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Digitalisierung & KI

Standpunkte Leuchttürme wachsen nicht auf Förder-Ruinen

Franziska Teubert & Christoph Stresing, Start-up-Verband
Franziska Teubert & Christoph Stresing, Start-up-Verband Foto: Startup-Verband

Mit dem Programm Start-up-Factories will der Bund Gründerschmieden an Unis nach dem Vorbild der erfolgreichen Münchner UnternehmerTUM fördern. Doch zwischen Bund, Ländern und dem Bundesrechnungshof gibt es unterschiedliche Ansichten zur Finanzierbarkeit. Man sollte Spitzenförderung und Breitenförderung nicht gegeneinander ausspielen, meinen die Geschäftsführer vom Start-up-Verband, Franziska Teubert und Christoph Stresing. Sonst leidet der Innovationsstandort.

von Franziska Teubert & Christoph Stresing

veröffentlicht am 28.06.2023

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Was verbindet Leuchttürme und Start-ups? Nach dem Willen der Bundesregierung bald eine ganze Menge: Denn mit dem Leuchtturmwettbewerb „Start-up-Factories“ will die Ampel-Regierung „fünf bis zehn überregional und international sichtbare Start-up-Factories als Leuchttürme etablieren“.

Als Leitbild für das Projekt dient die in München ansässige UnternehmerTUM. Dort wurde im klugen Zusammenspiel von privaten Playern und staatlichen Akteuren in den vergangenen 20 Jahren das größte Zentrum für Gründungen und Innovationen in Europa geschaffen. Das Gründerzentrum an der TU München mit mehr als 300 Mitarbeitenden hat sich zum Treiber und Maßstab für Start-up-Gründungen aus dem universitären Umfeld entwickelt. Unter anderem erfolgreiche Scaleups wie Flix, Celonis oder Isar Aerospace sind aus der UnternehmerTUM heraus entstanden und befeuern das wachsende bayerische Start-up-Ökosystem. Statistisch gesehen wird dort jede Woche ein neues Start-up gegründet. Damit ist mit der UnternehmerTUM ein Start-up-Leuchtturm im Süden Deutschlands entstanden, dessen Signale weit über Bayerns Grenzen hinaus wahrgenommen werden und die Wirtschaftskraft einer ganzen Region signifikant gesteigert hat.

Deutschland hat ein Transferproblem

Die Idee, weitere dieser Start-up-Factories mit der Strahlkraft eines Leuchtturms zu schaffen, ist eines der Kernelemente der im vergangenen Sommer erstmals verabschiedeten Start-up-Strategie der Bundesregierung. Das ist auch dringend nötig. Denn trotz erfolgreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen und Weltklassepatenten bleibt Deutschland beim Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen weit hinter anderen führenden Ländern wie zum Beispiel den USA zurück.

Am Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) ein Blick in die Zahlen: Deutschland hat von 2015 bis 2019 pro 10 Millionen Einwohner rund 3000 KI-Publikationen vorzuweisen. In den USA waren es im Vergleichszeitraum mit 3500 in etwa gleich viel. Im Jahr 2021 wurden hierzulande allerdings pro 10 Millionen nur drei KI-Start-ups neu finanziert – in den USA waren es dreimal so viele! Das zeigt: Je weiter die Entwicklung von der wissenschaftlichen Veröffentlichung bis zum marktfähigen Produkt oder Dienstleistung voranschreitet, desto stärker lässt die USA Deutschland hinter sich.

Der Handlungsbedarf wird angesichts der seit Jahren rückläufigen Start-up-Gründungen im Bereich der Wissenswirtschaft in Deutschland noch deutlicher. Besonders betroffen sind wissensintensive Dienstleistungen und die Industrie, die in besonderem Maße auf Forschung und Entwicklung angewiesen ist. Die jährliche Anzahl an Gründungen je 10.000 Erwerbstätige in der Wissenswirtschaft ging in den vergangenen 20 Jahren in den alten Ländern von 6,9 auf 4,2 zurück und in den neuen Ländern von 5,7 auf 3,7.

Warum die Finanzierung klappen muss

Nachdem das federführende Bundeswirtschaftsministerium mithilfe einer externen Expertengruppe bereits die Ausrichtung und das Verfahren des Wettbewerbs erarbeitet hat, ist vor Kurzem die sogenannte Aktivierungsphase des Projektes gestartet. Nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren sollen Anfang 2025 die Hochschulen oder Hochschulverbunde in die Umsetzung des auf fünf Jahre begrenzten Projektes gehen. Finanziert werden sollen die Start-up-Factories zur Hälfte vom Bund und zur anderen Hälfte über private Partner aus der Wirtschaft. Maßgeblich ist dabei, dass die künftigen Start-up-Factories selbst nach unternehmerischen Grundsätzen agieren müssen. Das ist ein entscheidendes Kriterium, um den nachhaltigen Erfolg der Start-up-Factories zu gewährleisten.

Nach dem erfolgreichen Startschuss des Projektes mit mehreren Dutzenden interessierten Hochschulen aus dem gesamten Bundesgebiet ist jetzt entscheidend, dass die Bundesregierung die Finanzierung für den kompletten Förderzeitraum gewährleistet. Im Vergleich zu den zugesagten knapp zweistelligen Milliardensubventionen für den Chiphersteller Intel in Sachsen-Anhalt sind das Peanuts. Umso wichtiger ist, dass jetzt dafür die Entscheidungen getroffen und das Vorhaben prioritär vorangetrieben wird. Alles andere würde die selbst gesetzten Ziele der Ampel infrage stellen – und die angekündigten Leuchttürme in traurige Luftschlösser verwandeln. Das darf nicht passieren.

Investition wird sich langfristig auszahlen

Die richtigen Weichenstellungen sind jetzt nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuellen Konjunkturlage wichtiger denn je. Wir können es uns schlicht nicht leisten, das große Potenzial unseres Forschungsstandortes zu vergeuden. Denn dadurch verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit und gefährden unseren Wohlstand. Neugründungen sind für von grundsätzlicher Bedeutung, wenn wir unseren Wirtschaftsstandort erneuern und weiterentwickeln möchten. In den USA etwa hätte es ohne Neugründungen seit den 1980er Jahren keinen Netto-Zuwachs an Arbeitsplätzen gegeben.

Das Projekt der Start-up-Factories soll laut Start-up-Strategie „in Ergänzung“ zu der vor knapp fünf Jahren gestarteten Förderlinie „Exist-Potenziale“ kommen. Tatsächlich erscheint aber derzeit fraglich, ob das gelingt. Denn auch wenn sich beide Programme inhaltlich ideal ergänzen, und eine Förderung sowohl in der Breite (Exist-Potenziale) als auch in der Spitze (Start-up-Factories) gewährleisten würden, sieht der Bundesrechnungshof durch Exist-Potenziale „unmittelbar“ einen Eingriff des Bundes in die „Strukturen an Hochschulen“.

Im Ergebnis sollte sich die Diskussion, ob es sich dabei um Aktivitäten „im Kernbereich der Länderzuständigkeit“ handelt, jedoch nicht negativ auf die Gründungsförderung an den Hochschulen auswirken. Es ist zwar eine Binsenweisheit, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Das sollte aber keinesfalls dazu führen, dass die Spitzenförderung und Breitenförderung gegeneinander ausgespielt werden. Bund und Länder sind hier aufgerufen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und ebenso rechtssichere wie zukunftsorientierte Lösungen zu finden. Das bedeutet insgesamt mehr Kapital für Gründungsaktivitäten zu mobilisieren. Daher sollte weder der Bund die Länder in dieser Frage komplett allein lassen, noch sollten die Länder in der Hoffnung auf weitere Bundesmittel eigene Anstrengungen unterlassen. Die geplanten Leuchttürme der Start-up-Factories sollten nicht auf den Förder-Ruinen von Exist-Potenziale errichtet werden. 

Franziska Teubert ist seit 2019 Geschäftsführerin für Kommunikation und Partner-Management beim Bundesverband Deutsche Startups (Start-up-Verband). 

Christoph J. Stresing ist dort ebenfalls seit 2019 Geschäftsführer für Politik.

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