Die Diskussion zur Einrichtung der im AI Act und im Data Act vorgegebenen Aufsichtsstrukturen laufen derzeit auf Hochtouren. Vor einer Woche haben wir im Rahmen des KI-Kongresses der grünen Bundestagsfraktion ein Forum dazu veranstaltet. Am Mittwoch hat sich der Ausschuss für Digitales damit befasst, am 15. Mai gibt es eine weitere öffentliche Anhörung dazu. Und heute wird schließlich das Digitale-Dienste-Gesetz zur Einrichtung und Organisation der nationalen Koordinierungsstelle nach den Vorgaben des Digital Services Act im Bundesrat verabschiedet.
Die Stimmen mehren sich, gerade aus den Ampelfraktionen, dass angesichts der vielen neuen Aufgaben der Aufbau einer Digitalagentur sinnvoll sei. Als Grüne hatten wir uns bereits während der Verhandlungen des Digital Services Act dafür starkgemacht, dass auf EU-Ebene eine eigene Agentur aufgebaut wird. Denn Unabhängigkeit ist eine Anforderung, die die Europäische Union an mitgliedsstaatliche Regulierungsbehörden stellt – im Datenschutz, aber auch im Energiebereich und nun auch im Zusammenhang mit den zahlreichen neuen europäischen Digitalgesetzen, darunter DSA, AI Act und Data Act. Eine neue Digitalagentur braucht zwar eigene Ressourcen, die bekanntlich knapp sind, und Zeit für den Aufbau. Dennoch sollte diese weiterhin unser Ziel sein – in Deutschland ebenso wie auf EU-Ebene.
Aufbau der aktuellen Digitalaufsicht in Deutschland unter Zeitdruck
Aktuell erwarten Verbraucher:innen und Unternehmen, dass sie in Deutschland zeitnah einen zuverlässigen Ansprechpartner für den neuen Rechtsrahmen haben. Im Digital-Dienste-Gesetz haben wir deshalb die Koordinierungsstelle für Digitale Dienste innerhalb der Bundesnetzagentur verankert, damit sie möglichst schnell arbeitsfähig ist. Mit ihrer Eigenschaft als unabhängiger Entscheidungsstrang haben wir aber auch den Grundstein für eine künftige Ausgliederung in eine eigenständige Digitalagentur gelegt.
Der ursprünglich für die übergangsweise, sektorspezifische Regulierung der Telekommunikation gegründeten Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post wurden weitere Netzwirtschaften übertragen, darunter Energie und Eisenbahnen. Allein im Digitalbereich reguliert die 2005 in Bundesnetzagentur umbenannte Behörde heute die Telekommunikationsnetze, stellt die Netzneutralität sicher, überprüft elektronische Vertrauensdienste und beteiligt sich nunmehr an der europaweiten Aufsicht über die Plattformen. Mit dem Deutschen Marktüberwachungsforum betreut sie zudem einen zentralen Ort des sektorübergreifenden Wissensaustauschs, der auch für die Durchsetzung des AI Acts relevant sein wird.
Neues Know-how gefragt – technisch, aber auch gesellschaftlich
AI Act, DSA und Data Act fordern allerdings neues Know-how in neuen Märkten: erstens technisch, also in Bezug auf die Funktionsweise von Plattformen, die neuen Standards und Konformitätsüberprüfungen von KI-Systemen oder die Interoperabilität zwischen Datenräumen. Zweitens geht es um gesellschaftliches und stark kontextabhängiges Erfahrungswissen. Denn das Ziel der europäischen Digitalregulierungen ist ein eng verknüpfter Binnenmarkt, in dem die Einhaltung der Menschenwürde, der Schutz der Privatsphäre und vor Diskriminierung, die Garantie der Meinungsfreiheit, ja die Einhaltung der Grundrechte insgesamt kontinuierlich überprüft werden.
Es ist daher absehbar, dass eine Digitalagentur in zentralen gesellschaftlichen Fragen auch großem gesellschaftlichem Druck ausgesetzt sein wird. Sie muss daher so strukturiert und ausgestattet sein, dass sie diesem standhalten kann und gleichzeitig mit den unterschiedlichen Stakeholdern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft im Austausch steht. Im Digitale-Dienste-Gesetz haben wir für diesen geregelten Austausch einen pluralistisch besetzten Beirat mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft eingerichtet.
Auf EU-Ebene ist die Aufsicht über systemische Risiken zentral angelegt. Das ist nachvollziehbar, da sowohl Plattformen als auch Sprachmodelle in der nun regulierten Größenordnung von einigen wenigen großen Akteuren und damit grenzüberschreitend nahezu identisch angeboten werden. Eine zentrale Aufsicht erhöht damit zumindest die Compliance-Wahrscheinlichkeit allein aufgrund der Größe des Binnenmarkts. Und nicht zuletzt gab es auf EU-Ebene historisch keine eigenen Aufsichtsstrukturen für diese Fragen.
Horizontale Strukturen für horizontale Regulierungen
In Deutschland liegt eine Herausforderung darin, dass die neuen Regulierungsstrukturen bestehende berühren oder sogar darauf aufbauen. Das gilt hierzulande für die – in den meisten Produktsektoren dezentral strukturierte – Marktüberwachung im Fall des AI Acts und zuvor auch für die Inhalteregulierung im Fall des DSA, die als Länderkompetenz in die Aufsichtsstruktur eingebunden werden konnte. Ein One-Stop-Shop ist dennoch möglich, zentralisiert er doch nicht die Kompetenzen, sondern die Kommunikation.
Die Umsetzung der horizontalen EU-Digitalgesetze wird den Föderalismus nicht grundsätzlich infrage stellen können, es würden lange Grundsatzdebatten mit ungewissem Ausgang drohen. Daher wird derzeit eingehend geprüft, inwiefern sektorale und bereits bestehende Behörden in die neuen Aufsichtsstrukturen eingebunden werden können. Das hätte auch den Vorteil, dass dadurch teilweise schon Personal und Ressourcen verfügbar sind und an gelebte Praxis angeknüpft werden kann.
Dennoch ist gerade mit Blick auf die Zusammenarbeit auf EU-Ebene wichtig, dass DSA, AI Act und Data Act von einer Behörde auf Bundesebene als Koordinierungsstelle betreut werden, die jedoch nicht alle Regulierungsentscheidung allein trifft oder treffen kann. Eine vorsichtige und gezielte Bündelung von bestimmtem gesellschaftlichem, aber auch technischem, sektorübergreifenden Know-how in dieser Koordinierungsstelle kann allerdings effizient sein, auch um die richtigen Fachkräfte gewinnen zu können.
Eine Digitalagentur als Koordinierungs-, Analyse- und Wissenstransfer-Stelle
Eine Digitalagentur, die diese Koordinierungs- und Know-how-Funktionen übernimmt, kann auch mit dem Netzwerk der Digitalagenturen aus Berlin, Niedersachsen, Thüringen und weiteren Ländern zusammenarbeiten, die den Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft fördern sollen. Sie könnte darüber hinaus eigene Analyseabteilungen haben, die bestimmtes Wissen an weitere zuständige Behörden weitergeben oder auch von diesen beauftragt werden können. Es ist durchaus denkbar, dass datenbasierte Überprüfungen der Einhaltung von Umweltregelungen oder anderen gesetzlichen Rahmen durch diese Abteilungen auch unterstützt werden können. Die Digitalagentur würde also neben der Koordinierungsfunktion im Rahmen von DSA, AI Act und Data Act auch als eine Art gemeinsame Analyse- und Wissenstransferstelle für andere Akteure fungieren.
Gäbe es eine breit getragene und frühzeitige politische Einigung auf den Aufbau der Digitalagentur, dann könnten auch die Datenlabore in Ressorts und nachgeordneten Behörden perspektivisch dahin überführt werden. Viele davon sind aktuell bis 2025 befristet, es droht also schon bald ein schmerzhafter Verlust von gerade erst aufgebauter Digitalkompetenz in der Bundesverwaltung. Realistisch gesehen wird der Aufbau einer Digitalagentur in Deutschland allerdings auch mit dem Ressortprinzip zu vereinbaren sein müssen. Diese Einsicht würde wohl früher oder später zu einer Debatte über ein zentralisierteres Digitalministerium mit eigenem Einzelplan führen.
Die Netzpolitikerin Tabea Rößner (Grüne) ist Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag und Mitglied im Beirat der Bundesnetzagentur.