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Digitalisierung & KI

Standpunkte Nicht der Datenschutz bremst, sondern populistische Debatten

Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI)
Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) Foto: Promo

Mit weniger Datenschutz hätten wir die Krise längst gemeistert – so zumindest könnte ein Teil der Debatte um Mittel und Wege der Pandemiebekämpfung zugespitzt werden. Doch nicht der Datenschutz ist Hemmschuh, sondern die Art und Weise, wie wir darüber streiten. Was sich ändern muss.

von Ulrich Kelber

veröffentlicht am 08.02.2021

aktualisiert am 15.08.2022

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Es war zumindest ein Seitenhieb, den die Bundeskanzlerin am Rande des Impfgipfels austeilte: Es gebe Länder, wie beispielsweise Israel, die in ganz anderer Weise mit Daten umgehen und Digitalisierung betreiben. Das sei etwas, wo Datenschutz eine Rolle spielt. Es war nicht das erste Mal, dass die Kanzlerin vage andeutete, Datenschutz in Deutschland könne für bestimmte Probleme in Deutschland ein Grund sein. Die ersten Fragen an mich und meine Behörde kamen auch diesmal umgehend: Warum ist Israel so viel besser beim Impfen? Warum behindert der Datenschutz die Pandemiebekämpfung? Es war ein Musterbeispiel dafür, wie seit Beginn der Pandemie öffentlich über Datenschutz diskutiert wird. Dabei läuft es immer auf die eine Frage für unsere Gesellschaft hinaus: Was machen wir falsch?

Datenschützer sind keine Virologen

Eine Bemerkung vorneweg: Weder ich noch meine Behörde sind Experten für Virologie oder Epidemiologie. Meine gesetzlich festgeschriebene Aufgabe ist es, unabhängig für die Durchsetzung von Datenschutzrecht zu sorgen, für das sich Europaparlament und Bundestag entschieden haben. Außerdem berate ich die Bundesregierung zu Fragen des Datenschutzes. Es wäre deshalb völlig unangemessen, wenn ich eigeninitiativ und öffentlich Vorschläge zur Pandemiebekämpfung machen würde. Das Bundesministerium für Gesundheit, das Robert Koch-Institut und weitere Bundesbehörden haben Spezialisten, die Lösungen entwickeln. Dort, wo diese Ideen auf meine Zuständigkeit treffen, prüfe ich, was mit geltenden Gesetzen vereinbar ist – und was nicht. Außerdem berate ich, wie man die Rechtskonformität herstellen kann. An dieser Stelle soll es aber nicht um konkrete Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gehen, sondern darum, wie wir als Gesellschaft darüber diskutieren.

Die Spaltung der Privatsphäre

Medial erhalten insbesondere die Extrempositionen zum Datenschutz sehr viel Raum. Auf der einen Seite wird sehr verkürzt gefordert, „der“ Datenschutz gefährde Menschenleben, würde alle Prozesse verlangsamen, gefährde unseren Wohlstand, schütze Kriminelle und gehöre daher umgehend geschwächt oder vollständig abgeschafft. Auf der anderen Seite werden Befürchtungen überhöht, jede neue Datenverarbeitung der öffentlichen Hand realisiere ein weiteres Stück eines neuen totalitären Überwachungsstaates. Wir sollten dieses Spannungsfeld im Auge behalten, denn mit fortschreitender Digitalisierung wird das Ergebnis dieses Konflikts noch weitreichendere Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns haben, als es ohnehin schon der Fall ist. Und es erklärt, warum beim Thema Datenschutz gerade in Krisenzeiten so emotional gestritten wird. Denn abseits der juristischen Diskussion geht es um die Frage, wie viel Privatsphäre in einer digitalisierten und globalisierten Welt nötig sowie möglich ist und wie wir das garantieren können.

Was genau ist „der“ Datenschutz?

Es beginnt immer gleich. Ob in einer Talkshow oder dem Kommentar in einer Tageszeitung – eine Person des öffentlichen Interesses äußert sich zur aktuellen Krise. Und dann kommt die Frage, die momentan alles andere überlagert: Was machen wir falsch? Nicht selten lautet die Antwort: „Der“ Datenschutz. Er verhindere, dass wir die Pandemie bekämpfen. Dass Kinder im Fernunterricht lernen könnten. Dass wir eine schnelle und moderne Verwaltung hätten. Und dass wir Verbrechen aufklären sowieso. Die Antwort, welchen Aspekt des Datenschutzes man denn nun konkret verändern oder beseitigen müsse, bleiben die Kommentierenden immer schuldig. Und Journalisten haken an dieser Stelle leider viel zu selten nach. Im nächsten Akt werden Datenschützer mit den Aussagen konfrontiert und sollen jetzt endlich mal erklären, warum sie denn die Daten so schützen. Offensichtlich könnte man doch alle Probleme auf einen Schlag lösen. Dabei spielt ihnen in die Hände, dass das Wort Datenschutz so klingt, als ginge es um den Schutz von Dingen, und nicht um den Schutz der Menschen hinter den Daten. Die Antwort der Datenschützer lässt sich aber regelmäßig nicht auf einen schlanken Satz verkürzen.

Wo bleibt der Widerspruch?

Es bleibt also oft bei einem lauten medialen Aufschrei, wenn wieder jemand erkannt haben will, welches unserer gesellschaftlichen Probleme sich mit Datenschutz nicht lösen lässt. Warum andere Länder so viel besser sind. Was wir falsch machen. Der komplexere Widerspruch der Datenschützer hingegen geht im Nachhall der Berichterstattung und der eigenen Bubble häufig unter. Es ist bezeichnend, dass gerade in den Talkshows Woche für Woche erhebliche Vorwürfe gegen die angeblich so hohen Hürden des Datenschutzes erhoben werden. Datenschützer, die dem qualifiziert und differenziert widersprechen könnten, findet man unter den Studiogästen fast nie. Im Gedächtnis bleibt, dass es in Deutschland mal wieder nicht läuft. Dass „der“ Datenschutz es so schwer macht, die Impfeinladungen zu verschicken. Und dass Israel mehr Impfdosen bekommt, weil sie den Pharma-Unternehmen die Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stellen. Hätten wir das in Deutschland doch auch gemacht. Aber, wie die Kanzlerin sagt, da spielt ja der Datenschutz eine Rolle.

Was wir falsch machen

Das letzte Detail der Diskussionen zum Thema Datenschutz geht im öffentlichen Bewusstsein völlig unter: Wir haben die in Europa erfolgreichste Tracing-App, die noch erfolgreicher sein könnte, wenn man sie nicht andauernd schlechtreden, sondern stattdessen für deren Nutzung werben würde. Wir haben weitreichende Gesetzesänderungen vorgenommen, um Datenverarbeitungen und -austausch in Gesundheitsämtern zu verbessern. Wir haben zwischenzeitlich Datenerhebungen bei alltäglichen Handlungen wie dem Essen im Restaurant oder im Freizeitbereich ermöglicht. Seit Ausbruch der Pandemie gab es keine einzige konkrete Maßnahme, die mir von der Regierung vorgelegt wurde, die am Datenschutz gescheitert wäre. Keine einzige! Im Gegenteil: Ich wäre froh, wenn fehleranfällige und langsame analoge Prozesse durch gut gemachte digitale Lösungen ersetzt würden.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass mit dem pauschalen Verweis auf angebliche Schwierigkeiten mit dem Datenschutz andere Defizite verdeckt werden sollen. Was wir falsch machen? Wir lassen uns von aufmerksamkeitsgetriebenen Menschen mit Pauschalurteilen und Schlagworten zu unnötigen Diskussionen verleiten, statt über die echten Herausforderungen zu sprechen. Und fragen dabei viel zu oft, was wir falsch machen, anstatt zu fragen, was wir besser machen können.

Ulrich Kelber ist seit 2019 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). 

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