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Digitalisierung & KI

Standpunkte KI muss gemeinwohlorientiert und solidarisch sein

Jessica Tatti, Sprecherin für Arbeit 4.0 der Linken-Bundestagsfraktion
Jessica Tatti, Sprecherin für Arbeit 4.0 der Linken-Bundestagsfraktion Foto: Fraktion Die Linke

Statt sich bei der KI-Politik auf wirtschaftliche Verwertungslogiken zu konzentrieren, sollten wir die Technologie so regulieren, dass sie den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer gerechteren und sozialeren Gesellschaft verstärkt. Neben Besteuerung und Entzerrung der Monopole braucht es dazu eine Kehrtwende der Förderpolitik, sagt Jessica Tatti.

von Jessica Tatti

veröffentlicht am 08.03.2021

aktualisiert am 04.01.2023

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Wir wissen heute nicht, wie wir in einer Generation leben und arbeiten werden. Die Entscheidungen von heute bringen uns einer wünschenswerten Zukunft entweder näher – oder entfernen uns davon. Ich will in einer Zukunft leben, in der die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI) genutzt, aber deren Risiken erfolgreich abgewendet werden. Ich bestreite, dass wir uns schon auf diesem Entwicklungsweg befinden. Eine gute Zukunft muss erkämpft werden.

2050: Gute Arbeit und gutes Leben in einer nachhaltigen Wirtschaft

In einer Generation später: Es ist gelungen, unsere Lebens- und Produktionsweise radikal hin zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft umzubauen. Die Wirtschaft ist nicht an blindem Wettbewerb, Wachstumsphantasien und Profitgier ausgerichtet, sondern daran, dass das Leben aller an Sicherheit und Qualität gewinnt. Eine flächendeckende digitale Infrastruktur ist selbstverständlicher Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Im Zentrum steht das Interesse der ganzen Gesellschaft: das Gemeinwohl. Ein Wert, der heute völlig zu Unrecht verstaubt und wie aus der Zeit gefallen scheint. Der notwendigen Wiederbelebung des Gemeinwohlgedankens kommen wir nicht durch neue Blockbildungen näher, sondern mit mehr Kooperation und einem „Race for the Good“. Die Welt ist 2050 weniger ungleich und ungerecht, weniger zerstörerisch und kriegerisch. Anstatt dessen haben wir an individuellem Wohlbefinden, gesellschaftlicher Liberalität und politischer Freiheit gewonnen.

KI als Werkzeug für die sozial-ökologische Transformation

Künstliche Intelligenz ist kein automatisierter Heilsbringer. Technologien bestimmen nicht unsere Zukunft. Sie sind Mittel zum Zweck, um zu erreichen, was politisch und wirtschaftlich gewollt ist. KI sollte daher weder unkritisch bejubelt noch vehement abgelehnt werden. Vielmehr ist es Aufgabe von Politik, sowohl die Entwicklung als auch den Einsatz von KI zu beeinflussen. Eine Politik, die weder gezielt fördert noch wirksam reguliert, gestaltet nicht, sondern überlässt fahrlässig den Kräften des Marktes, wie unsere Zukunft aussieht.

Nach aktuellem Forschungsstand wird auch bei intensivem Einsatz von Künstlicher Intelligenz Erwerbsarbeit nicht verschwinden. Sie verlagert sich aber weg von Produktion und Verwaltung hin zu mehr Stellen im Service, in Erziehung, Bildung und Pflege. Es braucht den gesellschaftlichen Konsens, dass diese Bereiche besser entlohnt werden und ihre verdiente Anerkennung erfahren. KI könnte von schwerer und eintöniger Arbeit entlasten, ebenso aber bei falschem Einsatz zu mehr Stress und Arbeitsverdichtung führen. Unternehmen, die eine hohe Wertschöpfung mit wenig Arbeitskraft erreichen, müssen stärker besteuert werden als solche, die eine geringe betriebswirtschaftliche Rendite erzielen, aber viel zum Gemeinwohl beitragen. So kann die Polarisierung von Einkommen und Vermögen, die durch Digitalisierung und KI verstärkt wird, endlich bekämpft werden.

Künstliche Intelligenz – gezielt fördern, wirksam regulieren

Anstatt die Förderpolitik an einzelnen Technologien oder kurzfristigen Geschäftsinteressen auszurichten, braucht es eine konsequente Kehrtwende: Gefördert wird KI, wenn sie der sozial-ökologischen Transformation dient. KI kann dazu einen Beitrag leisten: mit smarten Energienetzen, mit einem vernetzten Mobilitätssystem, das kostengünstig, klimaneutral, bequem und barrierefrei ist. So wird europäische KI eine weltweite Vorbildfunktion für gemeinwohlorientierte Zukunftstechnologien einnehmen. Anstatt wenige Tech-Konzerne zu riesigen Monopolisten anzufüttern, müssen die Bedürfnisse der Bevölkerung nach sozialer Sicherheit und intakten Lebensgrundlagen das Hauptanliegen staatlicher Förderpolitik werden.

Wenn wir uns die Visionen der Tech-Vordenker anschauen, wird klar, dass wir nicht abwarten und Tee trinken dürfen, während Künstliche Intelligenz in wilden Feldversuchen etabliert wird. Das ist brandgefährlich: Hier kontrolliert und bewertet KI Schulkinder, überwacht Beschäftigte und die gesamte Bevölkerung, ohne Unterlass und überall. Ich setze mich für einen gesetzlichen Rahmen ein, der festlegt, wie KI als Hochrisikotechnologie eingesetzt werden darf – oder wie nicht. Als Startpunkt dafür halte ich ein Risikoklassenmodell für geeignet, wie es auch die Datenethikkommission vorschlägt.

Bei Künstlicher Intelligenz geht es um ein Machtverhältnis. Nicht zwischen Mensch und Maschine, sondern zwischen Menschen

Die aktuelle KI-Politik konzentriert sich auf wirtschaftliche Verwertungslogiken und die Neuformierung geopolitischer Machtblöcke. Das ist fatal. Es ist höchste Zeit, eine verbindliche Regulierung von KI und gemeinwohlorientierte Investitionsprogramme aufzusetzen, die die Verzerrung zugunsten der Finanzmärkte und Tech-Konzerne korrigieren. Das ist keine technische Frage. Sondern die Frage, in welcher Zukunft wir leben wollen.

Jessica Tatti ist Sprecherin für Arbeit 4.0 der Fraktion Die Linke im Bundestag und war Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“.

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