Nach gut zweieinhalb Jahren Verhandlungen steht seit Mitte Dezember 2023 eine politische Einigung zum europäischen AI Act. Vollständig in Kraft treten wird die Verordnung nach aller Voraussicht erst 2026 – für den Aufbau der nationalen Behördenstruktur gilt jedoch eine verkürzte Frist von zwölf Monaten. Deshalb sollten wir bereits jetzt auf die nationale Umsetzung blicken. Die Notwendigkeit haben nicht zuletzt auch die langwierigen Diskussionen zur Besetzung des Digital Services Coordinators (DSC) aufgezeigt. Wir sind überzeugt: Eine gute Governance ist wesentliche Gelingensbedingung einer wirksamen Regulierung.
Wie gute Governance gelingt, lässt sich nicht im Vakuum klären. In Brüssel entstehen aktuell zahlreiche weitere Regulierungen, die den Digitalbereich betreffen und nationale Aufsichtsstrukturen vorsehen. Dazu gehört unter anderem der Data Act, der Data Governance Act und die Consumer Law on Digital Fairness, um nur einige wenige zu nennen.
Gleichzeitig herrscht bei vielen dieser Regulierungen, wie beim AI Act auch, Unklarheit über die Zuständigkeiten. Das zuletzt vorgestellte Digital Cluster, das eine engere Zusammenarbeit der Bonner Behörden in Fragen der Digitalregulierung in die Wege leitet, ist ein guter Ansatz. Wir sind aber überzeugt, dass es langfristig eine zentralere Bündelung braucht.
BNetzA oder BfDI als Digitalagentur
Eine Lösung dafür wäre eine Digitalagentur. Die Idee ist nicht neu, wurde in der Vergangenheit immer wieder diskutiert und inhaltlich unterschiedlich besetzt – gewinnt aber aktuelle erneut an Relevanz. Unsere Vision: Eine starke Behörde, die langfristig Kommunikation und Kompetenz im Digitalbereich bündelt und als verlässliche Koordinatorin und Ansprechpartnerin für Stakeholder:innen und in Richtung Brüssel und anderer Mitgliedstaaten auftritt.
Statt auf eine von Grund auf neue Behörde zu setzen, die den kostspieligen Aufbau neuer Strukturen und die Gewinnung einer großen Zahl von Fachkräften voraussetzen würde, streben wir eine pragmatischere Lösung an. Wir wollen dort, wo bereits Regelungskompetenz liegt, anknüpfen – mit dem Ziel, perspektivisch eine kohärente Aufsichtsstruktur zu schaffen und eine eigenständige Agentur aufzubauen.
Als Inkubator für eine solche Digitalagentur geeignet wären aus unserer Sicht gleich zwei Behörden: die Bundesnetzagentur (BNetzA) und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Die langjährigen Erfahrungen der BNetzA als oberste Aufsichts- und Regulierungsbehörde, Erkenntnisse aus dem Aufbau des DSC und der einhergehenden Bündelung und Koordinierung von Digitalzuständigkeiten sind ein vielversprechender erster Schritt, der bereits in Richtung Digitalagentur zeigt. Mit rund 3.000 interdisziplinär aufgestellten Mitarbeitenden verfügt die Behörde auch über die nötigen Kompetenzen und den Gestaltungsspielraum, um diese Entwicklungen zu ermöglichen. Ein weiteres Plus: umfassende Kompetenzen in Notifizierung, Zertifizierung und Marktüberwachung, die für die Umsetzung des AI Act essenziell sind.
Auch der BfDI beweist als Aufsicht der DSGVO bereits seit fünf Jahren, wie Beratung von Stakeholder:innen, Klärung von Auslegungsfragen und Koordinierung zwischen Ländern, Bund und Brüssel gelingt. Hier stehen erfahrene Mitarbeiter:innen, die vor allem als Jurist:innen oder Techniker:innen ihre Erfahrung in den Aufbau einer Digitalagentur einbringen können, zur Verfügung. Bonus des BfDI: Die vollständige Unabhängigkeit ist bereits ohne die bei der BNetzA notwendig werdende Abspaltung gegeben.
Abseits der Diskussion um eine mögliche Besetzung möchten wir folgende vier Argumente festhalten, die aus unserer Sicht für eine Digitalagentur sprechen:
1. Klare Zuständigkeiten und gestärkte Koordinierung
Die Digitalisierung wird immer ein Schnittstellenthema bleiben, das eine Vielzahl verschiedener Behörden auf Bundes-, Länder- und auf kommunaler Ebene betrifft. Als zentrale Stelle für digitalpolitische Regulierungen verspricht eine Digitalagentur geklärte Verhältnisse. Bestehende Zuständigkeiten und Kompetenzen bleiben davon unangetastet: Im Rahmen einer sektoralen Aufsicht würde sich etwa der BfDI um personenbezogene Daten kümmern, die Bafin wäre weiter für Finanzdienstleistungen verantwortlich.
Die Digitalagentur tritt als koordinierende Stelle auf, die sich eng mit diesen und weiteren zuständigen Behörden abstimmt. Das heißt nicht, dass sie als Poststelle fungiert, die lediglich Aufträge hin- und herschiebt. Im Gegenteil: Wir sehen hier die Chance, langfristig eine Behörde aufzubauen, die echte Digitalkompetenz hat. So können wir der Zersplitterung von Zuständigkeiten vorbeugen, die die Umsetzung von Regulierung stark erschwert. Dabei muss, wie etwa beim Beirat des DSC, die Einbeziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft sichergestellt werden.
2. Rechtsklarheit und vereinheitlichte Kommunikation
Als zentrale Kommunikationsstelle erhöht die Digitalagentur die Rechtsklarheit für alle mit ihr im Austausch stehenden Akteur:innen und leistet so einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung europäischen Rechts. Die Bündelung von Kompetenzen und Kommunikation verhindert, dass regulatorische Vorgaben von unterschiedlichen Behörden unterschiedlich ausgelegt werden. Gerade für KMU und Start-ups mit überschaubaren Ressourcen verspricht die Zuweisung einer klaren Ansprechpartnerin eine große Erleichterung. Aktuell leiden Unternehmen häufig noch unter Rechtsunsicherheit, gerade, wenn sie in mehreren Branchen und Bundesländern tätig sind. Auch Verbraucher:innen, die Zivilgesellschaft und Forschende profitieren von einer gesteigerten Klarheit, da sie Informationen und Daten einfacher abfragen können.
3. Synergieeffekte
Viele der aktuell anstehenden digitalpolitischen Regulierungen auf EU-Ebene setzen ähnliche Anforderungen an die nationale Aufsicht in den Mitgliedstaaten. Das verspricht Synergieeffekte, die sich durch eine Digitalagentur nutzen ließen. So legen etwa der DSA und der Data Act beide fest, dass eine koordinierende Stelle auf nationaler Ebene errichtet werden muss, die zudem über ein sehr großes Maß an Unabhängigkeit verfügen muss. Darüber hinaus soll die nationale Aufsichtsbehörde häufig auch als Beratungsstelle fungieren und das Stakeholder-Engagement sicherstellen. Ähnliche Ansätze sind auch für andere Regulierungsvorhaben wahrscheinlich, deren konkrete Governance-Vorgaben aktuell noch zur Debatte stehen.
4. Zukunftsfestigkeit
Angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft, Gesellschaft und unseres Alltags ist es nicht unwahrscheinlich, dass weitere Digital-Regelwerke auf EU-Ebene entstehen werden. Wir plädieren deshalb für eine zukunftsfeste und kohärente Struktur der nationalen Aufsicht im Digitalbereich. Damit vermeiden wir immer wiederkehrende Diskussionen über ungeklärte Zuständigkeiten, die unsere Handlungsfähigkeit schwächen. Die Europäische Union schafft aktuell einen bemerkenswerten regulatorischen Rahmen für die digitale Transformation in den unterschiedlichsten Bereichen, dessen Standards auch international durch den Brüssel-Effekt übernommen werden. Um allerdings die bestehende Lücke zwischen dem Anspruch der Regulierungen und der realen Umsetzung zu schließen, benötigen wir eine konsequente Durchsetzung, die auf lange Sicht nur mit einer starken Behörde in Form einer Digitalagentur zu gewährleisten ist.
Parsa Marvi und Armand Zorn sind die Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für den AI Act. Carmen Wegge arbeitet als Berichterstatterin im Innenausschuss für die SPD-Faktion zu KI-Regulierung und Datenschutz. Sie organisiert die Sozialdemokratische Datenschutzrunde als Austauschgremium von Bund, Ländern und europäischer Ebene.