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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wer Krypto überreguliert, riskiert die technologische Zukunft Europas

Dr. Matthias Voelkel, CEO der Börse Stuttgart
Dr. Matthias Voelkel, CEO der Börse Stuttgart Foto: Boerse Stuttgart Group

In der EU ging es zuletzt viel um die Regulierung von Krypro-Währungen wie dem Bitcoin. Dabei sollte das Kind aber nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden, warnt Matthias Voelkel von der Börse Stuttgart. Wer Krypto kaputt reguliere, gefährde auch die zukunftsweisende Blockchain-Technologie – und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas.

von Matthias Voelkel

veröffentlicht am 20.05.2022

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Blockchain-basierte Krypto-Assets sind endgültig im Mainstream angekommen. Aktuelle Zahlen des Financial Stability Boards belegen, dass sich die Kapitalisierung dieses Marktes allein 2021 mit rund 2,6 Billionen US-Dollar mehr als verdreifacht hat. Viele Krypto-Assets wie der Bitcoin mögen in den letzten Wochen einen Kursverfall erlitten haben, langfristig ist ihr Potenzial und das der zugrundeliegenden Blockchain-Technologie allerdings längst nicht ausgeschöpft. Es wartet darauf, gehoben zu werden. Politik, Regulatoren und Unternehmen der Finanzbranche entscheiden darüber, ob das in Europa oder – wie in der Vergangenheit – vor allem in den USA und Asien geschieht.

Warum mich das als CEO der Gruppe Börse Stuttgart jeden Tag beschäftigt? Als sechstgrößte Börsengruppe Europas mit dem größten Krypto-Asset-Geschäft sind wir dabei, die Börse der Zukunft zu bauen – einen europäischen Marktinfrastrukturbetreiber mit zwei zentralen, gleichberechtigten Geschäftsbereichen: Kapitalmarktgeschäft einerseits sowie Digital- und Krypto-Geschäft andererseits. Institutionelle und private Anleger, die bei uns seit langem klassische Wertpapiere gehandelt haben, profitieren damit von einem direkten, stabilen und integren Zugang zum digitalen Wachstumsbereich der Zukunft. Wir entwickeln für den europäischen Kapitalmarkt jene Infrastruktur, die erforderlich ist, um hochreguliert Krypto-Assets zu handeln. Und tragen so dazu bei, dass Europa im Standortwettbewerb mit den USA und Asien nicht zurückfällt.

Blockchain für zukünftige Wirtschaft unentbehrlich

Denn Krypto-Assets sind unverzichtbar – nicht nur für einen modernen europäischen Kapitalmarkt als Anlagemöglichkeit mit Renditechancen und Diversifizierungspotenzial, sondern auch für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt. Im Fokus steht dabei die zugrundeliegende Blockchain-Technologie. Wir bewegen uns in Richtung einer Zukunft der tokenisierten Wirtschaft, und Krypto-Assets sind der erste Schritt dorthin. Sie sind derzeit der wichtigste Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie, sie sind ihr Motor. Fast alle global erfolgreichen Unternehmen, die auf die Blockchain setzen, sind derzeit im Bereich Krypto-Assets aktiv – sie entwickeln Innovationen, schaffen Plattformen, ziehen Investitionen und die besten Talente an. Um sie herum bilden sich bereits jetzt Blockchain-Cluster. Sie werden damit die tokenisierte Wirtschaft der Zukunft entscheidend prägen.

Wie wird diese Wirtschaft aussehen? Die Blockchain-Anwendungsfälle sind beinahe grenzenlos. Ob im Gesundheitswesen oder bei vernetzten Lieferketten – mit Blockchain werden innovative, datenbasierte Ansätze transparent und manipulationssicher gestaltet. Das wird in allen Branchen neue Geschäftsmodelle hervorbringen und die klassische Wertschöpfung umkrempeln. Ohne Blockchain wird es keine erfolgreiche vierte industrielle Revolution geben. Sie ist ein digitaler „Game Changer“.

Das heißt: Wer Krypto-Assets „kaputt reguliert“, wird auch bei der Blockchain-Technologie den Anschluss verlieren und beim Aufbau einer tokenisierten Wirtschaft hinterherhinken. Dann wiederholen wir kapitale Fehler der Vergangenheit, und eine weitere Zukunftstechnologie wird in den USA und Asien entwickelt und kommerzialisiert. Bei der Digitalisierung haben wir das leidvoll erfahren: Die führenden Digitalunternehmen haben fast alle ihren Sitz in den USA und Asien, Europa ist in technologischer Abhängigkeit und zum Konsumenten degradiert.

Es ist daher für die technologische Souveränität Europas im globalen Wettbewerb von entscheidender Bedeutung, die Blockchain-Technologie zu halten und zu fördern. Know-How, Brainpower und hochqualifizierte Arbeitsplätze müssen in Europa bleiben. Wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit ist nicht nur essenziell, um unsere sozialen Sicherungssysteme langfristig finanzieren zu können, sie ist auch von großer geopolitischer Relevanz, insbesondere in Zeiten wie diesen.

Im Moment verläuft die politische Diskussion um Krypto allerdings mitunter wenig erfreulich. Die jüngste Debatte zur MiCA-Regulierung auf EU-Ebene hat gezeigt: Aufgrund fehlenden Verständnisses für die fundamentale Bedeutung von Krypto-Assets für die weitere Entwicklung der Blockchain-Technologie in Europa wollen manche Stimmen die EU in einen fragmentierten „Verbotsmarkt“ verwandeln und ohne Bewusstsein für die Folgeschäden regulieren. In buchstäblich letzter Sekunde haben die Abgeordneten im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments gegen den Verbotsparagrafen für Proof-of-Work-basierte Kryptowährungen gestimmt. Der Prozess hat eindrucksvoll unterstrichen, wie wichtig fortlaufende Aufklärungsarbeit und der Dialog zwischen Innovatoren und Regulatoren sind.

Innovation muss auch innovativ reguliert werden, nicht mit alten Schablonen. Wir brauchen mehr Neugierde und weniger Ignoranz im Umgang mit neuen Technologien. Wir müssen ihre Entwicklung fördern und nicht im Keim ersticken.

Was heißt das konkret für die politische und regulatorische Debatte?

Erstens brauchen wir eine wirkliche Harmonisierung von EU-Standards. Hierzu zählen auch einheitliche Definitionen und Begrifflichkeiten. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt für Krypto-Assets und Blockchain-Innovationen.

Zweitens sollten bei der Umsetzung der so genannten „Travel Rule“ zur Kontrolle von Blockchain-Transaktionen die vorhandenen Möglichkeiten der Technologie genutzt werden, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu schaffen. Die Einbindung selbstverwalteter Krypto-Wallets in ein reguliertes Umfeld muss möglich sein, zum Beispiel durch die Nutzung von Analyse-Tools.

Drittens benötigen wir ein „Passporting“ von nationalen Lizenzen in der EU. Beispielsweise könnten Verwahrer von Krypto-Assets ihre Dienstleistungen dann europaweit anbieten. Das würde einen wirklich europäischen Markt schaffen, den Wettbewerb stärken und die Durchlässigkeit des Systems erhöhen.

Viertens sollte bei Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung gemeinsam im Dialog nach Lösungen zur Reduktion und Kompensation gesucht werden, anstatt durch Verbote bestimmter Assets wegen ihres Strombedarfs gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Fünftens werden im Bereich Steuern und Reporting einheitliche Datenformate und Schnittstellen in der EU benötigt. Das ist essenziell, um Staaten und Gesellschaft eine faire Partizipation an privaten Gewinnen aus Krypto-Transaktionen zu ermöglichen. Blockchain und Gemeinwohl dürfen einander nicht ausschließen – ganz im Gegenteil.

Grundlegend ist: Europa muss einen eigenen, europäischen Weg finden. Es muss gestalten – nicht zerstören und sich naiv in technologische Abhängigkeit manövrieren. Europa sollte allen Investorengruppen den Erwerb von Krypto-Assets in einem transparenten und intelligent regulierten Markt ermöglichen. In Europa sollten der Krypto- sowie der klassische Wertpapierhandel in gleicher Weise seriös funktionieren. Wenn uns dies gelingt, brauchen wir keine Abwanderung in weniger regulierte Märkte zu fürchten. Und wir brauchen uns nicht zu sorgen, dass mit den Krypto-Assets gleich auch die Blockchain-Technologie abwandert. Stattdessen stoßen wir das Tor weit auf in die tokenisierte Wirtschaft der Zukunft.

Dr. Matthias Voelkel ist CEO der Gruppe Börse Stuttgart.

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