenz in Kamerun eine dauerhafte Lösung zu erreichen. Ausnahmen für arme Länder bei Exportbeschränkungen

Wie können angesichts dieser Verhandlungsblockaden in Abu Dhabi dennoch Fortschritte für die Ernährungssicherheit erzielt werden? In einem Punkt scheinen sich die WTO-Mitglieder trotz aller Divergenzen einig zu sein: Ein Ergebnis zur Ernährungssicherheit sollte den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Coutries – LDCs) zugutekommen. Vor diesem Hintergrund sollte der Schwerpunkt der diesjährigen WTO-Ministerkonferenz auf einem Schlüsselergebnis zur Ernährungssicherheit für LDCs liegen.

Der anhaltende Krieg Russlands in der Ukraine führt zu Erschütterungen auf den globalen Lebensmittelmärkten. Eine Reihe von WTO-Staaten, darunter Indien, Mexiko, oder Indonesien, verhängen im Zuge dessen Exportbeschränkungen für wichtige landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Weizen, Reis oder Sojabohnen. Das hat dramatische Folgen für viele andere Länder, vor allem für LDCs, die Nettoimporteure von Nahrungsmitteln sind und zur Deckung ihres grundlegenden Ernährungsbedarfs auf solche Produkte angewiesen sind.

Ein wichtiges Ergebnis des Treffens in Abu Dhabi wäre daher eine LDC-Ausnahme, die sicherstellt, dass WTO-Mitglieder keine Exportverbote oder -beschränkungen für Lebensmittel verhängen, wenn LDCs diese für den Inlandsverbrauch importieren. Eine solche Ausnahmeregelung würde es den LDCs ermöglichen, Nahrungsmittel von WTO-Mitgliedern zu kaufen, die ihre Nahrungsmittelexporte in alle anderen Länder beschränkt haben. Eine Ausnahmeregelung kann so dazu beitragen, dass die LDC weiterhin Nahrungsmittel importieren und damit die inländische Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sicherstellen.

Trotz der bestehenden Uneinigkeiten sollten die WTO-Mitglieder weiterhin zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden, die den LDCs zugutekommen und die weltweite Ernährungssicherheit stärken. Die oberste Priorität sollten die ärmsten Länder sein. Deutschland und die EU sollten sich daher bei der 13. WTO-Ministerkonferenz für eine Ausnahmeregelung bei Exportbeschränkungen für die am wenigsten entwickelten Länder einsetzen. Zudem sollten sich Deutschland und die EU dafür starkmachen, einen Ausgleich mit Indien zu suchen, um aus der Sackgasse der Diskussion über öffentlichen Lagerhaltung herausfinden. Ernährungsunsicherheit ist ein globales Problem, zu deren Lösung auch die WTO beitragen muss.

Clara Brandi ist Abteilungsleiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und Professorin für Internationale Wirtschaft / Entwicklungsökonomie an der Universität Bonn. Sie forscht zu Weltwirtschaft und Nachhaltigkeit und berät Ministerien, die EU-Kommission und internationale Organisationen.

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