„Metaverse“ ist eines der Schlagwörter der Stunde: Mehr Unternehmen denn je verweisen in ihren Finanzberichten darauf, die Investitionen des Unternehmens Meta sind ebenso berühmt wie berüchtigt und virtuelle 3D-Spiele- und Unterhaltungswelten verzeichnen millionenfachen Zulauf. Auch in der Politik ist das Thema angekommen. Die Europäische Kommission möchte sich Anfang 2023 näher mit dem Metaverse auseinandersetzen und in Deutschland befasst sich sowohl die Bundesregierung als auch heute in einer Anhörung der Bundestag damit. Weder Verbraucher:innen noch politische Entscheidungsträger:innen wie die Abgeordneten sollten sich allerdings von dem aktuell so beliebten Marketing-Begriff „Metaverse“ blenden lassen. Nicht alles, wo Metaverse draufsteht, ist eine wahrhaftige Internet-Revolution. Und für die Angebote, die schon jetzt Metaverseähnlich sind, sollten zunächst einmal, bestehende Gesetze angewendet werden.
Das/ein/kein
Metaverse?
Ob es ein Metaverse oder
mehrere Metaversen gibt oder geben wird, ist selbst unter Tech-Unternehmer:innen
umstritten. Ganz grundsätzlich fehlt eine tragfähige Definition des Begriffs
Metaverse. Für einige bezeichnet er eine umfassende Revolution des
Internets, für andere ist es erst einmal eine Weiterentwicklung der Art und
Weise, wie Menschen sich online bewegen – von „2D und stationär“ (PC) über „2D
und mobil“ (Smartphone) zu „3D und mobil“. Aktuell umspannt der Begriff sowohl
längst bekannte Anwendungsfälle als auch künftige Angebote, für die es noch
keine technischen Grundlagen gibt.
Ein Definitionsversuch, der diese Unschärfen gut veranschaulicht, stammt von Matthew Ball, der in seinem Buch zum Metaverse mit Begeisterung, aber auch realistisch auf das Thema blickt. Er beschreibt das Metaverse als riesige virtuelle 3D-Welt, die fast unbegrenzt viele Menschen andauernd und gleichzeitig erfahren können und in der Daten wie Identitäten oder Zahlungen kontinuierlich und interoperabel verfügbar sind. Ein wichtiger Teil dieser Definition existiert schon heute: Virtuelle 3D-Welten sind in (Online-)Games gang und gäbe. Auch bei medizinischen Operationen, beim Modellbau in der Architektur oder bei Wartungsarbeiten an Maschinen kommen bereits jetzt immersive Technologien der „extended reality“ (XR) zum Einsatz. Nur: Diese Anwendungen liefen lange nicht unter dem Schlagwort „Metaverse“, sondern unter XR oder „digital twinning“.
Andere Elemente des Metaverse in Balls
Definition sind allerdings Zukunftsmusik. Virtuelle 3D-Welten sind noch nicht
von Millionen Menschen gleichzeitig nutzbar: In Onlinespielen teilen sich meist
rund 100 Leute eine solche Welt. Selbst bei viel beachteten, riesigen
virtuellen Konzerten wie dem von Travis Scott auf Fortnite waren die 12,5
Millionen Zuschauenden technisch auf 250.000 Kopien des Konzerts verteilt. Für die Infrastruktur und die Engines,
die zum Beispiel für 3D-Renderings nötig sind, müssten unter anderem Bandbreite,
Hardware und Computing verbessert werden, um ein wahrhaftiges „Metaverse“ zu erschaffen,
ganz zu schweigen von Standards bei der Interoperabilität von Dateiformaten
oder Protokollen.
Abgesehen von
Industrieanwendungen sind daher „virtuelle 3D-Welten“, in denen Menschen
spielen, einkaufen, sich unterhalten (lassen) und vielleicht auch arbeiten,
aktuell das passendere Schlagwort. Diese nicht ganz zu visionäre Sichtweise soll
zukunftsweisende, faszinierende Weiterentwicklungen keinesfalls klein reden, und
ein nüchterner Blick auf das Phänomen sollte nicht bedeuten, dass sich Politik
und Gesellschaft nicht damit auseinandersetzen sollten. Im Gegenteil: Der Blick
in die fernere Zukunft ist wichtig und hilfreich. Für die nähere Zukunft gilt
aber, dass viele Metaverse-artige Angebote mit all ihren Chancen und Risiken
schon jetzt bekannt sind und Unternehmen und Aufsichtsstellen die Regeln entsprechend
anpassen sollten. Es geht also eher um eine Evolution als eine Revolution.
Bekannte Risiken treten
auch in 3D-Welten auf
Virtuelle 3D-Welten
bieten Potenziale für Teilhabe, Barrierefreiheit, neue Formen der Unterhaltung
und Kommunikation sowie auch der Arbeit. Damit gehen auch neuartige Risiken
einher, die heute noch schwer abzuschätzen sind. Eine lange Liste von Risiken, sind aus der physischen Welt und bisherigen Onlineerfahrungen
schmerzlich bekannt: Cyberbullying,
Überwachung durch Staat und Unternehmen, Spionage, Identitätsdiebstahl,
Betrügereien, Desinformation, negative Auswirkungen auf die mentale und
physische Gesundheit, Sucht, erniedrigende Arbeitsverhältnisse und mangelnder
Arbeitsschutz, digitalkolonialistische Tendenzen etwa in der Inhaltemoderation,
negative Auswirkungen auf die Umwelt, Monopolisierung und
Markteintrittsbarrieren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass solche Risiken
nicht auch in virtuellen 3D-Welten auftreten – es gibt längst Beispiele dafür.
Bestehende Gesetze versuchen,
viele dieser Risiken zu verringern: Für Games gelten unter anderem jugendschutz-
und medienrechtliche Regeln. Gesetze zum Verbraucher:innenschutz und der
IT-Sicherheit kommen online ebenso zum Tragen wie die
Datenschutz-Grundverordnung. Hinzu kommt nun ein neues legislatives Schwergewicht:
Das Digitale-Dienste-Gesetz der EU („Digital Services Act“, DSA) wird ab nächstem
Jahr wirksam. Diskutiert werden hauptsächlich seine Auswirkungen auf
Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube. Nun gilt es, das erklärte Ziel
des DSA – ein sicheres und transparentes Onlineumfeld zu schaffen – eben nicht nur auf solche Angebote
des mobilen 2D-Internets, sondern auch auf virtuelle 3D-Onlinewelten
anzuwenden. Kann das gelingen?
Der DSA kann Risiken
minimieren – wenn er gut umgesetzt wird
Zunächst muss geklärt
werden, ob der DSA für virtuelle 3D-Welten gilt. Die Definitionen im Gesetz
sind offenkundig sehr stark auf bestehende Onlineplattformen und Suchmaschinen
gemünzt. Aber er erfasst auch Games. Zwar gab es in der Branche Unmut über unklare Begrifflichkeiten, doch dass der DSA
grundsätzlich anwendbar ist, steht außer Frage. Das kann als Anhaltspunkt
dienen, dass abgesehen von Games auch andere virtuelle 3D-Welten vom DSA
erfasst sind, mindestens als „Vermittlungsdienst“, oft auch als
„Onlineplattform“. Wünschenswert wäre, dass Gesetzgeber, Behörden und Gerichte langfristig
klarer abstecken, inwieweit virtuelle 3D-Welten in den Geltungsbereich des DSA fallen.
In einem ersten Schritt könnten Aufsichtsbehörden etwa mit Leitlinien
zeigen, dass sie das Thema auf dem Schirm haben.
Einige der wichtigsten
Vorgaben des DSA lassen sich auf virtuelle 3D-Welten übertragen, müssten aber
gegebenenfalls nachjustiert werden. Beispiele hierfür finden sich in den Regeln
zu Inhaltemoderation, Werbung und irreführendem Design.
Der DSA gibt keine Regeln
für die Moderation oder Löschung einzelner Inhalte vor, sondern verfolgt den
Ansatz, Transparenz bei AGB und Meldewegen herzustellen. Das ist prinzipiell
gut mit virtuellen 3D-Welten vereinbar. Bei genauerem Hinsehen wird zwar
schnell deutlich, dass der DSA unter dem Eindruck statischer 2D-Inhalte
verfasst wurde, aber es besteht Hoffnung, dass die Vorgaben offen genug
formuliert sind, um auch darüber hinaus zu gelten.
Ein Beispiel hierfür ist
Artikel 16 zu den Meldeverfahren für möglicherweise illegale Inhalte. Nutzende
sollen die Möglichkeit haben, einen „genauen elektronischen Speicherort“ wie
eine URL für die Meldung angeben zu können. Das ist für virtuelle 3D-Welten
vermutlich unpassend, da es keine URL wie bei einem Post in einem sozialen
Netzwerk gibt. Doch der DSA fügt an, dass je nach Art der Inhalte und des
Hostingdiensts auch andere „zweckdienliche Angaben“ gemacht werden können.
Dieser Zusatz öffnet die Tür für eine Anwendung auf 3D-Welten. Hier wäre für
die erste Evaluation des DSA eine Klarstellung hilfreich. Offen bleibt dann
weiterhin, wie sinnvoll eine Meldung etwa zu einer Beleidigung ist, die „live“ auf
einem virtuellen 3D-Konzert passiert ist, anschließend aber nicht (wie ein
Post) weiterhin verfügbar ist. Doch auch hierfür gibt es bereits Vorbilder
fernab der Metaverse-Diskussion, beispielsweise die Moderation von Kommentaren
bei Live-Streams.
Ein wichtiges Anliegen
des DSA ist Transparenz, gerade bei Onlinewerbung. Die Formulierung, dass Onlineplattformen
„in klarer, präziser und eindeutiger Weise und in Echtzeit“ (Artikel 26(1))
anzeigen müssen, ob es sich bei Inhalten um Werbung handelt, sollte auch für
virtuelle 3D-Welten anwendbar sein – wenn diese als Onlineplattform gelten.
Unternehmen müssten dann eine Lösung finden, wie die Vorgabe in 3D-Umgebungen praktisch
umgesetzt werden kann. Ebenfalls müssten wohl Datenbanken zu Onlinewerbung, wie
sie der DSA für sehr große Onlineplattformen vorsieht, angepasst werden. Aktuelle
Versionen davon sind stark auf statische 2D-Werbung ausgerichtet.
Ein Gebiet, auf dem der
DSA nachjustiert werden müsste, sind die Regeln zu irreführendem Design. Das Verbot
von irreführendem Design ist ohnehin schwach, da der DSA jenseits bestehender
Verbraucher:innen- und Datenschutzgesetzen kaum weiterführende Regeln bietet. In
virtuellen 3D-Welten werden vermutlich irreführende Designpraktiken auftreten,
die aktuell noch gar nicht bekannt oder zumindest noch nicht weit verbreitet
sind. Bislang geht es bei „deceptive design“ oft um Schaltflächen, Pop-Ups oder
Schriftarten. Aufgrund der virtuellen 3D-Umgebung könnten aber weitere
Möglichkeiten der Täuschung durch Design hinzukommen. Diese müssen deutlich
klarer definiert und vom DSA oder anderen verbraucher:innenschutzrechtlichenGesetzeswerken abgedeckt
werden. Artikel 25(3) des DSA sieht vor, dass die Kommission Leitlinien zu
irreführendem Design erlassen darf. Diese Möglichkeit sollte so gut es geht
ausgeschöpft werden, um irreführende Designpraktiken in virtuellen 3D-Welten einzuschränken.
Das sollte sich nicht nur auf die drei im Artikel genannten Beispiele beziehen.
Kommission und DSCs
müssen aktiv werden
Die hier nur flüchtig
angerissenen Beispiele zum DSA zeigen: Die Rede vom Metaverse sollte nicht
davon ablenken, dass etliche Regeln für virtuelle 3D-Welten bereits vorhanden
sind. Es darf sich kein Märchen vom „Metaverse als rechtsfreiem Raum“
verbreiten, so wie lange fälschlicherweise von „Plattformen als
rechtsfreien Räumen“ gesprochen wurde. Das schafft nur Anreize für Unternehmen,
die Regeln im Alleingang festzulegen. Vielmehr obliegt es den Unternehmen, ihre
Praktiken zur Inhaltemoderation, Transparenzmaßnahmen oder Meldewege laut
bestehenden Regeln an virtuelle 3D-Welten anzupassen. Meta erprobt beispielsweise
in seiner virtuellen 3D-Welt „Horizon Worlds“ Techniken der Inhaltemoderation,
die sich vom klassischen Facebook unterscheiden, etwa „Safe Zones“, in die sich eine Person zurückziehen kann.
Es sollte aber nicht
allein den Unternehmen überlassen sein, die nötigen Anpassungen auf
3D-Onlineerlebnisse zu entwickeln oder zu testen (und das vor allem nicht erst nach
einer Produkteinführung). Die Europäische Kommission sowie die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste („Digital Services Coordinators“, DSC), die
gemeinsam für die Durchsetzung des DSA zuständig sind, müssen als aktive Aufsichtsgremien
im Sinne der Verbraucher:innen auftreten. Dafür müssen zum einen Fachwissen
und Kapazitäten aufgebaut werden. Zum anderen muss grundsätzlich die Motivation
vorhanden sein, sich mit Technologien auseinanderzusetzen, die vielleicht nicht
exakt im Wortlaut des DSA verschriftlicht sind, aber keinesfalls vernachlässigt
werden dürfen, wenn ein „transparentes und sicheres Onlineumfeld“ geschaffen
werden soll.
Gerade vor diesem
Hintergrund wird deutlich, wie wichtig starke, unabhängige, gut mit
Wissenschaft und Zivilgesellschaft vernetzte Aufsichtsbehörden in der EU sein werden.
Statt sich nur auf Unternehmen oder jahrelange Gerichtsverfahren zu verlassen, sollten
Kommission und DSCs in Zusammenarbeit mit externen Fachleuten Klarheit
schaffen, für wen und wie der DSA in virtuellen 3D-Welten gilt.
Julian Jaursch ist Projektleiter beim gemeinnützigen Think Tank Stiftung
Neue Verantwortung (SNV) und befasst sich dort unter anderem mit Plattformregulierung.
Er war als Sachverständiger zu regulatorischen und gesellschaftspolitischen
Fragen zum Metaverse zur heutigen Anhörung im Bundestag zu „Web 3.0 und
Metaverse“ geladen, kann aber nicht teilnehmen.