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Digitalisierung & KI

Standpunkte Mehr Pragmatismus beim Datenschutz wagen

David Pfau ist Head of Data & Privacy beim Hamburger Beratungsunternehmen Conreri.
David Pfau ist Head of Data & Privacy beim Hamburger Beratungsunternehmen Conreri. Foto: Privat

In der Debatte um Privatsphäre und Datenschutz gibt es zwei Lager: Auf der einen Seite stehen Aufsichtsbehörden, Verbraucherschützer und Aktivisten, die den Schutz der Privatsphäre als absolut betrachten. Auf der anderen Seite finden sich Dienstanbieter und Befürworter von Innovationen, die Datenschutz als Teil der Datennutzung verstehen und auf Rechtssicherheit angewiesen sind.

von David Pfau

veröffentlicht am 05.03.2024

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Die Diskussion um sogenannte „Pay or Okay“-Modelle und die nun verschobene Entscheidung des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) sind ein treffendes Praxisbeispiel für die Kontroverse rund um den Datenschutz in der Europäischen Union (Tagesspiegel Background berichtete). Diese Art von Modellen ermöglicht es den Nutzer:innen selbst zu entscheiden, wie sie für Inhalte und Services im Netz bezahlen möchten. Entweder durch die Einwilligung in zustimmungspflichtige Datenverarbeitungen oder durch den Abschluss eines Abonnements, in welchem keine Werbung und keine zustimmungspflichtigen Datenverarbeitungen stattfinden.

Diese Modelle bewahren das uns bekannte freie und offene Internet, da die einzige Alternative für viele Dienste wäre, ihre Angebote nur mehr hinter Bezahlschranken anzubieten. Doch das Lager der Datenschützer sieht diese Modelle oft kritisch, da das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz als unantastbar sowie absolut dargestellt wird. Alle anderen Interessen und damit eben auch andere Grundrechte werden einseitig untergeordnet.

Kollidierende Grundrechte abwägen

Es scheint so, als würden wir in einer Zeit leben, in der sogar der Datenschutz in unserer Gesellschaft polarisiert. Greifbar wird dieses Gefühl in der Aussage eines Vertreters der norwegischen Datenschutzaufsichtsbehörde: „Wir stehen an einer Wegkreuzung. Ist Datenschutz ein Menschenrecht für alle oder ein Luxus für diejenigen, die es sich leisten können? Die Antwort wird das Internet in den kommenden Jahren definieren.” Die einen verteidigen den Datenschutz wie eine heilige Reliquie, während die anderen ihn als Hindernis für Innovation und Prosperität betrachten. Doch ist dieser Dualismus des Rätsels letzter Schluss?

Die rechtliche Güterabwägung ist komplex. Sie erfordert eine sorgfältige Analyse und einen ausgewogenen Ansatz, um sicherzustellen, dass alle relevanten Rechte angemessen geschützt werden. Diese Abwägung wird grundsätzlich vom Staat übernommen, da Grundrechte Abwehrrechte der Bürger:innen gegenüber dem Staat sind. Es prallen tagtäglich grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander und es gilt Wege zu finden, wie man mit diesen kollidierenden oder gegenläufigen Positionen umgeht – und welche Entscheidung man dann für sich selbst trifft. Wenn wir Meinungen äußern, müssen wir abwägen, ob unsere Worte andere verletzen oder diskriminieren könnten. Wir haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, aber wir müssen auch sicherstellen, dass unsere Äußerungen die Rechte und Würde anderer respektieren.

In einer zunehmend überwachten Welt müssen wir manchmal zwischen unserem Recht auf Privatsphäre und dem Bedürfnis nach Sicherheit abwägen. Zum Beispiel bei der Entscheidung, ob wir Überwachungskameras in unserer Wohnung installieren oder unsere persönlichen Daten für verbesserte Sicherheitsmaßnahmen preisgeben. Wenn es um die allgemeine Handlungsfreiheit geht, müssen wir womöglich zwischen einer Fernreise per Flugzeug und dem Schutz der Umwelt abwägen.

Seiltanz zwischen Datenschutz und Wirtschaftsinteressen

Wenn es um die Bildung von Kindern geht, müssen wir oft zwischen dem Recht der Kinder auf Bildung und den Rechten der Eltern abwägen, ihre Kinder nach ihren eigenen Überzeugungen zu erziehen. Zum Beispiel bei der Entscheidung, ob bestimmte Lehrinhalte in Schulen vermittelt werden sollten, die den Überzeugungen der Eltern widersprechen könnten. Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, aber manchmal können religiöse Überzeugungen mit dem Ziel der Gleichstellung kollidieren. Zum Beispiel bei der Frage, ob religiöse Institutionen das Recht haben sollten, bestimmte Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung abzulehnen.

Nur beim Datenschutz soll die Abwägung den Bürger und Bürgerinnen mit anderen rechtlichen Gütern nicht möglich oder zumutbar sein? Wir müssen erkennen, dass der Datenschutz und die wirtschaftlichen Interessen der Diensteanbieter keine unüberbrückbaren Gegensätze darstellen. Vielmehr geht es darum, eine ausgewogene Balance zu finden, welche die Rechte und Bedürfnisse aller Beteiligten vernünftig und wirksam berücksichtigt. Dazu gehört das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz, aber auch die Freiheit der Anbieter, ihr Geschäftsmodell selbst festzulegen und anbieten zu können. Es ist wie bei einem Seiltänzer, der auf einem straff gespannten Seil zwischen zwei Säulen balanciert und das Gleichgewicht behalten muss.

Gesetzgeber sieht Datenkommerzialisierung selbst vor

Es ist jetzt an der Zeit, den Diskurs zu versachlichen und pragmatische Lösungen zu finden, welche den Datenschutz und die digitalen Geschäftsmodelle in Europa in Einklang bringen. Statt uns in ideologischen Grabenkämpfen zu verlieren, sollten wir gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir die Chancen unserer Zeit nutzen können, ohne dabei unsere Privatsphäre zu opfern. An dieser Stelle ist es auch wichtig mitzuberücksichtigen, dass der Gesetzgeber eine Kommerzialisierung von Daten gegenwärtig, beispielsweise in der Datenstrategie, explizit vorsieht.

Eine Verbotsdebatte, im Kontext der „Pay or okay“-Modelle, würde dazu führen, dass der Zugang zu Inhalten und Services im Netz auf Dauer nur noch mittels Entgelts möglich wäre und erst damit ein Grundrecht, jenes auf freien Informationszugang, beschränkt werden würde. Somit würde diese Debatte erst dazu führen, dass Grundrechte gefährdet wären und eben nicht die freie Entscheidung der Nutzer*innen eine Stufe davor zu diesem Sachverhalt führt.

Zuletzt sollte nicht vergessen werden, dass wir alle ein Interesse daran haben, unsere Daten zu schützen, aber eben auch personalisierte Dienste im Internet selbstbestimmt zu nutzen. Es liegt an uns allen, einen ausgewogenen Diskurs zu führen und einen Konsens zu finden, der sowohl Datenschutz als auch die unternehmerischen Freiheiten in Einklang bringt. Ansonsten legen wir uns im globalen Wettbewerb und Innovationsrennen weiterhin selbst Steine in den Weg.

David Pfau ist Head of Data & Privacy bei dem Beratungsunternehmen Conreri Digital Development GmbH in Hamburg. Er beschäftigt sich mit datenschutzrechtlichen Fragestellungen in der Medien- und Digitalbranche. Zwischen Januar und März 2024 war er Interim Director Legal Affairs & Data Privacy des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW).

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