Kurz bevor das von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) forcierte Paket an gesetzlichen Schärfungen zu „Hasskriminalität“ im Strafrecht und Überarbeitungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) vom Parlament zu Ende beraten wird, legt die Bundesregierung den bereits länger angekündigten Evaluierungsbericht zum bisherigen Stand des NetzDG vor. Auf Grundlage eines juristischen Gutachtens des Berliner Jura-Professors Martin Eifert, Erkenntnissen des Bundesamtes für Justiz (BfJ), den Transparenzberichten der Anbieter sozialer Netzwerke und einer Messung des Bundesamtes für Statistik wird mit Stand Ende 2019 die Frage untersucht, ob das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel „einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ hinsichtlich „objektiv strafbarer Inhalte“ erreicht wurde. Zu deren unverzüglicher Entfernung sind die Betreiber großer Social-Media-Plattformen seit rund drei Jahren unter Androhung empfindlicher Bußgelder verpflichtet.
Das Ergebnis der Untersuchung fasst die Ministerin in der zugehörigen Pressemitteilung gewohnt selbstbewusst mit „Das NetzDG wirkt!“ zusammen und bescheinigt sich nicht nur, dass damit „Hass und Hetze im Netz konsequenter und effektiver begegnet wird“, sondern auch „keine Anhaltspunkte für unerwünschte Nebenwirkungen wie Overblocking“ gefunden worden wären. Dort, wo es „noch Verbesserungsbedarf“ gäbe, sei sie bereits „mit meinem Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität sowie dem Gesetzentwurf zur Änderung des NetzDG […] tätig geworden“. So breitbeinig, wie diese Erklärung wirkt, so wenig steht Christine Lambrecht damit jedoch auf festem Grund.
Lambrecht macht es sich zu einfach
Die Schlussfolgerung, dass durch den gesetzgeberischen Druck, den die horrenden Bußgelddrohungen auf die Plattformbetreiber auslösen sollten, nicht unberechtigte Löschungen befördert würden, lässt sich aus der Evaluation seriös gar nicht ziehen. Denn das NetzDG verpflichtet auf der Grundlage deutschen Strafrechts die Plattformen zur Löschung. Da diese jedoch weltweit tätig sind und daher zusätzlich nach eigenen Maßstäben und denen anderer Staaten auf Beschwerden reagieren müssen, wurde durch das NetzDG eine Parallelität der Regelungsregime geschaffen. Dabei ist ein – insbesondere im Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen Restriktionen – für die Meinungsfreiheit negativer „Chilling Effect“ nachgerade mit Händen zu greifen.
Dass sich nach Singapur und Russland erst kürzlich die Türkei als ein weiteres Land mit einer autoritärer Regierung das deutsche NetzDG zum Vorbild genommen hat, ist von daher auch kein Zufall, sondern zeigt die Problematik, die schon im generellen Ansatz dieses Gesetzes liegt. Gerade in den Bereichen des legitimen öffentlichen Meinungskampfes ist die Frage der Rechtswidrigkeit des Inhalts von der Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung oder ähnlichen Vorfragen abhängig und es fehlt oft nämlich an der „Offensichtlichkeit“ einer Rechtsverletzung. Der Gesetzgeber befördert jedoch beim Betreiber schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus im Zweifel eine Löschung – gegebenenfalls dann eben unter Berufung auf die eigenen, regelmäßig kaum justitiablen „Community Standards“. Gut für die Ministerin und ihre Evaluation, denn damit lässt sich leicht behaupten, Überreaktionen wäre gar nicht Folge des NetzDG, sondern allein in der Verantwortung der Plattformbetreiber zu suchen.
Die Meinungsfreiheit hat keine Lobby
Da der Gesetzgeber schon bei Schaffung des NetzDG die Komplexität des Äußerungsrechts verkannt hat, verwundert es nicht, dass auch im Rahmen des Berichtes die diesbezügliche Zahl an Problemfällen als „nicht eindeutig“ gewertet werden.
Die Schlussfolgerung, man habe „keine Anhaltspunkte für unerwünschte Nebenwirkungen“ gefunden, dürfte hinsichtlich des „Over-“ oder „Underblockings“ ausgerechnet im gesellschaftlich relevantesten Bereich der „Hassrede“ eher dem politischen Wunsch, als einer validen Erkenntnis entspringen. Wer meinungsfreudigen Diskussionen auf Twitter folgt, kann die unberechtigte Löschung von Beiträgen und Sperrung von Nutzern regelmäßig erleben – ebenso wie die im Einzelfall oftmals völlig unverständliche Nicht-Löschung trotz für den Juristen eindeutiger Verstöße gegen deutsches Recht. Eine „Löschquote“ von cirka 20 Prozent bei hunderttausenden von (oft eben auch unberechtigten) Meldungen als „geringen Anteil“ zu bezeichnen, sollte sich für eine Justizministerin, die den Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 GG ernst nehmen müsste, eigentlich verbieten.
Die Meinungsfreiheit aber hat keine Lobby – jedoch viele überzeugte Gegner: Der problematischen Tendenz, die sich unter den im Moment in den Gesetzgebungsverfahren befindlichen Verschärfungen noch verstärken dürfte, da hier selbst reine „Gedankenverbrechen“ zu lösch- und künftig sogar anzeigepflichtigen Straftaten erklärt werden sollen, tritt der Evaluationsbericht erwartungsgemäß nicht entgegen. Trotz der deutlichen Kritik zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen quer zum politischen Spektrum lässt der bisherige Verlauf des parlamentarischen Verfahrens wenig hoffen, dass von Seiten der Regierungskoalition am bestehenden Gesetz und den von der Bundesregierung längst beschlossenen Veränderungen, einschließlich der Verschlechterungen des Strafrechts, noch wesentliche Verbesserungen zu erwarten wären.
Chance für Diskussion valider Punkte wird vertan
Das ist schade, denn insbesondere Dank der Arbeit von Professor Eifert und seinem juristischen Gutachten wären einige Hinweise es Wert, zu einer politischen und rechtlichen Diskussion zu kommen. Dazu gehört etwa die bislang fehlende Rückkoppelung zwischen den Beteiligten. Sie erfahren nicht mit welcher Begründung staatlicherseits Konsequenzen bezüglich eines gemeldeten oder gelöschten Inhaltes verworfen wurden. Gerade die Bedeutung der „mittelbaren Grundrechtswirkung“ würde es gebieten, das Verhältnis zwischen NetzDG und Gemeinschaftsstandards und aller Möglichkeiten zur Vermeidung von „chilling effects“ im Rahmen einer weiteren Evaluation und darüber nicht erst in drei Jahren und erst im Nachgang einer bereits eingeleiteten Gesetzesänderung vertieft zu diskutieren.
Jan Mönikes ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Er arbeitet in den Schwerpunkten Vereinsrecht sowie IT-, Presse- und Wettbewerbsrecht. Er berät eine Reihe namhafter Vereine und Verbände in Organisations- und Satzungsfragen, sowie international tätige Unternehmen in Fragen des Wettbewerbs- und Äußerungsrechts, dem Datenschutz sowie dem Recht und der Regulierung des Internet.