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Standpunkte Die EU ist im Kampf gegen Russlands Troll-Armeen gefordert

Péter Krekó (mit den Co-Autoren Csaba Molnar und Lóránt Győri) vom Political Capital Institute in Budapest
Péter Krekó (mit den Co-Autoren Csaba Molnar und Lóránt Győri) vom Political Capital Institute in Budapest Foto: Political Capital Institute

Die Troll-Truppen des Kremls haben ihre desinformativen Aktivitäten seit Russlands Überfall auf die Ukraine verstärkt und gehen länderspezifisch vor. Wie, das haben Péter Krekó, Csaba Molnar und Lóránt Győri vom Political Capital Institute in Budapest in einer Studie analysiert. Im Standpunkt fordern sie mehr EU-Regularien abseits des DSA gegen Troll-Armeen und entschiedenes Vorgehen der Medienunternehmen.

von Péter Krekó

veröffentlicht am 05.12.2022

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Der Einsatz von „Troll-Armeen“ ist mittlerweile ein zentraler Bestandteil der Desinformationsstrategie des Kremls. Erstmals wurden sie im Jahr 2016 manifest, als das Unternehmen Internet Research Agency des Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin Tausende von Mitarbeitern in einer St. Petersburger „Troll-Farm“ beschäftigte, um in wichtige Wahlen einzugreifen, nicht zuletzt in das US-Präsidentschaftsrennen.

Inzwischen sind die Troll-Truppen in weitaus höherer Größenordnung aktiv und auch ein Teil von Russlands Invasion in der Ukraine. Sie sind dabei freilich nicht mehr so leicht zu erkennen, nachdem die etablierten Desinformationsmedien Sputnik und RT durch Geoblocking eingeschränkt und ihre Inhalte von den weltweit größten Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook und Youtube entfernt wurden.

Eine von der britischen Regierung im Mai 2022 veröffentlichte Studie zeigt, dass Russland seine Troll-Armee seit dem Ukraine-Einmarsch am 24. Februar ausgebaut hat. Eine neue Troll-Armee, die mit Prigoschin – dem Gründer der russischen Söldnerorganisation Wagner Group – in Verbindung steht, habe den Kriegsschauplatz betreten, lautete die Warnung.

Öffentliche Meinung zum Ukraine-Krieg soll manipuliert werden

Neben Angriffen auf Mainstream-Medien oder führende Politiker wie den damaligen britischen Premierminister Boris Johnson und Bundeskanzler Olaf Scholz konzentrieren sich die Troll-Aktivitäten auf die Manipulation der öffentlichen Meinung, indem sie in vielen Social-Media-Plattformen ihre Desinformationsbotschaften in die Kommentarbereiche platzieren.

So konnten Wissenschaftler von Meta im August nachweisen, dass Kriegs-Trolle der „Cyber Front Z“ mit Prigoschins Troll-Fabrik in Verbindung stehen. Eine am 6. November veröffentlichte Studie zeigte, dass „überwinterte“ Social-Media-Konten, die einst mit der IRA in Verbindung standen, wieder aktiv wurden, um im Vorfeld der Midterm-Wahlen in den USA Präsident Bidens Umgang mit der Ukraine-Krise anzugreifen.

Mittels einer Kombination aus algorithmengestütztem Text-Mining und qualitativer Analyse hat unsere Denkfabrik Political Capital die Aktivierung von Troll-Konten und ihre Kommunikationsstrategien nach dem Ukraine-Einmarsch in den V4-Ländern, Deutschland, Italien und Rumänien verfolgt und analysiert. Die wiederholte Verwendung von Archivbildern und die spezifischen Posting-Muster, bei denen derselbe Kommentar wortwörtlich in Threads auf Facebook erneut gepostet wird, enthüllten die Muster inauthentischen Verhaltens. Unser Team untersuchte sich wiederholende Texte, die mindestens fünf Wörter lang waren und mindestens 200 Mal auf Social-Media-Kanälen gepostet wurden. Dies brachte eine Reihe von Erkenntnissen zu Tage.

Zunächst haben wir bei unserer Untersuchung der V4-Länder bemerkenswerte länderspezifische Unterschiede bei den Aktivitäten und Narrativen festgestellt. In Ungarn und der Tschechischen Republik stellten wir beispielsweise eine große Anzahl vergleichbarer Botschaften fest, die sich an kremlfreundlichen Narrativen orientierten.

Von den fünf in beiden Ländern verbreiteten Narrativen konzentrierten sich drei auf (1.) die Behauptung, die Ukraine begehe einen Völkermord im Donbas, (2.) eine angebliche Machtübernahme von Neonazis in der Ukraine oder (3.) die Behauptung, die Ukraine sei kein echter Staat. In Polen würde eine solche Taktik jedoch aufgrund der weit verbreiteten Ressentiments gegenüber Russland nicht funktionieren. Dort strebten die Botschaften an, geopolitische Sicherheitsbedenken zu schüren, indem sie suggerierten, dass die regierende PiS-Partei die nationalen Sicherheitsbemühungen nicht im Griff habe und dass Polen durch die Zusammenarbeit mit der NATO in den Krieg hineingezogen werden könnte.

Schüren von Schuldgefühlen als Strategie in Deutschland

In Deutschland konzentrierte sich die Strategie der Trolle auf eine Verstärkung des Schuldgefühls in der deutschen Öffentlichkeit, mit dem zentralen Narrativ, den Krieg als Konflikt zwischen Russland und dem Westen (USA und NATO) umzudeuten. Dabei lag der Schwerpunkt auf den angeblichen westlichen Verstößen gegen Versprechungen, die der Sowjetunion und Russland in Bezug auf die Erweiterung der NATO gemacht worden seien.

Zweitens stellten wir fest, dass viele dieser falschen Geschichten ihren Ursprung in Moskau haben. Drei Botschaften, die von den Trollen in Ungarn nachgeplappert werden, ließen sich leicht als solche identifizieren. Dazu gehören: „die Ukraine existiert nicht“, „die neue diktatorische Weltordnung der NATO“ und die „letzten acht Jahre des Völkermords im Donbass“. Die erste dieser Meldungen stammte von einer Organisation, die in Verbindung mit dem putinfreundlichen ukrainischen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk steht und als Nachrichtenquelle die „Nachrichtenagentur“ der Separatisten angab. Eine AFP-Recherche ergab, dass dieselbe Meldung auch in griechischer, deutscher, englischer und bulgarischer Sprache verbreitet wurde.

Auch das Mainstreaming von Kreml-Nachrichten hat in Teilen zugenommen. Unsere Untersuchung zeigt, dass die Kreml-Falschmeldungen in populären Medien und Sendungen – wie beispielsweise RTL, RTL Aktuell, Sat1 oder ZDF Heute – Verbreitung finden, die in ihren jeweiligen Ländern ein großes Publikum haben. Es gelang ihnen zudem, in bestimmten Ländern zu sympathisierenden politischen Instanzen vorzudringen.

So wurde etwa in Ungarn in Meinungsbeiträgen regierungsnaher Mainstream-Medien die falsche Behauptung wiederholt, dass an der russischen oder ungarischen Minderheit ein „Völkermord“ oder „Ethnozid“ begangen worden sei – unter Verweis auf einen langjährigen diplomatischen Konflikt zwischen Kiew und Budapest über die Sprachenrechte von Minderheiten. Aber auch Politiker der deutschen AfD, der rumänischen Sozialdemokraten, der tschechischen Trikolor-Partei sowie Robert Fico in der Slowakei gaben den Kreml-Narrativen Auftrieb.

Die EU muss gesetzgeberisch verstärkt gegen Troll-Truppen vorgehen

Unsere Bemühungen, Troll-Aktivitäten aufzudecken, gelangen letztendlich durch ihre Fehler. So stellten wir beispielsweise in mehreren Fällen fest, dass vermeintlich slowakische Facebook-Nutzer tschechische Facebook-Seiten in ungarischer Sprache kommentierten, dass italienische Profile auf kolumbianischen Facebook-Seiten in deren eigener Sprache kommentierten et cetera.

Noch aufschlussreicher waren Profile, die offenkundige Pro- und Anti-Kreml-Narrative parallel verbreiteten. Diese Fehler deuten darauf hin, dass die russische Quelle, die hinter diesen Profilen steht, vergessen hat, die Konten zu wechseln, bevor sie sich in einen anderen Rechtsraum begab. Wir stellten außerdem fest, dass es sich bei der Verbreitung dieser Narrative besonders häufig um gefälschte und gestohlene Profile handelte.

Das Ausmaß russischer Troll-Aktivitäten in Europa sollte politische Verantwortliche und die breite Bevölkerung gleichermaßen beunruhigen. Inauthentische Online-Beeinflussungsaktionen lassen sich leicht und kostengünstig umsetzen. Daher ist es dringend erforderlich, dass die EU – über das „Gesetz über digitale Dienste“ (Digital Services Act, DSA) hinaus – adäquate Rechtsvorschriften schafft und technische Kapazitäten zur besseren Erkennung von inauthentischem Online-Verhalten entwickelt.

Der wahre Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch direkt bei den Medienunternehmen und ihrem Interesse an einer transparenten Bekämpfung nicht authentischer Netzwerke. Die europäischen Gesetzgeber sollten es zu einer ihrer Hauptaufgaben machen, dafür zu sorgen, dass die Plattformen den Forderungen zur Unterbindung von Desinformation zügig nachkommen und zudem eigene Methoden zur Bekämpfung von Trollaktivitäten einführen.

Aus dem Englischen von Ingo J. Biermann

Der Ökonom und Politiwissenschaftler Péter Krekó ist Direktor des Political Capital Institute in Budapest. Csaba Molnár ist Mitglied der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Lóránt Győri ist geopolitischer Analyst beim Political Capital Institute.

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