Unterseedatenkabel sind das physische Fundament des globalen Internets. Seit den Anschlägen auf die Nordstream-2-Pipelines im Sommer 2022 wächst die Sorge, dass auch die Kabel am Meeresgrund zum Ziel von Angriffen werden könnten. Für die deutsche Politik und auch für die Europäische Union stellt sich die Frage, was getan werden kann, um die Kabel besser zu schützen.
Doch was soll eigentlich geschützt werden? Das globale Netz der Unterseekabel besteht aktuell aus etwa 550 Kabeln und den entsprechenden Anlandestellen. Über diese Kabel wird nahezu der gesamte interkontinentale Datenverkehr abgewickelt.
So wie das Internet auf der Ebene grundlegender Protokolle angelegt ist, ist der Ausfall eines Kabels kein größeres Problem. In einem solchen Fall werden die Daten über andere Kabel umgeleitet, oftmals ohne spürbare Auswirkungen für die Internetnutzer:innen. Tatsächlich gibt es solche Ausfälle einzelner Kabel immer wieder – pro Jahr kommt das im Durchschnitt sogar etwa 100– bis 150-mal vor.
Kabel ist nicht gleich Kabel
Aber: das globale Netz an sich ist eben doch in besonderem Maße kritisch. Ohne dieses Netz am Meeresboden gäbe es das Internet nicht und auch nicht all die Anwendungen und Dienste, auf die wir als Gesellschaft angewiesen sind.
Hinzu kommt, dass es im globalen Netz der Unterseekabel wichtige und weniger wichtige Kabel gibt. Das ist natürlich immer auch eine Frage der Perspektive. Europa ist auf dem Landweg durch vielfältige Kabelverbindungen vernetzt. Entscheidend ist für uns daher vor allem der Anschluss an das globale Netz, also die Verbindungen etwa nach Amerika und nach Asien.
Auch in weiter entfernten Regionen weist das Netz kritische Verdichtungen auf, etwa in der Straße von Malakka, bei Singapur. Für kleinere Insel-Staaten ist oftmals schon ein einzelnes Kabel entscheidend. Zudem lässt sich dann noch weiter unterscheiden zwischen neuen und alten Kabeln, vor allem mit Blick auf die Datenübertragungskapazität. Auffällig ist, dass in letzter Zeit die großen Tech-Unternehmen aus den USA angefangen haben, eigene Kabelsysteme aufzubauen.
Nun könnte man auf den ersten Blick meinen, dass all dies für Deutschland kein Thema sei. Denn tatsächlich sind wir auf dem Landweg gut mit unseren Nachbarn verbunden. Die wenigen Kabel, die an Nord- und Ostsee anlanden, sind zudem überwiegend schon recht alt und haben nur geringe Übertragungskapazitäten.
NATO, EU und G7 identifizieren wichtigste Verbindungen
Aber das wäre zu kurz gedacht. Denn so wichtig die Verbindungen innerhalb Europas sind, ist es ja auch im deutschen Interesse, als Teil des europäischer Kontinents einen guten Anschluss an das globale Netz zu haben.
Die Frage ist also nicht – zumindest nicht in erster Line – welche Kabel an den deutschen Küsten für Deutschland wichtig sind. Sondern: Welche Kabel sind wichtig, weil sie Europa mit dem globalen Internet verbinden? Aus dieser Perspektive wird dann zum Beispiel verständlich, warum Marseille so ein wichtiger Ort ist: Von hier gehen die meisten Kabelverbindungen in Richtung Naher Osten los.
In diesem Sinne sind gerade eine ganze Reihe von Institutionen damit beschäftigt, besonders wichtige und entsprechend besonders schützenswerte Kabelverbindungen zu identifizieren. Die Diskussionen dazu finden zum Beispiel im Rahmen der NATO und der EU statt, auch bei den G7 waren die Kabel zuletzt Thema.
Die vier Ausfallszenarien
Als nächstes stellt sich dann die Frage, wovor man die Kabel eigentlich schützen muss. Hier lassen sich vier Szenarien unterscheiden.
Das erste Szenario ist im Grunde der heutige Normalzustand. Wie schon beschrieben fallen einzelne Kabel immer wieder aus. Meist verursachen die Ausfälle natürliche Ereignisse, teilweise werden die Kabel unbeabsichtigt beschädigt, etwa wenn Treibnetze von Fischern Kabel durchtrennen.
Das zweite Szenario besteht darin, dass solche unbeabsichtigten Ausfälle gleich mehrere Kabel betreffen. Hier können die Auswirkungen weitaus folgenreicher sein. Dies war etwa im März dieses Jahres der Fall, als ein größerer Untersee-Erdrutsch mehrere Kabel vor der Küste Westafrikas bei Abidjan beschädigt hat.
Mit dem dritten Szenario kommt eine explizit sicherheitspolitische Dimension hinzu, hier geht es um gezielte Sabotage im Rahmen hybrider Konfliktaustragung. Unterhalb der Schwelle eines offenen Konflikts werden hier einzelne Kabel in einer Weise beschädigt, die sich auf den ersten Blick nur schwer von einem unbeabsichtigten Unfall unterscheiden lässt. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Vorfälle, die durchaus in diese Kategorie fallen könnten, auch wenn sich dies auf Basis öffentlicher Informationen nicht nachweisen lässt. Das Ziel hierbei ist es, Verunsicherung zu stiften, ohne einen Konflikt dabei zu sehr zu eskalieren. Letztlich ist dies eine Auseinandersetzung zwischen Staaten und ihren Nachrichtendiensten, der tatsächliche Effekt für die breitere Bevölkerung ist in der Regel gering.
Das vierte, das extreme Szenario sind großflächige und gleichzeitige Störungen von mehreren wichtigen Verbindungen. In Friedenszeiten ist dieses Szenario höchst unwahrscheinlich – im Kontext bewaffneter zwischenstaatlicher Konflikte aber durchaus realistisch. Würden etwa mehrere der Verbindungen Europas an das globale Internet gleichzeitig gekappt, wären die Auswirkungen aller Voraussicht nach massiv.
Neue Verbindungen zur Absicherung vor Angriffen
Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Unterseekabel zielen vor allem auf die Szenarien, bei denen großflächige Auswirkungen zu erwarten sind, ob durch Unfälle oder durch gezielte Sabotage. Sie können dabei zugleich aber auch einen Beitrag leisten, um einen besseren Umgang mit den anderen beiden Szenarien zu finden, also mit kleineren Ausfällen.
Dabei lassen sich zwei Ansätze unterscheiden. Der erste setzt auf mehr Diversität und Resilienz. Die Grundidee hierbei ist, das globale Netz der Unterseekabel so aufzustellen, dass Angriffe an einzelnen Stellen nur noch einen geringen Effekt haben. Letztlich geht es darum, zu vermeiden, dass einzelne Verbindungen zu wichtig sind.
Für Europa würde das etwa bedeuten, bei den Verbindungen nach Asien nicht nur auf die Kabel zu setzen, die durch den Suez-Kanal gehen. In der Tat gibt es aktuell spannende Vorschläge für neue Kabelverbindungen, die Europa durch die Arktis mit Asien verbinden sollen.
Die politisch spannende Frage hierbei ist, ob und in welchem Umfang solche neuen Routen durch öffentliche Gelder unterstützt werden sollen. Beispiele hierfür gibt es schon, etwa das Ellalink-Kabel zur direkten Verbindung Europas mit Lateinamerika. In einer kürzlich veröffentlichten Empfehlung schlägt die EU-Kommission vor, mit der Idee von „Cable Projects of European Interest“ einen systematischeren Zugang zu finden.
Polizei- und Militäreinsatz zum Schutz
Der zweite Ansatz setzt auf polizeilichen und in einigen Fällen sogar militärischen Schutz. Dies ist geeignet und absehbar leider notwendig, wo mehr Diversität nicht möglich ist, oder zumindest nicht kurzfristig geschaffen werden kann. Entsprechende Planungen hierzu gibt es insbesondere im Kreis der NATO. Das Ziel ist, durch verstärkte Präsenz an kritischen Verbindungen abzuschrecken.
Letztlich gibt es Grund zu verhaltenem Optimismus. Das System der Unterseekabel ist beeindruckend resilient. Auch wenn wir nun verstärkt über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen nachdenken, gibt es bereits konkrete Ansätze.
Daniel Voelsen ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er forscht zu Fragen an der Schnittstelle von Technologie- und Außenpolitik.