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Digitalisierung & KI

Standpunkte Daten ändern das Denken

Franz Loogen, Geschäftsführer der e-mobil BW und Leiter des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität
Franz Loogen, Geschäftsführer der e-mobil BW und Leiter des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität Foto: promo

Die Geschäftsmodelle der Zukunft drehen sich um Daten, auch im Automobilsektor. Deutschland muss seine langfristige Führungsposition im Fahrzeugbau nun mit datengetriebenen Komponenten verknüpfen, schreibt Franz Loogen – und fordert eine Intensivierung und gegebenenfalls eine Bündelung der Forschungsförderung in diesem Bereich.

von Franz Loogen

veröffentlicht am 28.07.2022

aktualisiert am 24.10.2022

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Die Zukunft der Mobilität ist datengetrieben. Immer mehr Fahrzeugdaten, wie zum Beispiel die Position, die Passagieranzahl oder auch Sensorik-Daten, stehen zur Verfügung. Zugleich vernetzen sich externe Geräte, wie Smartphones oder Infrastruktur, immer stärker mit den Fahrzeugen und ihren Passagieren. Es wird zukünftig also normal sein, dass unsere Fahrzeuge uns in Echtzeit freie Parkplätze und Ladesäulen anzeigen oder auf Basis von Verkehrs- und Infrastrukturdaten die perfekte Geschwindigkeit für die „grüne Welle“ oder intermodale Wegeketten errechnen. 

Die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Daten bietet grundsätzlich mannigfaltige Möglichkeiten für neue Services, verkehrliche Steuerung und Chancen zur Monetarisierung. Es stellt sich jedoch die Frage, wie genau mit diesen Daten Geld verdient wird und wem die Daten gehören. Noch ist unklar, ob die bekannten internationalen Daten- und Technologiekonzerne oder transformierte Automobilhersteller bei der Datennutzung und -monetarisierung die Nase vorn haben werden. Sicher aber ist, dass sich der Automobilstandort Deutschland auf dem sich stark verändernden Weltmarkt deutlich wandeln wird.

Nutzung von Verkehrsdaten

Zunächst muss klar sein: Rohdaten alleine bieten kaum einen wirtschaftlichen Mehrwert. Über 80 Prozent der heute europaweit erfassten Daten werden nicht genutzt. Nur wenn es gelingt, Daten zu analysieren und sie in den richtigen Kontext zu setzen, können sie in neuen Geschäftsmodellen und Anwendungsfällen Wirkung entfalten. Für diesen Veredelungsschritt spielen Qualität und Beschreibung der vorliegenden Mobilitätsdaten eine zentrale Rolle. Neben den von Fahrzeugen oder Smartphones erfassten Daten spielen auch aktuelle Daten von Immobilien sowie Verkehrszeichen eine bedeutende Rolle. So kann mit dem in Baden-Württemberg aufgebauten Verkehrszeichenkataster eine wichtige Basis für Funktionen des autonomen Fahrens geschaffen werden.

Verkehrliche Daten mit regionalem Bezug sind insbesondere regional relevant, dennoch muss ein Datenfluss über Grenzen hinweg gewährleistet werden. Diese Daten fließen beispielsweise in Routenplanungen ein, die Informationen zur Infrastruktur enthalten oder sie sind für Versicherungen interessant, die ihren Kund:innen maßgeschneiderte Auslandsversicherungen auf Basis von Fahrdaten („pay how you drive“) anbieten möchten. In Baden-Württemberg bietet die Plattform MobiData BW schon heute einen zentralen Zugangspunkt zu verkehrsträgerübergreifenden Daten wie ÖPNV, Leihfahrrädern oder Parkhäusern im Land. MobiData BW ist mit der nationalen Mobilithek verknüpft, die wiederum über eine Anbindung an den europäischen Mobility Data Space verfügen wird.

Datenbasierte Geschäftsmodelle und ihre Rechtssicherheit

Der Blick auf die heute wertvollsten Unternehmen der Welt zeigt: Viele von ihnen erwirtschaften einen erheblichen Teil ihres Gesamtumsatzes mit datenbasierten Diensten. Die Monetarisierung von Mobilitätsdaten wird sich analog zu der der Smartphone-Entwicklung verschieben: Neben dem Verkauf von mobilitätsbezogenen Daten, etwa an Versicherungen oder Straßenmeistereien, wird sie sich weiter von den Daten selbst zu den Diensten verlagern. Für den Automobilstandort Deutschland bedeutet das eine veränderte automobile Wertschöpfungskette. Informations-, Entertainment- oder ergänzende Technikdienste bieten dabei ebenso Chancen zur Monetarisierung wie Services in Verbindung mit anderen Verkehrsträgern oder auch die Vermittlung personalisierter Werbung.

Doch wer besitzt welche Rechte an den Daten, die beispielsweise durch die Nutzung und Interaktion mit der Fahrzeugsoftware erzeugt werden? Sind die Daten Eigentum der Nutzer:innen und können sie ihre Profile zu anderen Anbietern migrieren oder sehen Nutzungsbedingungen der Fahrzeug- und Serviceprovider die Datennutzug nur auf ihren Portalen vor?

Das europäische Datengesetz (Data Act) stellt eine Klärung der Eigentums- und Nutzungsrechte in Aussicht. EU-Kommission und Parlament sind sich grundsätzlich einig, dass die Daten jenen Personen gehören, die ein Produkt nutzen. Aktuell sind viele Fragen jedoch noch nicht abschließend geklärt und beeinflussen auch die Entwicklungszeiten digitaler Mobilitätsdienstleistungen. Gleichwohl bieten die strengen europäischen Schutzregelungen Chancen und potenzielle Wettbewerbsvorteile: Diese reichen vom diskriminierungsfreien Zugang zu Mobilitätsdaten, beispielsweise für Service Provider, über Aufwandsentschädigungen für die Datenbereitstellung bis hin zu Sondernutzungsrechten etwa für die Wissenschaft bei sicherheitsrelevanten Untersuchungen.

Umparken im Kopf

Wurde früher ein Fahrzeug um einen Verbrennungsmotor herum gebaut, so ist in Zukunft die Software das Herz jedes Fahrzeugs und seiner Vernetzung. Im Vordergrund stehen die datengetriebenen Services für die Nutzer:innen. Für die Software, nicht nur das Betriebssystem, benötigt das vernetzte Fahrzeug eine optimierte zonale Elektronikarchitektur und spezialisierte Rechner.

Ist die europäische Fahrzeugindustrie bei der Entwicklung der zentralen Komponenten Software und spezialisierter Hardware international auf Augenhöhe oder entsteht nach Chips und Batteriezellen eine neue Abhängigkeit? Wie viel europäische Kooperation von Firmen und in Forschungsprojekten sichert die Unabhängigkeit dieser wichtigen Leitbranche? Auf diese Fragen gibt es wohl keine allgemein gültige schnelle Antwort und doch ist das Rennen um die Vorherrschaft in der Mobilität eröffnet.

Digitalisierung sollte nicht nur als Technologie, sondern auch als eine Denkweise verstanden werden – von der Fahrzeugzentrierung zur Nutzerorientierung, von der Hardware zur Software. Für den deutschen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort ist eine langfristige Führungsposition im Fahrzeugbau nur in Verknüpfung mit einer entsprechenden Positionierung in der datengetriebenen Mobilitätswirtschaft möglich.

Eine Intensivierung und gegebenenfalls Bündelung der Forschungsförderung in diesem Themengebiet über den Zukunftsfonds Automobilwirtschaft hinaus ist wünschenswert. Baden-Württemberg setzt als stark vom Automobil abhängiges Bundesland wichtige Akzente. Im Strategiedialog Automobilwirtschaft BW arbeiten Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik gemeinsam an einer erfolgreichen Gestaltung der Transformation der Branche in den Schwerpunktfeldern Fahrzeug, Energie und Daten.

Zu den Fragen, welche Bedeutung den Daten künftig in der Automobilbranche zukommt und wie zukunftsfähige Geschäftsmodelle aussehen können, diskutiert Franz Loogen auch heute Abend bei der Veranstaltung „e-mobil BW connects“ in Stuttgart. 

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